Der Verdrüssliche. Eva Holzmair
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Читать онлайн книгу Der Verdrüssliche - Eva Holzmair страница 19
Sie legte das erste Dia ein und begann mit ihrem Vortrag. Kein Danke. Nichts. Ihre Augen tränten, die Stimme zitterte leicht. Erst als sie mittendrin war in den Hainbuchenhecken des Irrgartens von Altjeßnitz, fiel ihr ein, wie unhöflich sie gewesen war. Sie hatte nicht einmal mitbekommen, wann der Mann das Podium verlassen hatte. Nun wurde mit jedem Schieben des Magazins nicht nur ein neues Bild auf die Leinwand projiziert, sondern Carola sah, wann immer sie ein Dia herausnahm und ein weiteres einsetzte, die eine Hand mit dem Stift und die andere am Magazin, die kräftigen Finger des Fremden, die so sicher mit dem widerspenstigen Apparat umzugehen wussten. Sie schob die uralte Blutbuche rein, die Kanzel mit Rundblick über den Garten raus. Der Stift, die Hand. Rein, raus. Welche Farben! Carola hatte gar nicht in Erinnerung, dass das Rot der Blätter so intensiv gewesen war. Vielleicht lag’s an der gewählten Belichtung. Ihre Wangen brannten. Sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Nur nicht verhaspeln. Die Statue der Ceres am Eingang zum Irrgarten. Sie tauschte die Kanzel gegen die steinerne Göttin aus. Ceres rein, die Blutbuche raus. Grauweißer Faltenwurf auf der Leinwand, während die romanische Kapelle wartete. Mit fahrigen Bewegungen holte Carola das Baumbild aus dem Magazin und legte das baufällige Kirchlein ein. Nun wieder schieben. Die Hand, der Stift. Rein, raus. Weiter nach Mosigkau. Ceres raus, Weitwinkelbild des Schlosses rein. Die Hitze, die der Projektor abstrahlte. Die Hand, der Stift. Das ständige Schieben. Rein, raus. Die Hand. Nein, das war nicht seine, das war ihre. Feucht die Innenseite. Sie musste darauf achten, keine Flecken auf den Dias zu hinterlassen. Wieder wechseln. Neues Dia reinschieben und gleichzeitig das soeben gezeigte rausschieben. Rein, raus. Rein, raus. Carola wurde immer heißer. Die Hand, der Stift. Das Rokoko-Schlösschen. Rein, raus. Der nächste Irrgarten. Kein Ausgang in Sicht. Nichts als flirrendes Licht. Carolas Körper ein Backrohr. Irgendwie brachte sie den Vortrag zu Ende. Verstohlen wischte sie die verschwitzten Hände am dunklen Pulli ab und nahm erstaunt das Beifallsgetrommel wahr.
Sie blickte sich um. Da saßen sie: ihr Doktorvater, breit und stolz, Carolas Dissertation sollte nun kein Problem mehr sein; ihre Studienkollegen, manche mit etwas verkniffenen Mundwinkeln, das graue Mauserl hatte mehr drauf als gedacht; und dort hinten er, der fremde Mann, sein Lächeln schwer einzuordnen, doch dass es ihr galt, das glaubte Carola, sie, die immer noch oben auf dem Podest stand, eine unvorteilhaft gekleidete junge Frau, für die Schlabberröcke, als sie noch nicht in Mode waren, schlicht dazu dienten, die dicken Waden zu verstecken. Als das Klopfen auf den Tischen langsam verebbte, drängte sich Carola am Professor vorbei nach hinten, um den großen Mann rechtzeitig einzuholen. Sein Kopf tauchte immer wieder einmal da, einmal dort auf, ragte aus der Menge heraus, während Carola zwischen den hinausdrängenden Leibern stets eine falsche Richtung einschlug. Erst als sie mit einem Glas schlechten Weins in der Hand im Vorzimmer des Instituts Gratulationen entgegennahm, sah sie ihn wieder. Er kam herein und grüßte in die Runde, die ihr Doktorvater zum Umtrunk geladen hatte. Carola wollte ihren Fehler rasch ausbügeln, ging auf den Fremden zu und stotterte etwas von Dank nachholen. Wieder dieses eigenartige Lächeln. Sie nehmen alles viel zu schwer. Und die Hand auf ihrer Schulter.
Jaris Knurrlaute unterbrechen ihre Gedanken. Was ist denn nun schon wieder? An der Kordel baumelt erneut ein Kärtchen. Heute übertreibt Herr Nierlich. Normalerweise schickt er höchstens einmal wöchentlich wenig freundliche Botschaften. Carola ist sich keiner Schuld bewusst. Jarolims Gedärme haben sich beruhigt, sie hat auch nichts bei offenem Fenster gekocht, nur rasch eine Käsesemmel gegessen. Was will denn der Spinner?
Frau Dr. Broggiato!
Es ist ein Uhr nachts, eine Zeit, zu der Menschen im Normalfall schlafen. Sie hingegen nutzen die nachmitternächtliche Stunde offenkundig dazu, Ihre Wohnung umzuräumen und im Stechschritt zu durchschreiten. Gehen Sie endlich zu Bett! Morgen ist auch noch ein Tag, den wir beide ausgeschlafen erleben sollten.
Johannes W. Nierlich
Perplex starrt Carola auf die Karteikarte. Sie hat Fotos gesucht, und dabei sind Erinnerungen hochgekommen. Die sind doch nicht laut! Gut, die Kästen und Schränke hat sie vielleicht etwas heftig geöffnet, aber danach ist sie nur noch … Carola bleibt stehen. Natürlich, das ist es! Sie ist auf und ab gegangen. Die lockere Holzdiele in der Mitte des Zimmers. Die muss sie mindestens hundert Mal in der letzten halben Stunde zum Knarren gebracht haben, ohne es zu bemerken. Möglichst leise geht sie zum Computer und lacht beim Anblick von Jarolims Einträgen auf. Der hellhörige Nierlich wird ihre Heiterkeit womöglich auf sich beziehen. Egal. Jari tut ihr einfach gut. Sogar das Lachen hat er ihr beigebracht. Sie hält inne.
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Jarolim, du bist ein Genie! Wasserscheidt hieß die Frau. Grete Wasserscheidt. Genau. Das war der Name, der auf dem Kaufbeleg stand. Und Wasserscheidt hieß der grässliche Schulwart des Gymnasiums, von dem alle behaupteten, er wäre nicht ganz dicht, was angesichts seiner oft eingenässt wirkenden Hosen auch im wörtlichen Sinn gemeint war. Carola belässt Jarolims kryptischen Eintrag, verschiebt ihn per Copy und Paste und tippt von ?? bis 1960 dazu. Zufrieden fährt Carola den Computer herunter und schlendert ins Bad, sorgsam darauf achtend, nicht auf die knarzende Diele zu treten, während Jarolim wenig elegant hinter ihr herhinkt.
XIV.
Wie bedrückt Carl schon wieder war. Gestern hatte ich noch gedacht, sein Trübsinn wäre einer kleinen Grille geschuldet. Mein armer Freund. Hoffentlich achtet er auf den Verkehr und kommt heil nach Hause. Eine gute Stunde ist er unterwegs. Wenn er mir am nächsten Tag von den Staus erzählt, tut er sie mit einem Achselzucken und einem gemurmelten tough luck ab. Dieser sanftmütige Mensch. Wenn ihm etwas zuwiderläuft, sieht er für gewöhnlich darüber hinweg. Oder er leidet still. Zu still.
- Man muss nicht über alles reden.
So, so, Mister Quality Paper. Was steht denn auf Ihro Stirn? Schon seit geraumer Zeit rätsle ich. Ten hot … who destr… their loo… …stic surge… Ich glaube, ich kenne die Lösung. Zuerst dachte ich an ten hot actresses, aber das wäre für eine Headline in der seriösen Los Angeles Times doch zu einseitig. Ten hot celebrities passt schon eher. Es können ja trotzdem zehn Dämchen sein. Der Rest war dann kein Problem. Ten hot celebrities who destroyed their looks with plastic surgery. Stimmt’s? Diese Meldung über die Verschandelung von Promis durch Schönheitschirurgie ist doch gewiss etwas, worüber geredet werden muss, nicht bloß Schwarz auf Weiß, sondern, wenn ich es recht sehe, sogar mit bunten Fotos.
…
Ich weiß, der Herr geben es nicht gerne zu, doch dieser Punkt geht an mich.
…
Versteht ihr denn nicht, dass ich mir wegen Carl Sorgen mache? Kein Plausch. Kein Lachen. Einzig die Grußformel. Zudem hat Carl heute den Feuchtemesser nicht überprüft. Das ist, seit ich hier bin, noch nie geschehen. Was mag wohl der Grund sein? The why.
Sarena? Was für ein Sprung vom bescheidenen Heim in Compton zur University of California. Neue Umgebung, neue Menschen, auch wohl neue Freunde. Der Weg ist weit, aber nicht fremd, sind doch die UCLA und unser Museum in benachbarten Vierteln. Nun überwinden die Eltern gemeinsam mit Sarena die vielen Meilen, setzen sie am Campus ab, ehe sie hierherfahren. Aber immer öfter nimmt Sarena Metro und Bus. Weil sie sich für die Eltern geniert? Fürs alte Auto? Wenn Carl von seiner old lady spricht, weiß ich zuweilen nicht, ob Prescence oder der Ford F-150 gemeint ist. Sarena. Wenigstens beeindrucken konnte Carl sie mit meiner Geschichte.