Dampfer ab Triest. Günter Neuwirth

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Dampfer ab Triest - Günter Neuwirth

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      Der Graf schüttelte den Kopf. »Der menschliche Leib ist für solche Geschwindigkeiten nicht geschaffen. Siebzig bis achtzig Kilometer pro Stunde. Kind, denk doch einmal vernünftig!«

      »Nur so schaffen wir es an einem Tag von Graz nach Triest. Früher sind die Kutschen fast eine Woche unterwegs gewesen, bei schlechtem Wetter oft sogar länger.«

      »Du scheinst nicht zu verstehen, was ich dir erklären will, Carolina.«

      »Was willst du mir erklären, Papa?«

      »Bei solchen Geschwindigkeiten und diesem irrwitzigen Geruckel und Gerüttel werden die inneren Organe des Menschen heillos durcheinandergewirbelt. Das ist auf die Dauer nicht gesund.«

      »Ich finde, dass der Wagen bei siebzig oder achtzig Kilometer pro Stunde viel weniger gerüttelt wird, als eine Kutsche auf einer holprigen Straße. Außerdem fahren seit fünfzig Jahren Züge über die Südbahnstrecke von Graz nach Triest. Mir ist nicht bekannt, dass Lokführer oder Schaffner in all der Zeit an durcheinandergewirbelten Organen erkrankt sind.«

      Auf die Stirn des Grafen legten sich dunkle Falten. »Was sind denn das für revolutionäre Töne, junges Fräulein?«, fragte er mit knarrender Stimme.

      Carolina schlug den Blick nieder. Die Euphorie, endlich im Zug zu sitzen, hatte sie geradezu vorwitzig werden lassen. »Ganz bestimmt hast du recht, verehrter Herr Papa. Die Raserei ist augenscheinlich.« Carolina fügte schnell hinzu, um das Thema zu wechseln: »Dennoch freue ich mich sehr, endlich wieder nach Triest zu kommen. Ich habe die Stadt in so guter Erinnerung.«

      Der Graf nickte zustimmend und schaute sinnierend zum Fenster hinaus. »Ja, unsere Seereise von Triest nach Ragusa. Wie lange ist das her?«

      »Elf Jahre, lieber Papa, die Reise ist elf Jahre her. Ich war damals neun. Daran kann ich mich ganz genau erinnern.«

      Der Graf seufzte. »Ja, unsere Dampferfahrt in den Süden. Das war schön. Deine geliebte Frau Mama, du selbst und ich, eine Familie auf großer Fahrt. Ich denke gerne daran zurück.«

      Wehmut ergriff Carolina. Wenige Monate nach der für Carolina ersten und bislang einzigen Schiffsreise war ihre Mutter gestorben. »Ich auch, Papa.«

      »Ich weiß gar nicht, warum ich mich habe breitschlagen lassen, wieder an Bord eines Schiffes zu gehen.«

      »Wegen deiner Lungen, Papa.«

      »Das weiß ich doch! Dr. Röthelstein und seine medizinischen Anordnungen. Eine Schiffsreise gegen meine Lungenschwäche. Wenn du mich fragst, sind das verrückte Ideen.«

      »Ich freue mich außerordentlich auf die Schiffsreise. Das Meer! Die Sonne! Griechenland! Die große Metropole Konstantinopel. Und die klare Luft auf See wird deinen Lungen bestimmt guttun.«

      Der Graf sah seine Tochter an, er sah ihre Vorfreude, ihre Erwartungen, er sah ihre Schönheit und Lebendigkeit, ihre Grazie und Eleganz. Ja, in seiner Tochter war seine geliebte Sophie lebendig geblieben. Sophie war viel zu früh und viel zu jung von ihm gegangen. Graf Urbanau griff nach der Hand seiner Tochter und drückte sie. »In Wahrheit, mein Kind, mache ich diese Reise nicht wegen meiner angeschlagenen Gesundheit, sondern allein, um dir eine Freude zu bereiten.«

      Carolina lächelte freudig. »Vielen herzlichen Dank, geliebter Papa.«

      »Sieh mal in den Korb, was Josefa eingepackt hat. Langsam kriege ich Hunger.«

      »Trotz der durcheinandergewirbelten Organe?«

      Der Graf legte die Stirn in Falten, lächelte jedoch dabei. »Du bist heute signifikant vorwitzig, Fräulein. Woher kommt denn das?«

      *

      Bruno saß bei Tisch und schaute zum Fenster in den schattigen Garten. Er nippte an der Kaffeetasse. Fedora verstand sich auf die Kunst, aus gemahlenen Kaffeebohnen ein Getränk zuzubereiten, das keinerlei Vergleiche mit der Arbeit des Baristas des Caffè degli Specchi zu scheuen brauchte. Die Essenz der Bohne auf den Punkt gebracht, schwarz, stark und ungesüßt. Was für ein besonderer Tag. Schon vor der Mittagsstunde hatte er ein Glück erfahren, das für viel mehr als einen Tag reichte. Fedora betrat das Wohnzimmer. Sie legte das Bücherpaket auf einen der Stühle.

      »Richte deiner Frau Mama meine besten Grüße aus. Bei Gelegenheit stöbere ich wieder gerne in ihrer wohlsortierten Bi­blio­thek.«

      Bruno schmunzelte. »Du bist immer willkommen.«

      »Das freut mich.«

      »Verstehe ich das richtig? Du setzt mich vor die Tür?«

      »Ich habe noch eine Menge zu tun, bis die Kinder zurück sind.«

      Bruno leerte die Tasse in einem Zug und erhob sich. Er strich sein Hemd glatt und zog das Sakko über. Fedora kam näher, zupfte das Sakko zurecht und knöpfte es zu. Bruno umfasste ihre Taille und zog sie an sich.

      »Geliebte Fedora, ich danke dir für diesen Vormittag des Glückes.«

      »Ich danke dir auch, schöner Mann.«

      »Was bin ich doch für ein Glückspilz, dass dein Ehemann zur See fährt und sich so Platz für mich in deinem Leben ergibt.«

      »Ich finde, wir haben beide Glück gehabt.«

      Bruno lächelte. Er konnte sich gut daran erinnern, wie Fedora bitter über die langen Perioden des Alleinseins klagte. Ihrer Schönheit kam nur ihr Hunger nach Liebe gleich, sie litt unter dem Schicksal, wochenlang ohne Mann ausharren zu müssen.

      »Ich hoffe nur, dass dein Mann und ich einander nie in die Quere kommen.«

      »Oh, das hoffe ich auch.«

      »Wir müssen weiterhin vorsichtig sein.«

      »Du bist doch Polizist! Du weißt doch, wie Einbrecher unbemerkt in Häuser einsteigen können. Nutze deine Kenntnisse.«

      »Glaubst du, er würde mich erschießen?«

      »Eher mit dem Säbel durchbohren. Oder dir den Schädel abschlagen.«

      »Was für reizvolle Aussichten.«

      Fedora löste sich von Bruno. »Wie gesagt, es ist besser, wenn er nichts von dir weiß.«

      Bruno griff nach dem Bücherpaket. »Allerdings.«

      »Kommst du am Donnerstag?«

      »Wie üblich nach Einbruch der Dunkelheit?«

      »Ja. Sobald die Buben schlafen.«

      »Was werden wir tun, wenn sie keine Kinder mehr sind, wenn sie dereinst forsche Knaben sind und nicht mehr bei Sonnenuntergang tief und fest schlafen?«

      »Das werden wir sehen, wenn es so weit ist.«

      »Und wann kommt dein Mann zurück?«

      »Am nächsten Samstag.«

      »Also wieder der Dampfer aus Bombay?«

      »Das habe ich dir doch gesagt.«

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