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»Lass uns ein Stück gehen«, schlug er vor und bot ihr seinen Arm an.
Carolina hakte sich bei ihm ein. Sie ließen den Molo hinter sich und gingen am Kai entlang. Zahlreiche Segelschiffe waren an der Kaimauer festgemacht, kleine einmastige Brazerra und etwas größere zweimastige Trabakel, die für den küstennahen Transportdienst und den Fischfang eingesetzt wurden. Möwen kreisten in der Luft und Nebelkrähen belagerten sorgsam spähend die Kaimauer.
»Ist dein Vater im Hotel?«
»Ja. Er hat sich in den Rauchsalon zurückgezogen.«
»Wann musst du zurück sein?«
»Um acht Uhr.«
»Wir haben also mehr als eine Stunde für uns! Wie schön.«
»Hast du eine Herberge gefunden?«
»Ja. Ein kleines Haus beim Bahnhof. Das Zimmer ist sehr schlicht, aber still, das Fenster liegt auf der Hofseite. So ist es angenehm. Eine angemessene Unterkunft für ein paar Heller.«
»Du bist so bescheiden.«
»Wer so wie ich von und für die Kunst und die Liebe lebt, braucht nicht viel Geld.«
Carolina kicherte. »Du lebst also für die Liebe.«
»Natürlich! Die Liebe ist eine Schicksalsmacht und beseelt den Menschen, entflammt den Geist und lässt die Herzen pochen. Mein Herz, geliebte Carolina, gehört dir allein.«
»Du bist ein Poet!«
»Und du bist meine Muse«, rief Friedrich theatralisch und hielt an. Er nahm Carolina in den Blick. »Wann können wir endlich beisammen sein? Wann können wir heiraten? Wann können wir Mann und Frau sein, so wie Gott uns schuf und die Natur es von uns verlangt?«
»Du weißt doch, dass das nicht möglich ist.«
»Wann wirst du deinem Vater von unserer Liebe berichten?«
»Noch nicht.«
»Ich will es herausschreien, ich will es in allen Zeitungen annoncieren, ich will es auf Plakate drucken und diese auf allen Litfaßsäulen der Monarchie affichieren, dass ich, Friedrich Grüner, dich, Carolina von Urbanau, liebe und dich immer lieben werde.«
Carolina schaute sich betreten um. »Bitte nicht so laut. Lass uns weitergehen.«
Ein Weilchen gingen sie eingehakt am Kai entlang.
»Morgen früh will mein Vater mit dem Automobil nach Duino fahren. Die Gräfin erwartet unseren Besuch. Abends können wir uns wieder treffen.«
»Ich werde auf dich warten.«
»Hast du genug Geld?«
»Ich brauche nicht viel.«
»Ich kann dir welches geben.«
Friedrich kaute auf seiner Unterlippe. »Ich bin so beschämt, dass ich so arm bin. Ein bettelarmer Schauspieler und Dichter, ich besitze nichts als einen alten Gehrock und ein Paar Schuhe. Und du bist die Tochter eines unermesslich reichen Grafen. Wie kann unsere Liebe in einer verkehrten und verrückten Welt wie dieser nur Bestand haben?«
»Bist du verzweifelt?«
»Ja. Es zerreißt mir die Brust.«
»Aber wir sind doch beisammen.«
»Ich weiß nicht, wie ich es überstehen soll, fast einen Monat mit dir auf hoher See zu sein und dich immer nur aus der Ferne sehen zu können. Was hast du dir nur dabei gedacht, mich dieser Tortur auszusetzen?«
Jetzt hielt Carolina inne, sie blickte erschrocken zu Friedrich hoch. »Bitte lass mich nicht allein auf dieses Schiff steigen. Bitte! Ich brauche dich. Und wenn wir uns nur heimlich treffen und nur wenige Worte wechseln können, so ist dies doch das einzige Glück, das ich für diese Schifffahrt erhoffen kann.«
»Keine Sorge, geliebte Carolina, ich werde mit dir und doch fern von dir an Bord gehen. Ich bin bereit, das Äußerste für dich zu tun. Du hast die Schiffskarte nicht umsonst für mich gekauft.«
»Aber du hast die Karte doch selbst gekauft.«
»Mit deinem Geld.«
»Lass uns nicht vom schnöden Geld sprechen. Das deprimiert mich.«
Schlagartig hellte sich Friedrichs Miene auf. Das war es, was Carolina so an ihm liebte, er trug eine unendliche Heiterkeit in sich. Er konnte aus dem tiefsten Unglück heraus von einem Moment auf den anderen mit nur einem Lachen auf den Lippen der fröhlichste Mensch der Welt werden. Friedrich war ein Wunder. Er wies mit großer Geste um sich.
»Diese Stadt, liebe Carolina, die ich seit meiner gestrigen Ankunft kennengelernt habe, ist ein Wunder der Menschheit, ein Ort der Hoffnung und Zuversicht. Allein welche verschiedenen Sprachen ich an diesem einen Tag meiner Anwesenheit hier schon gehört habe, füllt ganze Lexika. Italienisch, Slowenisch, Deutsch, Furlanisch, Kroatisch, Griechisch, Englisch, Türkisch und Arabisch. Triest ist ein Knotenpunkt der Kulturen, eine Welt für sich und gleichermaßen ein Leuchtturm der Zukunft. Ich liebe diese Stadt. Sieh nur all die vielen Menschen!«
Carolina ließ sich von seiner Begeisterung mitreißen. Ja, auch sie war in den wenigen Stunden seit ihrer Ankunft von der Buntheit der großen Hafenstadt überwältigt. »Erzähl mir von deinen Erlebnissen.«
Die Abendsonne tauchte am Horizont in das Meer. Straßenlaternen erhellten den Kai mit Licht.
Das Automobil
Sein Zuhause war der Hof seiner Eltern. Da, wo er aufgewachsen war, inmitten der Kornfelder und Obstbäume. Egal wie viele Jahrzehnte schon ins Land gegangen waren, der Hof in der Nähe der Auwälder an der Mur würde immer seine Heimat bleiben. Sein älterer Bruder hatte den Hof übernommen. So bestimmte es die Tradition, der Ältere hatte das Vorrecht. Also war er schon in jungen Jahren von Zuhause fortgegangen, hatte in Graz eine Stelle in der Maschinenfabrik gefunden und sich lange Zeit als Arbeiter und Bettgeher durchgeschlagen. Er war aber nicht wie die anderen Burschen vom Land dem Alkohol verfallen, sondern hatte gelernt. Er war ein fähiger Schlosser geworden, einer, den seine Dienstherren gerne beschäftigt und selbst in der Krise nur ungern wieder entlassen hatten. Er hatte weiter gelernt und war in einer Autowerkstatt Mechaniker geworden. Das Instandhalten und Fahren von Automobilen war sein Lebensinhalt geworden. So hatte ihn schließlich der Graf für ein solides Gehalt als Fahrer eingestellt. Rudolf konnte sich wahrlich nicht beklagen, seit er das Automobil des Grafen wartete und fuhr, ging es ihm gut, hatte er ein bequemes Zimmer, reichlich zu essen und eine Werkstatt, über die er alleine verfügen konnte.
Am heimatlichen Hof hatte ihn stets der Hahn geweckt. Früh aufzustehen war für ihn nie ein Problem gewesen. Er hatte nie etwas anderes gekannt. Beim ersten Sonnenschein war er aus dem Bett und hatte sein Tagewerk begonnen. Heute aber weckte ihn nicht der Hahn. Rudolf wusste zuerst gar nicht, wie ihm geschah, wo er war, welches Tier so schreien konnte. Erst als er ans Fenster trat, erinnerte es sich. Er war am Meer, er war in einer Herberge nahe dem Hafen