Das Wasserkomplott. Jürgen-Thomas Ernst
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Читать онлайн книгу Das Wasserkomplott - Jürgen-Thomas Ernst страница 5
Fynn streichelte ihre Wange und steckte die Trinkflasche zurück in den Rucksack. »Sollen wir nicht zuerst einen Zeltplatz suchen, bevor es dunkel wird?«
»Gleich finden wir einen. Ganz bestimmt.« Amanda küsste ihn und sie gingen weiter.
Ihr Weg führte sie durch einen Hochwald. Einige Bäume waren längst umgefallen, moderten vor sich hin und waren von Schwämmen und Pilzgeflechten übersät. Es roch nach feuchter Erde, Nadeln und Harz. Amanda seufzte zufrieden. Immer, wenn ihr diese Gerüche in die Nase stiegen, musste sie an die Wanderungen mit ihrem Vater denken, die sie früher an den Wochenenden unternommen hatten. Sie war vielleicht sieben oder acht gewesen, als sie damit begonnen hatten. Meistens waren sie kreuz und quer durch das Gelände gestreift, hatten Beeren und Pilze gesammelt, sich auf Moosteppichen ausgeruht und mitgebrachte Brote gegessen. Sie waren bei jedem Wetter unterwegs. Egal, ob die Sonne schien, ob es regnete, schneite oder neblig war. Manchmal nahmen sie ihr Zelt mit und campierten auf einer Lichtung. Dann entfachten sie ein kleines Feuer, brieten Würste und kochten Tee. Und nachts, wenn vor dem Zelt etwas knackte oder ächzte, klammerte sie sich ängstlich an ihren Vater, und ihr Vater streichelte ihr über die Stirn und das Haar und versicherte ihr, dass alles gut sei. Dadurch fühlte sie sich so sicher und geborgen, dass sie meistens gleich wieder einschlief. Amanda war in diese Wanderungen verliebt und sie hatten gewiss ihre Leidenschaft für die Natur geweckt. Alles Weitere, der Einsatz für das Moor, das drainiert werden sollte, die Spendenaktion und die Rettung des Moores wären ohne diese Erlebnisse niemals möglich gewesen. Davon war sie überzeugt.
Der Weg schlängelte sich hügelauf und hügelab durch den Wald.
»Ein Wildwechsel«, sagte Fynn, »bestimmt.«
Wenn Fynn in seiner braunen Cordhose so vor ihr her ging, wurde sie jedes Mal verrückt nach ihm. Manchmal musste sie einfach seinen Rücken berühren, seine Arme, ihm durch das lockige Haar fahren, ihn küssen oder ihm sagen: »Ich hab dich so lieb.«
Der Pfad führte eine Anhöhe hinauf und wieder eine Senke hinab. Sie folgten ihm über eine Stunde, als Fynn hinter einer großen Kiefer auf einmal das Blau eines Sees schimmern sah.
»Wow«, flüsterte er. »So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Glaub ich nicht«, sagte Amanda.
Das Ufer des Sees glich einem lang gezogenen C und war mit feinen Kieselsteinen und einigen Sandbänken bedeckt.
»Da hinten«, meinte Fynn, »unter den Kiefern liegt eine Schicht weicher Nadeln und der Boden ist eben. Hier sollten wir unser Zelt aufstellen.«
»Wunderbarer Platz«, meinte Amanda zufrieden.
Nachdem sie gegessen und einen Ingwertee getrunken hatten, saßen sie zufrieden am Ufer des Sees. »So still hier«, flüsterte Fynn, während er auf das glatte Wasser sah, auf dem das Licht des Mondes glitzerte. Das Schilf neigte sich träge hin und her, und ein Blässhuhn glitt langsam vorüber.
»Was für ein Ort«, sagten beide gleichzeitig.
»Das glaubt uns keiner, Fynn.«
4. Kapitel
Der Notar lächelte wie ein gütiger Vater, als er ihnen zwei Verträge zur Unterschrift vorlegte. Amandas und Fynns Herzen rasten und beide wussten, das hier war ganz besonderer Moment. Ein Moment, der alles veränderte und ihr Leben von der einen zur anderen Sekunde in andere Bahnen lenkte. Amanda konnte ihre Stelle als Sachbearbeiterin beim Amt kündigen und Fynn seine öde Tätigkeit als Fakturist in der größten Textilfabrik des Ortes.
Mit Grauen musste er daran zurückdenken, wie er dort Rechnungen an Kunden geschrieben hatte und des Öfteren bei seinem Vorgesetzten vorsprechen musste, um sich dafür zu entschuldigen, dass er wieder einmal eine Zahl falsch eingetippt hatte. Sein Vorgesetzter fragte ihn stets, ob dieser Job schon das Richtige für ihn sei. Und Fynn hatte gewusst, dass er das nicht war, aber trotzdem jedes Mal mit vorgetäuschter Überzeugung gesagt: »Doch, doch, das ist er. Das müssen Sie mir unbedingt glauben.«
Sie würden von nun an für edle Ziele verantwortlich sein. Für Abermillionen Tiere und Pflanzen, für das Wohl der Natur, und das war eine der schönsten Aufgaben, die man sich vorstellen konnte.
Im Büro des Notars war es vollkommen still. Nur zwei Stifte kratzten leise über zwei Bögen Papier. Anschließend schoben Amanda und Fynn die unterschriebenen Dokumente mit den Fingerspitzen dem Notar zu.
Unglaublich, dachte Amanda. Wenn ihnen vor zwei Monaten jemand prophezeit hätte, dass sie bald Eigentümer des größten privaten Schutzgebietes des Landes sein würden, hätte sie diese Person für vollkommen verrückt gehalten.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es kaum glauben.«
Fynn war sprachlos vor Glück.
»Hier befinden sich alle wichtigen Unterlagen«, erklärte der Notar, als er eine Hand auf das dicke braune Kuvert legte. »Verträge, Kaufurkunden, Voreigentümer, Pläne von Wasserquellen, alles. Der Verein muss innerhalb eines Jahres gegründet werden. Danach sind Sie die rechtmäßigen Eigentümer des Gebietes.«
»Und das«, und nun nahm er ein schlankes gelbes Büchlein in die Hand, das in einer stabilen Klarsichthülle steckte, »ist das Sparbuch. Mit den Einlagen können Sie Ihre Arbeit für die Natur finanzieren, ein Vereinslokal erwerben, Untersuchungen im Schutzgebiet durchführen lassen, Referenten zu Vorträgen einladen, Werbungen schalten und um Spenden für den Verein bitten. So, ich glaube, das wäre alles.«
Amanda nickte zustimmend und Fynn meinte: »Puh. So viel Glück ist kaum zu ertragen. Das haut mich beinahe um.«
Als sie das Stiegenhaus des Gebäudes hinuntergingen, hörten sie es schon. Alphörner erklangen. Zunächst dachten sie sich nichts dabei. Aber als sie auf den Vorplatz traten, sahen sie es. Drüben, vor ihrem Auto, standen sie. Zwei Musiker mit ihren langen Alphörnern, die musizierten, und daneben eine applaudierende Menge.
»Wir dachten, dass man ja nicht jeden Tag ein Gebiet in dieser Größenordnung geschenkt bekommt«, sagte Amandas Vater gerührt, als er seine Tochter in die Arme nahm. Amandas Mutter war da, Fynns Großmutter, Verwandte und Freunde.
»So einen Augenblick muss man feiern!«, meinte die Großmutter strahlend und drückte Fynn fest an sich. »Ich bin so stolz auf euch.« Danach stießen sie mit Sektgläsern auf dieses Ereignis an. Amandas Vater hatte auf der Grünfläche, die an den Parkplatz angrenzte, sogar ein kleines Partyzelt und Tischbänke aufstellen dürfen.
»Wie habt ihr das nur geschafft?«, fragte Amanda.
»Ach«, erklärte ihr Vater. »Wir sind zum Eigentümer der Wiese gegangen und haben ihm gesagt: ›Wir müssen da unbedingt etwas Großes feiern und brauchen deine Wiese dazu.‹« Und drüben saß der Mann, über den ihr Vater gerade sprach, und winkte fröhlich.
»Verrückt«, sagte Fynn. »Einfach verrückt.«
Der Verein, den sie einige Wochen später gründeten, wuchs schon nach kurzer Zeit auf über 300 Mitglieder an und trug unter Insidern bald den Codenamen »Die Familie«. Naturschutzmagazine berichteten euphorisch über das Gebiet und die Ziele, die Amanda und Fynn verwirklichen wollten. In lokalen Tageszeitungen blickten sie von Titelseiten, und kleine Radiosender und Fernsehstationen baten sie um Interviews.