Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

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Der Verdrüssliche - Eva Holzmair

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ausgelegt hat. Träumt ihr Bub dort von seinem Retter, dem edlen Winnetou? Oder ist das sein Versteck, in das er sich flüchtet, wenn der böse Mann mit den suchenden Augen aufkreuzt? Bis vor Kurzem war das ein normales Kinderzimmer, aber nun? So viele Fragen, und Gitta weiß keine Antworten. Gehört das zu ihren Tasks? Nach Antworten suchen?

      - Mama!

      Ach ja, Bernhards Hausübung. Sie nimmt das Heft, das er ihr entgegenhält, hoch und liest:

      Der Riese und der Zwerg

      Es war eimal ein kleiner Zwerg der ging in die Weld und wolte einen Menschen sechen. Da begegnete er einem Riehsen. Der Riese sakte: Was is den das für ein Wurm? Der Zwerg sakte: ich bin kein Wurm. Der Riese lachte du Bist ein Wurm sakte der Riese. Macht nix sakte der Zwerg. Bin ich hald ein Wurm. Dafür habe ich einen Manschen gesechen der war ein Riese kann ich sagen.

      Klingt nicht nach Furcht. Ihr Bernhard hat Fantasie, keine Angst.

      - Das ist eine schöne Geschichte.

      - Sind Fehler drinnen?

      - Nur ganz wenige.

      - Wirklich?

      - Ja. Habt ihr diese Geschichte in der Schule gehört?

      - Nein, die hab ich mir ausgedacht. Die Lehrerin wollte, dass wir selbst ein Märchen erfinden, mit Feen und Zwergen und so.

      Behutsam weist Gitta auf die Rechtschreibfehler hin. Bei den Satzzeichen ist sie unsicher, ändert daher nichts. Sie muss ein paar Mal den Hals freiräuspern, während sie spricht. Müde setzt sie sich auf Bernhards Bett und beobachtet ihn, wie er, über den vielfach bekritzelten Schreibtisch gebeugt, die Fehler ausbessert.

      Irgendwo schwillt der Klingelton von Gittas Handy an. Sie reagiert nicht. Erst als Bernhard meint – soll ich es holen? –, rennt sie zu ihrer Handtasche. Es ist Ivos Assistentin, die mitteilt, dass der Chef morgen die Bilder holen wird. Gitta solle auf alle Fälle mitfahren und beim Hängen dabeisein.

      - Der Golfclub ist in einem Landschloss untergebracht. Die ehemaligen Besitzer konnten es nicht mehr erhalten. Es wurde fantastisch renoviert und adaptiert. Du wirst begeistert sein.

      Gitta ist alles andere als begeistert, lässt sich aber nichts anmerken. Im Atelier sieht sie nochmals die ausgewählten Bilder kritisch durch. Da hört sie Bernhard sagen:

      - Du, Mama, ich hab Hunger.

      Natürlich. Sie hat das Mittagessen vergessen. Kein Wunder an einem solchen Tag.

      - Gleich. Ich koche uns was Besonderes. Magst du mir helfen?

      - Muss ich?

      - Du musst nicht.

      Noch kurz starrt sie auf ihre Werke, bevor sie in die Küche eilt und Reis auf den Herd stellt. Rasch das Fleisch schnetzeln und das Gemüse in Streifen schneiden. Die Klinge so stumpf. Gibt’s denn keine scharfen Messer? Ah hier! Fuck! Die sind um nichts besser. Warum hat sie sich bloß dieses chinesische Gericht eingebildet? Ach ja, wegen Paul. Zur Feier des Tages. Paul ist aber schon wieder weg. Es gibt nichts zu feiern. Trotzdem schneiden. Wenn sie nicht dauernd abrutschen würde. Vielleicht sollte sie den Paprika von innen … Der Reis, shit, shit, kocht über. Mit einem feuchten Lappen wischt Gitta die milchige Brühe von Herd und Topfrand, gießt etwas Wasser nach und dreht die Temperatur zurück. Das wilde Pochen im Hals, das muss aufhören. Sofort! He, es klappt! Was sie nicht alles kann. Gitta legt sich das Gemüse auf dem Schneidbrett zurecht. Bei Michi sah die Zubereitung so leicht aus. Kein Wunder bei deren Auswahl an blinkenden Klingen. Michi. Die älteste, auch einzige und treueste Freundin, die Gitta hat, und nie ruft sie an, überlässt Michi die Initiative. Warum? Weil Michi wissen will, wie es ihr geht? Sie verkriecht sich zu sehr, muss endlich ihr Schneckenhaus verlassen. Wird sie gleich tun. Doch zuerst Kochen, dann die Psychotante. Das Fleisch. Quer zur Faser schneiden, hat Michi gesagt. Was für ein Geschnipsel! Sie könnte größere Stücke … Nein. Weitermachen. Sie wird das zu Ende bringen. Das Messer gerade halten, nicht zu stark niederdrücken. So. Die letzten Schnitte … fünf, vier, drei, zwei, eins. Yesss! Gitta betrachtet die Fleisch- und Gemüsestreifen. Zwei Fitzelhügel, der eine blassrosa, der andere gelb, rot und grün. Zum Malen schön. Nichts da! Öl erhitzen, rein in die Pfanne mit dem Stillleben, kurz anbraten, würzen. Wo ist die Sojasauce? An der Supermarktkasse liegengelassen? Nein, nein, da ist sie ja! Huch, wie das aufschäumt! Hätte sie die Hitze reduzieren sollen? So genau hat sie Michi nicht zugeschaut. Aber jetzt kann sie sicher abdrehen. Richtig. Tisch decken, Wasser her. Kochen macht durstig.

      - Bernhard, Essen!

      Er steht schon in der Tür. Seit wann?

      - Mama, du hast dich angepatzt.

      Gitta sieht an sich herab und dann auf Arbeitsplatte und Herd. Ein Schlachtfeld. Egal. Jetzt wird gegessen. Wie es Bernhard schmeckt! Er nimmt zweimal nach. Sie hat etwas Gutes zustande gebracht. Yeah!

      Wieder läutet das Telefon. Es ist Bernhards Freund Georg, der ihn zum Fußballspielen einlädt.

      - Mama, der Clemens und der Andi kommen auch in den Park. Dann sind wir eine richtige Mannschaft.

      Gitta hat Tränen in den Augen. Geh nur, flüstert sie. Er macht es ihr so leicht. Sie muss nicht einmal überlegen, ob sie ihn mitnimmt. Er hat Freunde, spielt mit ihnen. Bernhard ist ein ganz normales Kind.

      - Mama, bist du traurig?

      - Ich weiß nicht, vielleicht nur müde. Du weinst ja auch manchmal vor Müdigkeit.

      - Mama?

      - Ja?

      - Ist der Papa weg, weil ich schlimm war?

      - Nein, bestimmt nicht. Außerdem warst du nicht schlimm.

      - Ich mein, in der Schule.

      - Auch dort nicht. Die Frau Lehrerin hat dich gelobt.

      - Wirklich?

      - Ganz wirklich.

      Dieses Strahlen. Das kann doch bloß ein Kind, das …

      - Darf ich gehen? Die ander’n warten.

      - Ja, natürlich. Aber komm bitte bis spätestens halb sieben heim.

      Während sie das sagt, tippt Gitta auf Bernhards bunte Armbanduhr, die er von Paul zum Geburtstag bekommen hat. Gewünscht hat sich Bernhard ein Smartphone, doch Paul ist nicht darauf eingegangen. Erst die Uhr lesen lernen und pünktlich sein, dann können wir über ein Smartphone reden.

      - Wieso so früh?

      - Du musst rechtzeitig ins Bett kommen. Ich bringe dich morgens kaum aus den Federn. Also um halb sieben. Versprochen?

      - Indianerehrenwort!

      Er deutet auf die große Zeitanzeige seiner Uhr und rennt los. Vom Fenster aus winkt Gitta dem Buben, obwohl er gar nicht zu ihr nach oben schaut. Sie räumt den Tisch ab. Zu blöd, dass der Geschirrspüler kaputt ist. Sie muss endlich beim Reparaturdienst anrufen. Morgen. Jetzt Geschirr waschen, Herd putzen und anderes Gewand anziehen. Frau Dr. Hebel wartet.

      XII.

      Gitta

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