Dampfer ab Triest. Günter Neuwirth
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Читать онлайн книгу Dampfer ab Triest - Günter Neuwirth страница 6
Carolina blickte hocherfreut hoch. »Darf ich, Papa?«
»Ich habe doch längst bemerkt, dass du es hier im Speisesaal gar nicht aushältst.«
»Oh ja, ich würde so gerne rausgehen und den Hafen erkunden.«
Der Graf schaute auf seine Taschenuhr. Es war halb sieben Uhr. »Denk daran, vormittags unternehmen wir eine Autofahrt nach Duino. Ich muss der Gräfin meine Aufwartung machen, schließlich hat sie mir, als sie erfahren hat, dass ich nach Triest reise, drei Briefe geschrieben. Sie erwartet uns um zehn Uhr Vormittag. Außerdem will ich die Steilküste sehen. Also, liebe Carolina, geh los. Um acht erwarte ich dich zurück.«
»Vielen Dank, Papa.« Damit eilte sie hinaus.
Der Graf erhob sich mühsam und wurde vom Oberkellner in den Rauchsalon geleitet und mit Kaffee, einem Cognac sowie einer Zigarre versorgt. Genüsslich umgab sich der Graf mit dem Duft von erstklassigem Kaffee und der Rauchwolke einer dicken Havanna, auch der Cognac mundete vorzüglich. Ein Mann trat durch den Rauch auf den Ohrenstuhl des Grafen zu.
»Entschuldigt bitte die Inkommodität, Euer Gnaden. Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Giovanni Pasqualini, ich bin Teilhaber und Geschäftsführer der Azienda Commerciale di Porto Nuovo. Die Firma ist spezialisiert auf den Seehandel mit der Levante. Hier ist meine Karte.«
Max von Urbanau warf einen musternden Blick auf den Mann mittleren Alters. Sein Anzug saß tadellos, die Schuhe waren poliert, der Bart akkurat gestutzt, sein Deutsch ganz passabel. Immerhin wurde in diesem Hotel auf angemessene Erscheinung und passende Umgangsformen Wert gelegt. Der Graf verzog seinen Mund und nahm die Karte. »Also, was will er?«
»Wenn Euer Gnaden gestatten, wäre es mir eine Ehre, mit Euch in geschäftlicher Angelegenheit zu sprechen.«
»Für geschäftliche Angelegenheiten wenden Sie sich an meine Advokaturkanzlei in Graz.«
»Leider hat ganz Triest erst heute erfahren, dass Euer Gnaden unsere Stadt mit einem Besuch beehrt, sodass sich keine Gelegenheit ergeben hat, einen Termin mit Eurem avvocato telegraphisch zu vereinbaren.«
»Ich reise privat, da muss nicht die halbe Welt wissen, wo ich bin.«
»Vielleicht erlauben Euer Gnaden dennoch, dass ich Euch mit den Möglichkeiten für gewisse geschäftliche Aktivitäten in unserer bescheidenen Stadt in allgemeinen Zügen vertraut mache?«
Der devote Tonfall und die unterwürfige Gestik des Geschäftsmannes stimmten den Grafen milde, er las den Namen von der Visitenkarte. »Herr Pasqualini, schätzen Sie Zigarren und Cognac?«
»Außerordentlich, Euer Gnaden.«
»Gut, dann setze er sich und leiste er mir Gesellschaft. Und tu er nicht halsbrecherisch tiefstapeln, Herr Pasqualini, weil wenn in der Monarchie die Geschäfte gut geölt laufen, dann bestimmt hier an der oberen Adria. Also, ich bin ganz Ohr.«
*
Der Tod war ein einträgliches Geschäft.
Wenn man sich darauf verstand.
Man musste sich als Mensch dem Tod zur Gänze verschreiben, man musste den Tod jederzeit willkommen heißen, ihn mit größtmöglicher Gastfreundschaft bewirten und immerzu bereit sein, ihm den geforderten Tribut zu zollen. Denn ein so verlässlich wiederkehrender Gast der Tod auch sein mochte, er kam nie umsonst und er forderte unausweichlich seinen Lohn. Diesen hatte man zu bezahlen. Erst dann konnte man als Mensch auch an diesem Geschäft teilhaben und einen Teil des Profits einstreichen. Der Tod musste mit dem Leben bezahlt werden, das war allen klar.
Das Töten war ein lukratives Geschäft.
Wenn man sich darauf verstand.
Die Kunst war, dem Tod nicht das eigene Leben zu überantworten, sondern ein anderes. Kunst konnte brotlos sein, praktiziert von Hungerleidern, Traumtänzern und Verrückten. Kunst konnte aber auch zu Ruhm, Anerkennung und Reichtum führen, wenn sie von Meistern, Virtuosen und Genies praktiziert wurde. Hierin sah er sein Metier.
Der Mann bewegte sich einem Schatten gleich durch die engen Gassen der Altstadt. Er verschwand hinter einer Ecke, trat durch eine versteckte Tür und huschte eine dunkle Treppe hoch. In jeder Stadt konnte man diskrete Zimmer in unscheinbaren Häusern mieten, man musste nur wissen, mit wem man zu sprechen und wie viel man für Diskretion zu bezahlen hatte.
Er hatte alles genau gehört und eine Idee gehabt. Nun galt es, aus der Idee einen Plan zu schmieden. Er war gut in solchen Dingen.
Mord war sein Geschäft.
Weil er sich darauf verstand.
*
Carolina blickte zur roten Sonne am fernen Horizont und sah über das offene Meer. Wie schön! Eine lebhafte Brise schlug ihr entgegen, Wolken zogen schnell vom Meer auf das Land zu, reflektierten das Licht der tief stehenden Sonne und tauchten den gesamten Golf von Triest in glühend rote Abendstimmung. Was für ein großartiges Naturschauspiel. Sie stand am Ende des Molo San Carlo und war fast versucht, die Arme von sich zu strecken, wie eine Möwe die Brise einzufangen und mit wenigen Flügelschlägen weit hinaus aufs offene Meer zu fliegen. Sie war in Euphorie. So schmeckte die Freiheit! Der köstlichste Geschmack der Welt.
Wo war Friedrich?
Carolina wandte sich um und suchte im Gewühl. Auf der rechten Seite des Molo lagen die kleinen Lokaldampfer für den nahen Küstenverkehr, auf der linken Seite die Dampfer des Österreichischen Lloyd, die den adriatischen Schiffsdienst bestritten. Die bedeutendste Schifffahrtsgesellschaft der österreichisch-ungarischen Monarchie bediente nicht nur die Linien in der Adria, sondern dominierte auch den Schiffsverkehr in das östliche Mittelmeer und zum Schwarzen Meer, darüber hinaus verkehrten Überseedampfer auf den Eillinien von Triest nach Indien, China und Japan.
Eben stiegen die Fahrgäste des kleinen Dampfers Metcovich aus und füllten den Molo mit Leben. Wie Carolina sah, kehrte das Schiff von seiner Fahrt aus Venedig zurück. Dienstleute versuchten, das Gepäck der Reisenden zu ergattern, eine Gruppe von Hafenarbeitern machte sich bereit, die Fracht des Dampfers auf zwei bereitstehende Pferdefuhrwerke zu verladen. Die Matrosen an Bord brachten den Kran in Stellung, um die geladenen Holzkisten auf den Molo zu hieven. Rund drei Stunden dauerte die Überfahrt von Triest nach Venedig. Mehrere kleine Dampfer pendelten täglich zwischen den beiden großen Städten der oberen Adria und sorgten für rege wirtschaftliche und kulturelle Kontakte zwischen Österreich-Ungarn und Italien.
Carolina schob sich durch das Gedränge.
Sie schaute an der hohen Eisenwand des Dampfers Gisela empor, der morgen um acht Uhr in Richtung Cattaro ablegen und auf dem Hin- und Rückweg alle großen Hafenstädte der dalmatinischen Küste anlaufen würde. An Bord brannten viele Lichter, so manche Fahrgäste hatten sich schon eingeschifft und schauten von oben herab auf das lebhafte Treiben. Zwei Kinder winkten Carolina. Sie erwiderte den Gruß.
Sie wandte sich ab und suchte wieder nach Friedrich. Da! Zwei Augen blitzten aus der Menge hervor. Sie eilte los, Friedrich griff nach ihren Händen und zog Carolina an sich.
»Da bist du ja endlich!«
»Friedrich,