Das Wasserkomplott. Jürgen-Thomas Ernst
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Amanda und Fynn versuchten die Landwirte zuerst mit höflichen Briefen zu beruhigen. Aber das schien sie nicht zufriedenzustellen, denn sie klagten kurz danach vor Gericht auf Schadensersatz. Ein Teil des Guthabens versickerte rasch in Anwaltskosten und kurz schien es, als würde der Druck der Bauern so groß, dass die beiden das Erbe zu verlieren drohten.
Wütend äußerte sich ein Landwirt in einer Radio-Livesendung über die neuen Eigentümer und bezeichnete die Naturschutzaktivisten als Schädlinge der Gesellschaft. Je länger das Gespräch dauerte, desto enthemmter wurde er. »Das sind doch faule Leute«, erklärte er. »Und am schlimmsten sind die reichen Spinner, die diese Faulheit auch noch finanzieren. Diese jungen Nichtstuer sollen zuerst einmal arbeiten, anstatt sinnlos durch verwildertes Gebiet zu spazieren, um dort Käfer und Bäume zu zählen oder andere Sinnlosigkeiten aufzuführen, die niemandem etwas nützen!«
Immer wieder sprachen die Landwirte bei hohen Politikern vor. Gleichzeitig machten einige der Landwirte Amanda und Fynn über Strohmänner Kaufangebote, die versicherten, dass durch juristische Winkelzüge das Testament der alten Frau für ungültig erklärt werden könne. Die Strohmänner warnten Amanda und Fynn außerdem vor der nicht zu unterschätzenden Macht einiger Bauern, die in der Lage seien, auch außergerichtliche Mittel einzusetzen, um Druck auf die neuen Eigentümer auszuüben.
Doch dann wurde ein Naturschutzmagazin auf die missliche Lage der Familie aufmerksam. In der nächsten Ausgabe titelte es mit der Überschrift »Gier«, zeigte auf der ersten Seite einen grünen Traktor in einem großen abgemähten Feld und verurteilte die Agrarwirte im Artikel als weltfremd, raffgierig und profitgeil.
Als immer mehr Medien über das gerichtliche Vorgehen der Bauern berichteten, wuchs der Unmut der Bevölkerung. Die Klage wurde zum öffentlichen Ereignis und der Druck so groß, dass selbst die Richter davon nicht unbeeinflusst blieben.
Das Unglaubliche geschah: Die Kläger verloren und verzichteten darauf, den Rechtsstreit weiterzuführen. Die Medien feierten den gewonnenen Prozess als einen Sieg der leidenschaftlichen Jugend gegen die Gier des Alters. Die Spenden nahmen derart zu, dass die Familie damit sogar einen großen verwilderten Obstgarten erwerben konnte, der an ihr Schutzgebiet angrenzte und an dessen Rändern üppige Inseln aus Wildrosenhecken und Holundersträuchern gediehen.
»Das ist die Magie der Jugend«, titelte eine Naturschutzzeitschrift. »Eine Jugend, die Kraft hat und Visionen, denen sie durch ihren bedingungslosen Einsatz Leben einhauchen. Danke, Familie, für dieses große Zeichen der Hoffnung, das ihr uns geschenkt habt. Und eines steht fest: Wir Menschen haben den Kampf für eine saubere, klimafreundliche Zukunft noch nicht verloren. Denn diese engagierte junge Generation handelt, sie handelt für eine intakte Umwelt, für eine intakte Natur und letztlich auch für das Glück der Menschen auf dieser Welt.«
Amanda und Fynn waren wie besessen von ihrer Leidenschaft. Endlich gab es etwas, das ihrem Leben Sinn verlieh. Wie wohltuend war es, von einer Sache restlos überzeugt zu sein. Viele Menschen würden ihrem Beispiel folgen, davon waren sie überzeugt, diese positive Kraft würde wachsen wie eine schöne Blume, und ihre Wurzeln würden eines Tages die gesamte Welt umspannen. Alles würde besser werden. Der Klimawandel gestoppt. Die Eisbären hätten wieder ihren Platz auf der Welt, den sie seit Jahrtausenden bewohnten, die Ressourcen würden nicht mehr verschwendet.
In diesen Tagen unterstützten Amanda und Fynn auch Experten bei ihren Feldstudien im Gelände. Darunter waren Biologen, die sich vor allem für tote Bäume interessierten, oder Ornithologen, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die Verbreitung und das Optimieren der Lebensverhältnisse von Weißrückenspechten zu erforschen. Amanda und Fynn erfuhren von Schachtelhalmkolonien, die über 300 Jahre alt waren, sich ausbreiteten wie riesige Teppiche und doch eine einzige Pflanze als Ursprung hatten. Sie hörten von Schluchtgemsen, die abgelegene Bergtäler bevölkerten und die kaum jemand zu Gesicht bekam, weil sie so scheu waren.
Einmal begleiteten sie einen introvertierten Biologen, der sich seit über 30 Jahren mit Pflanzensystemen in Feuchtgebieten beschäftigte. Er hatte 20 Bücher zu diesem Thema geschrieben und galt als Koryphäe auf diesem Gebiet. Als sie ihm durch die Natur folgten, fielen ihnen seine trägen Schritte auf und seine Augen, die stets auf der Suche nach interessanten Pflanzen waren. In seiner Hand hielt er eine Lupe, deren Durchmesser dem eines Fußballs nahekam. In einem Moor sank er unvermittelt auf die Knie und schien Amanda und Fynn, die neben ihm standen, gänzlich zu vergessen. Er bemerkte auch nicht, dass sich seine Hose an den Knien gerade mit Wasser vollsog. Vor seinen Augen hielt er die Lupe und flüsterte mehr zu sich selbst als zu seinen Begleitern: »Immer wieder verrückt, dieser Einfallsreichtum, diese Überlebensstrategien.« Dann, als erwache er plötzlich aus seinen Gedanken, hob er den Kopf. »Das müsst ihr euch ansehen. Es ist unglaublich.«
Durch das Glas entdeckten sie eine blassgrüne Pflanze mit zwei Seitenblättern, die in rötliche Tentakel übergingen und an deren Enden kleine Tröpfchen hingen, die in der Sonne funkelten.
»Ein Spezialist für extreme Standorte, für kargste Lebensbedingungen. Der Sonnentau. Er wartet, bis ein Insekt von seinen glitzernden Tropfen angelockt wird. Die Tropfen täuschen Nektar vor. Ameisen oder Fliegen lassen sich davon blenden. Und zack, werden die Tentakel zu Fangarmen, aus denen es kein Entkommen mehr gibt. Das Tierchen wird in seine Bestandteile aufgelöst und ermöglicht dem Sonnentau, an einem Standort zu überleben, der so sauer ist, dass die meisten anderen Pflanzen, die hier keimen, kurz danach eingehen.«
Amanda und Fynn erfuhren von Dingen, von denen sie bis dahin nicht gewusst hatten, dass es sie überhaupt gibt. Von Hangschluchtwäldern und Tuffquellen etwa oder dem Reich der Pilze, die totes Holz in seine Bestandteile zerlegten und zu Erde werden ließen.
In diesen Tagen verbrachten sie ihre freie Zeit meistens im Haus der Großmutter. Seit er fünf war, besaß Fynn im ersten Stock des Hauses ein gemütliches und ruhiges Zimmer. Es war seit jeher sein sicherer Hafen und Zufluchtsort. Und hier ließ sich bestens studieren, lesen und nachdenken.
Amandas und Fynns Hunger nach Wissen über die Flora und Fauna war riesig. Neben dem Bett türmten sich bald Dutzende Zeitschriften, Facharbeiten und Broschüren. Sie wollten alles über die Natur und ihre Zusammenhänge wissen, denn wie stand es im Vorwort eines dieser Bücher? »Nur was ihr kennt, könnt ihr auch schützen.«
»Sagenhaft«, flüsterte Amanda an einem regnerischen Sonntagvormittag, als sie ihre Beine unter der warmen Decke ausstreckte und ein Buch über die Geheimnisse der Wälder zur Seite legte. »Das glaubst du gar nicht. Wir können so viel von der Natur lernen, Fynn. So viel über unsere Haltung zur Welt. Die Tanne zum Beispiel. Sie kann jahrzehntelang im Schatten eines Waldes stehen und wird dadurch nicht größer als drei, vier Meter. Und obwohl sie beinahe kein Licht bekommt, gibt sie nicht auf. Sie macht schmalste Jahresringe, kleinste Triebe und bildet winzige Wurzeln aus. Aber tief in ihr schlummert eine Kraft, die darauf wartet, dass ein Sturm über das Land zieht oder schwerer nasser Schnee fällt, der sich wie Blei auf die Äste jener Bäume legt, die sich hoch über ihr befinden. Wenn die großen Äste oder Kronen schließlich zu knacken beginnen und abbrechen und sich ein Lichttor öffnet, geschieht es. Die Ereignisse explodieren. Denn kaum spürt die Tanne das Licht über ihrer mickrigen Krone, ist es, als ob ein Schalter in ihr umgelegt worden wäre. Allmählich, aber unaufhaltsam streckt sie die Wurzeln, die Triebe werden länger und länger und die Jahresringe breiter und breiter. In ihrer ganz eigenen Geschwindigkeit schießt sie dem Himmel