Das Wasserkomplott. Jürgen-Thomas Ernst
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»Danke, dass Sie hier sind.« Als er ihre verschüchterten Blicke sah, die ihn unwillkürlich an zwei verängstigte Küken erinnerten, setzte er fort: »Ich will Sie nicht auf die Folter spannen. Nur einige kleine Formalitäten. Sie sind Amanda Fink, 19, und Fynn Stamm, 21?«
Beide nickten und legten ihre Ausweise auf den Schreibtisch. Der Notar notierte etwas auf einem Vordruck und meinte anerkennend: »So jung und schon so erfolgreich.«
Rasch schob er ihnen die Ausweise zurück und öffnete eine Schublade. »Ich habe wichtige Informationen für Sie.« Mit diesen Worten legte er ein großes braunes Kuvert auf den Tisch, das er mehrere Male behutsam mit der Hand berührte. »Franziska Weller. Vielleicht sagt Ihnen dieser Name etwas.«
Beide schüttelten die Köpfe. Amanda dachte: Vielleicht hatte Fynn irgendwo eine Tante, von der er nichts wusste, und jetzt erbt er eine tolle verfallene Villa. Sie musste schmunzeln, aber nur kurz, denn dann klärte der Notar sie auf.
»Franziska Weller ist die Witwe des Fabrikanten Paul Weller. Mit seinen Patenten hat er ein Vermögen gemacht. Das Paar hatte weder Kinder noch Geschwister und auch keine Verwandten. Frau Weller ist vor Kurzem im gesegneten Alter von 104 Jahren gestorben. Ihr Verwalter hat uns diesen Umschlag zukommen lassen. Darin befinden sich etliche Unterlagen, die Sie betreffen oder in weiterer Folge betreffen könnten. Frau Weller hat den Großteil ihrer Immobilien einem Sozialhilfeteam vermacht, das sich dafür einsetzt, die Not benachteiligter Menschen ein wenig zu lindern und den Ärmsten der Armen ein erträgliches Dasein zu ermöglichen. Und zusätzlich gibt es diese Sache. Aber vielleicht beginne ich mit dem Brief, den Frau Weller eigenhändig an Sie verfasst hat. Sind Sie bereit?«
Amanda hielt Fynns Hand. Er spürte, wie sie schwitzte und zitterte. Schüchtern nickten sie dem Notar zu, und Fynn stieß hörbar Luft aus seinen vollen Backen. Die Aufregung war kaum zu ertragen.
Der Notar begann zu lesen: »Sehr geehrte Frau Fink, sehr geehrter Herr Stamm!
Es freut mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind. Gerne hätte ich Sie persönlich begrüßt, aber leider ist das nicht mehr möglich, da ich inzwischen an einem Ort bin, an dem wir einander nicht treffen können. Ich habe Ihr Engagement, das Sie in den letzten Jahren zum Wohle der Natur gezeigt haben, mit regem Interesse verfolgt. Mit großer Freude habe ich vernommen, dass es Ihnen gelungen ist, durch eine Spendenaktion ein weitläufiges Hochmoor zu erwerben, das ohne Ihren Einsatz trockengelegt und einer intensiven Landwirtschaft zugeführt worden wäre. Sie haben mit Ihrer Energie ein Naturjuwel bewahrt, an dem auch noch Ihre Nachfahren Freude haben werden. Davon bin ich überzeugt. Mein Mann hat mir nach seinem Ableben ein großes Vermögen hinterlassen. Darunter auch eine 37.000 Hektar umfassende Naturlandschaft. In diesem Gebiet befinden sich Bäche, Flüsse, Teiche und Seen, ausgedehnte Mischwälder, Hochmoore und Trockenrasenwiesen. Ich möchte Ihnen diese Fläche gerne vermachen, wenn Sie bereit sind, einige Auflagen zu erfüllen – und ich bin überzeugt, dass Sie das gerne tun werden. Sie bestehen darin, dass im gesamten Gebiet keine Bauwerke und keine befestigte Straße errichtet werden dürfen, damit sich die Fauna und Flora bestmöglich entwickeln kann. Falls Sie das Erbe annehmen, erhalten Sie zudem finanzielle Mittel. Damit können Sie Ihre Arbeit für das Schutzgebiet bezahlen und Untersuchungen durchführen lassen, um die Entwicklungen der Pflanzen- und Tierwelt zu dokumentieren. Ich würde mich sehr geehrt fühlen, wenn Sie mein Geschenk annähmen und verbleibe in dieser Hoffnung mit herzlichen Grüßen, Ihre Franziska Weller.«
Behutsam legte der Notar das Schreiben zur Seite und blickte die beiden an. Er kannte solche Gesichter. Er hatte schon etlichen Menschen ähnliche Nachrichten überbracht, und die Reaktionen glichen einander auf verblüffende Weise. Große Augen, offene Münder und Staunen. Der Notar sah Amandas Halsschlagader. Sie bewegte sich. In ihr pulste aufgeregtes Blut, das wusste er.
»Ähm. Also, das ist jetzt …«, meinte Amanda.
»Puh«, setzte Fynn fort. »Ich bekomme gerade eine Gänsehaut.«
Amanda lächelte verlegen. »Bevor wir das Erbe annehmen … Ich meine, dürfen wir das Gebiet vorher etwas genauer ansehen?«
Der Notar lächelte. »Natürlich dürfen Sie das«, sagte er und berührte mit der Handfläche das dicke braune Kuvert. »Hier befinden sich alle Unterlagen, die Sie brauchen.«
2. Kapitel
Amanda hatte Fynn vor zwei Jahren während einer Demonstration gegen den Klimawandel kennengelernt. Sie war damals 17 gewesen und er 19. Solche Demos wurden in vielen Städten abgehalten, und häufig kamen Tausende Menschen zu diesen Treffen.
Sie erinnerte sich genau daran. Fynn hatte eine selbst beschriftete kleine Tafel in der Hand gehalten, die an eine Holzlatte genagelt war. »Der Planet gehört uns allen«, stand darauf.
Sein blasses Gesicht fiel ihr auf und die lockigen braunen Haare, die ihm in die Augen hingen. Er wirkte schüchtern und gleichzeitig selbstbewusst und höflich. Und er lächelte oft und sanft.
Sie gingen während der gesamten Demonstration nebeneinander her und wiederholten die Parolen und Gesänge, die einer durch ein Mikrofon sprach. Danach saßen sie zu zweit auf der Terrasse eines Kaffeehauses und tranken Ingwertee. Es war Herbst. Das Laub torkelte gelb, rot und braun von den Bäumen, und es war so warm wie im Sommer.
Irgendwann an diesem Nachmittag fragte Amanda Fynn nach seinen Eltern und Geschwistern. Fynn blickte nachdenklich hinüber zu einem Ahornbaum, der gerade ein Blatt nach dem anderen in den Herbst entließ.
»Ich kann mich genau daran erinnern«, erzählte er. »Ich war fünf und ging in den Waldkindergarten. Und da war auf einmal meine Großmutter. Meine Großmutter weinte. Sie weinte sonst nie. Ich hielt gerade einen Hammer in der Hand und schlug Nägel in ein dickes Brett, aber als ich die Großmutter sah, legte ich den Hammer und die Nägel behutsam nieder und ging ihr entgegen. Sie eilte auf mich zu und drückte mich fest an sich. ›Deine Mama‹, sagte sie unter Tränen, ›und dein Papa‹. Sie schluchzte und brachte kein weiteres Wort mehr heraus. Später erfuhr ich, dass beide kurz zuvor bei einem Autounfall gestorben waren. Seit diesem Tag lebe ich bei meiner Großmutter. Einmal, es war vielleicht ein halbes Jahr nachdem meine Eltern gestorben waren, machte sie Marmelade ein. Es war Sommer und sehr heiß. In einem Topf köchelten Himbeeren vor sich hin. ›Weißt du‹, sagte sie und sie weinte, während sie es sagte. ›Manchmal verändert sich das Leben mit einem einzigen Paukenschlag. Auf einmal ist alles anders. Aber wir sitzen jetzt hier, du und ich, und dieser wunderbare Duft der Himbeeren weht durch die Küche. Ich sehe, wie die Sommersonne gerade auf deinen Oberarm scheint. Wir haben einander. Und das sollte uns Halt geben, nicht? Ja‹, sagte sie, ›das ist momentan alles sehr schwer für uns, aber wir müssen immer daran denken, dass uns diese wunderbaren Augenblicke, die wir jetzt erleben und in Zukunft erleben werden, niemand nehmen kann. Wir sollten sie in uns aufbewahren wie große Schätze, verstehst du?‹ Und dann nahm sie mich in die Arme, und ich war so froh, dass es sie gab und sie für mich da war.«
Das Haus, in dem Fynn mit seiner Großmutter wohnte, lag an einem Südhang, und die Großmutter versicherte ihm immer wieder, dass es schon 400 Jahre alt sei. Vor dem Haus gab es einen großen Garten, der im Osten und Westen von einer hohen Buchenhecke eingefasst war. Nach Süden folgte ein Abhang mit mehreren Terrassen, auf denen die Großmutter Gemüse- und Blumenbeete angelegt hatte. Dazwischen, wie hingestreut, standen Nuss-, Kirsch- und Zwetschgenbäume. »So«, sagte die Großmutter manchmal, »genau so stelle ich mir das Paradies vor.«
Einige Tage nach der Klimawandeldemo schrieb Fynn Amanda