Der Verdrüssliche. Eva Holzmair

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Der Verdrüssliche - Eva Holzmair

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Leiter der Wiener Akademie der bildenden Künste ernannt hatte, und, dem nicht genug, dann noch mit dem Angebot, ihm eine Pension von jährlich 200 Gulden zu zahlen. Messerschmidt habe dieses lächerliche Angebot natürlich abgelehnt, es als Invalidenrente bezeichnet, derer er nicht bedürfe, fügte die Toskana-Runde hinzu. Er lasse sich nicht abspeisen, er könne und werde weiterarbeiten.

      Nun ja, mischten sich meine Zipser Geschwister ein, etwas krank sei der Meister schon. Immer wieder klage er über Schmerzen im Unterleib und in den Schenkeln. Zuweilen leide er an Verwürrung im Kopfe. Nur weil er dieser Tage fidel sei und viel ausgehe, bedeute das noch lange nicht, dass er nicht wieder brüllend durchs Atelier irren oder sich hinter seinen Kopfstücken verschanzen würde. Angesichts der Plagegeister dürfe einen das nicht Wunder nehmen. Eine hinterhältige Horde sei das, die den Meister mit Gesichtskrämpfen quäle, sodass er oft nicht einmal die Augen offen halten könne.

      Just in diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und ein hübsch mit rotem Wams, Spitzenjabot, seidenen Hosen und Gamaschen gekleideter Herr trat ein. Er sah wohlgenährt und keinesfalls krank aus, bloß die Perücke saß etwas schief, als ob er sie achtlos wie einen Umhang übergeworfen hätte. Er lachte, tätschelte meine Brüder, murmelte etwas von sieben Medaillons und eilte wieder hinaus, ohne mich, das schöne Stuckh, eines Blickes gewürdigt zu haben. Warum mussten mich die dumme Gans und der rachitische Zwerg in diese dunkle Ecke placieren! Die Zipser beruhigten mich. Sie erklärten, dass der Meister beim Freiherrn von Bittenthal gespeist habe und sich itzo wohl zur Ruhe begeben, danach aber gestärkt in die Werkstatt kommen und mich sicher bemerken werde.

      So war es denn auch, aber viel mehr als eines Blickes war ich ihm, der in den alten grauen Beinkleidern, dem fleckigen Schurz und ohne Perücke kaum wiederzuerkennen war, nicht wert. Er hob meine eingebildete Base auf die Werkbank beim Fenster und begann, sie mit Schlageisen und Fäustel zu traktieren. Sie ist rein weiß, hat nicht unseren gelblichen Einschlag, seufzten die Zipser. Dafür wird sie das langweilige Leben von Bildmedaillons führen, während wir beim Meister bleiben und kämpfen dürfen. Du wirst sehen, auch dich wird er in sein Bataillon aufnehmen!

      Interessiert inspizierte ich meine Brüder: Eine Kampftruppe stellte ich mir anders vor. In Reih und Glied standen sie, ja, aber ohne Arme, Rumpf und Beine, bloß Köpfe mit verkniffenen oder aufgerissenen Mäulern, faltigen Hälsen und zumeist geschlossenen Augen. Wen sollten sie so in die Flucht schlagen? Auch die Verstärkung durch andere Büsten aus Holz oder Zinnguss machte es nicht besser. Und die paar wenigen freundlichen Gesichter unter ihnen schon gar nicht.

      Warte nur ab, meinte einer der Krieger und grinste mich an.

      XV.

      Erschrocken starrt Carola auf die Uhr. Schon neun! So lange hat sie seit Monaten nicht mehr geschlafen. Selbst Jarolims Proteste muss sie überhört haben. Carola betastet die Narben und ihre magere Bauchdecke. Alles wie immer. Ein bisschen Ziehen, aber keine Schmerzen. Irgendwo darunter lauert das Ungeheuer. Soll es doch. Sie hat anderes zu tun. Zuerst einmal Jari füttern. Mit Stufe drei seiner Mitleidsmasche empfängt er sie: kummervoll geweitete Augen und nahezu unhörbare Klagelaute. Das herzzerreißende Miauen und das Kratzen an der Tür muss sie verschlafen haben. Mein armer Jari! Sie nimmt die Jammergestalt hoch und geht in die Küche. Dort setzt sie den Kater ab und sucht unter den Futterdosen seine Lieblingssorte heraus: Thunfisch. Den Leckerbissen bekommt er nur an besonderen Tagen. Wegen der Fangquoten. Jarolims Thunfischkonsum ist streng rationiert. Heute ist zwar kein besonderer Tag, dafür hat Stufe drei voll gewirkt. Du berechnender Gauner, tadelt Carola, während Jarolim sich schon vor dem Absetzen des Fressnapfes aufs Futter stürzt. Sie muss aufpassen, dass er nicht ihren Daumen erwischt.

      Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Es war so finster und auch so grimmig kalt. Sie kamen an ein Häuschen von Pfefferkuchen fein, wer mag der Herr wohl von diesem Häuschen sein?

      Während sie das Kinderlied vor sich her trällert, tänzelt Carola ins Bad. Herrlich! Sie ist ausgeschlafen, kein bisschen müde und bereit für einen ereignisreichen Tag. Davon wird sie kein Krebs, auch kein körperbehinderter Kater abhalten. Sie hat eine Aufgabe: Grete Wasserscheidt.

      Nachdem sie von den im Übermut aufgebackenen zwei Semmeln sogar rekordverdächtige eineinhalb gegessen und pflichtbewusst den gesundheitsfördernden Tee getrunken hat, fährt Carola den Laptop hoch und gibt Grete Wasserscheidt in die Suchmaschine ein. Sie probiert verschiedene Schreibweisen, Wasserscheid, Wasserscheit, obwohl sie sich sicher ist, dass dt stimmt. Nichts. Nach Google versucht sie es mit Yahoo, Bing, AOL. Auch hier nichts. Wie hieß bloß der Schulwart mit Vornamen? Herr Wasserscheidt, dürfen wir neue Kreiden haben? Bitte, Herr Wasserscheidt, können Sie den Turnsaal aufsperren? Herr Wasserscheidt, vor der Schule hat der Wind einen Ast geknickt. Der gehört abgeschnitten, hat die Frau Professor gesagt. Immer Herr Wasserscheidt, nie ein Vorname. Es ist doch gar nicht sicher, dass er mit der Gesuchten überhaupt verwandt oder verschwägert war, nur so verbreitet ist der Name auch wieder nicht. Dass ihr das nicht schon damals auffiel, nachdem Wilfried den Beleg hervorgekramt hatte. Für sie war Wasserscheidt bloß ein Name, den sie mit einem fahrigen Schulwart verband, der kaum je gesprochen hatte, und wenn doch, dann war es ein unverständliches Gemurmel gewesen. Nie hatte er einen angesehen, war immer mit gesenktem Kopf durch die Gänge geschlurft. Sie war dem Mann stets ausgewichen, nicht etwa, um einen Zusammenstoß zu vermeiden, sondern wegen des eigenartig strengen Geruchs, der von ihm ausgegangen war. Dass die in Wilfrieds prägnanter Schrift festgehaltene Grete Wasserscheidt etwas mit dem Schulwart zu tun haben könnte, daran dachte sie damals nicht. Ob einer der beiden Wasserscheidts noch lebt? Unwahrscheinlich, sonst wären die Suchmaschinen im elektronischen Telefonbuch fündig geworden.

      Die Frau Professor hat gesagt, der Ast gehört abgeschnitten. Die Frau Professor. Beim letzten Maturatreffen, zu dem Carola wegen der runden Zahl ausnahmsweise hingegangen war, wurde doch erzählt, dass von allen Lehrkräften der Klasse nur noch eine lebte und gerade erst ihren 90. Geburtstag gefeiert hatte: Frau Professor Dirkmann. Deutsch und Geschichte. Carola erinnert sich an eine zarte, stets sorgsam gekleidete Frau mit ungewöhnlich kurzem Haarschnitt, der im Widerspruch zu Dirkmanns braven Röcken und Blusen stand. Bei Dirkmann hörte Österreichs Geschichte mit dem Ersten Weltkrieg auf, was damals üblich war, doch in Deutsch nahm sie auch Gedichte von Franz Werfel, Erzählungen von Arthur Schnitzler und, wenn sich Carola recht erinnert, sogar ein Stück von Bertolt Brecht durch, was sicher nicht im Lehrplan vorgesehen war. Überhaupt hat die Dirkmann den Geschichtsunterricht eher heruntergespult, während sie in Deutsch immer wieder nachbohrte, ob denn ›die Damen‹ schon Oskar Werner als Hamlet gesehen oder etwas von der Wiener Gruppe gehört hätten. Da war Carola die Einzige, die zuweilen aufzeigte. Diese außerschulische Bildung hatte sie ihrer belesenen und theaterbegeisterten Mutter zu verdanken.

      Ohne viel Hoffnung, das Maturajubiläum ist immerhin bereits fünf Jahre her, sucht Carola nach Dirkmann im elektronischen Telefonbuch. Obwohl sie wieder keinen Vornamen weiß, erkennt sie sofort, wer unter den Dirkmanns ihre alte Professorin ist: Dirkmann Johanna, Dr. In der Prater­straße wohnt sie. Das ist ja nicht weit von hier. Hingehen und klingeln? Eine Greisin einfach so überfallen, das gehört sich nicht. Sie muss vorher anrufen, doch womöglich ist die alte Dame schwerhörig oder es hebt eine rumänische Pflegerin ab, die sowieso nicht versteht, was Carola will. Trotzdem. Aus Höflichkeit muss Carola eines der ungeliebten Telefonate führen. Blöder als bei Toni wird sie sich schon nicht anstellen. Sie wählt die angegebene Festnetznummer.

      - Dirkmann.

      Die Stimme klingt fest. Sie könnte auch einer viel jüngeren gehören.

      - Guten Tag. Hier spricht Carola Broggiato.

      - Ah, die Tochter von Carlo Broggiato, dem Architekten der Miesbach-Villa.

      Carola ist verblüfft. Die Dirkmann antwortet, als wäre dieser Anruf einer ehemaligen Schülerin, die nie mit ihr Kontakt gehalten hat, normal. Und dann sofort die Bezugnahme zu Carolas Vater. Er ist doch bloß

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