Der Verdrüssliche. Eva Holzmair
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Verdrüssliche - Eva Holzmair страница 9
Ruhe selig, sein Gebein.
Messerschmid war einst sein Nam,
Schnitzte, wo er ging und kam,
Gos zentausend Frankens werts,
Seines Kopfes Form in Erz.
Eines Meisters würdig, nicht wahr!
- Viel zu schwülstig.
Vielleicht, Belisarius, aber voll der Bewunderung. Der Meister wurde geschätzt und wird es bis heute, sonst stünde ich nicht hier und wäre davor nicht in den edelsten Häusern gewesen. Um mich haben sich die Leute gezankt. Aus Liebe oder was sie dafür hielten. Ich sage euch, die Liebe lässt die Menschen höchst sonderbare Dinge tun. Ohne sie wäre ich gar nicht erst entstanden. Ich bin eine einzige Liebesgeschichte. Deshalb rühren mich Menschen, die lieben, echt lieben, so wie Carl seine Frau und Töchter. Er ist ein einfacher Mann. An einfachen Leuten ist nichts Falsches, weil sie es nicht verstehen, falsch zu sein. Zur Verstellung gehört Grips, auf Dauer sogar sehr viel davon. Nein, Belisarius, das meine ich nicht. Carl ist nicht dumm. Er bemüht sich sogar sehr um Wissen, will mithalten mit seinen Töchtern, um sie nicht zu verlieren. Das ist überhaupt einer der schönsten Wesenszüge an ihm.
- Die Namen!
Ach, sei doch nicht so ungeduldig! Die Namen sind unwichtig. Warum interessieren sie euch gar so sehr? Ihre Genesis ist nicht der Rede wert. Glaubt mir. Ich könnte von wesentlich interessanteren Begebenheiten berichten. Aber gut, wenn ihr unbedingt wollt. Ich mache es kurz. Grins nicht, Belisarius! Auch ich kenne den Spruch, dass in der Kürze die Würze liegt, aber zu viel Würze verdirbt den Geschmack. Deshalb muss man Speisen zuweilen strecken. Darin war Ilona eine Meisterin, doch von Ilona wollt ihr ja nicht hören. Ihr bevorzugt Mister Strunz, der uns im Jänner 1792 von des Meisters Nichte kaufte. Sie war froh, uns Fratzen loszuwerden. So kamen wir zu Franz Friedrich Strunz, einem wohlhabenden Traiteur, der von Preßburg nach Wien zog, dort ein Weinlokal in der Nähe des Kärnthnerthors eröffnete und auch mit uns ein Geschäft zu machen gedachte. Money. Das kennt ihr, steht genug davon auf euren Zeitungsköpfen. Deshalb brauchte er Namen. Skulpturen auszustellen und sie nicht zu benennen, das ging nicht zusammen. Er gab sich redlich Mühe. Wochenlang inspizierte er uns von allen Seiten, murmelte vor sich hin, schrieb auf, strich durch, beriet sich mit Freunden, ja sogar mit betrunkenen Gästen, weil im Wein angeblich die Wahrheit steckte, und entschied sich zumeist nur widerstrebend für eine Bezeichnung, weil ihm nichts Passenderes einfiel oder geboten wurde. In der Broschüre zur Ausstellung, die er 1793 in einem Raum über seinem Lokal im Bürgerspitalhaus zu Wien ausrichtete, bat er sogar inständig darum, ihm Vorschläge für neue Namen zu unterbreiten, aber es wurden keine gemacht. Und so heißen wir noch heute, wie Strunz uns benannt hat.
Er hatte indes keine Ahnung, wer wir waren und warum es uns überhaupt gab. Hätte er nach dem Warum geforscht, wären wir mit wesentlich passenderen Namen versehen worden. Ein aus dem Wasser Geretteter – Just Rescued from Drowning! Ich bitte euch, was soll das bedeuten? Etwa, dass sie dem Meister die aus der Donau Gefischten in die Werkstatt zum Porträtieren brachten? Hier Meister Messerschmidt, ein besonders schönes Exemplar, frisch aus dem Fluss geholt. Ja, der Mann lebt noch, aber ihn trocknen und laben werden wir itzund nicht. Zuvörderst wird er in Stein gemeißelt. Bitte, Meister, beginnet! Das ist doch Humbug! Der Alabasterbruder mit den Zotteln, die Strunz für nasses Haar hielt, ist ein Abbild des Meisters mit zugegeben kurioser Perücke, die er immer dann aufsetzte, wenn die kleinen Geister ihn bloß ein wenig kitzelten, nicht wirklich arg bedrängten. Er gefiel sich mit diesen zipfeligen Haaren, kniff aber dann doch die Augen zusammen, im Glauben, den Bösewichten so weniger Angriffsfläche zu bieten. Mit Wasser oder gar Ertrinken hat der Waffenbruder, der bald anreisen wird, nicht das Geringste am Hut, pardon, an der Perücke. Und erst mein Name! Er ist aus purer Verlegenheit entstanden. Strunz hatte bereits den Zinnsoldaten, der ebenfalls bald kommen wird, als Mismuthigen bezeichnet und musste sich für mich etwas anderes einfallen lassen. So steht auf meinem Sockel Der Verdrüssliche – The Vexed Man, obwohl ich doch gar nicht verdrüsslich bin. Sagt selbst!
VII.
Auf dem Weg zum Flughafen ist Gitta immer noch aufgewühlt. Sie ist unfair gewesen, hat die Lehrerin in dem Glauben gelassen, dass die Drohgestalt ein Mann wäre, womöglich gar Paul, aber sie weiß, dass es auch jemand anderer sein könnte. Ihr Bernhard! Hat er nicht bloß in der Nacht Angst? Sie umklammert das Lenkrad. Aufpassen. Überholen lassen. Es ist noch Zeit.
Am Flughafen steuert sie langsam aufs zweite Parkhaus zu, fährt nahe genug an die Ticketsäule heran, um die Karte ohne Streckübungen aus dem Schlitz ziehen zu können. Alles bestens. Das Licht bei der Einfahrt ist grün, der Schranken geht hoch, aber sie findet keinen Parkplatz. Gitta kurvt von einem Stockwerk zum nächsten, schaut dazwischen auf die Uhr und trommelt aufs Armaturenbrett, als endlich einer rausfährt. Nach zweimaligem Reversieren steht sie halbwegs gerade in der Lücke. Fünf nach zwölf! Sie hastet zum Lift, sucht nervös die Taste für die Ankunftsebene. Dann die langen Gänge. Sie nehmen kein Ende. Früher, mit dem alten Terminal, war das viel einfacher. Paul wird doch nicht schon draußen sein und sie mit vorwurfsvoller Miene begrüßen. 11.50 Uhr. Merk’s dir! Endlich die Ankunftshalle. Gitta zittert am ganzen Körper. So darf Paul sie nicht sehen. Mit überkreuzten Armen drückt sie gegen ihre Brust und blickt sich um. Kein Paul in Sicht, und sie ist bloß eine von vielen, nicht gestresster als der junge Mann vorm Café, der sein Smartphone bearbeitet und nasse Schweißflecken unter den Achseln hat, oder die Frau direkt an der Absperrung, die ständig hochspringt. Gittas Atmung wird ruhiger, das Zittern hört auf. Über die Köpfe der Wartenden hinweg späht sie auf die Anzeigetafel. Der Flug aus Zürich ist pünktlich gelandet. Da Paul immer nur Handgepäck hat, müsste er jeden Augenblick herauskommen, aber sie ist nun hier, erwartet ihn. Alles normal. Eine Frau, die ihren Mann abholt. Pünktlich. Wieder öffnet sich die automatische Tür, entlässt eine Schar Japaner, die offensichtlich einer Reisegruppe angehören. Dahinter entdeckt sie Paul. Er überragt die meisten Leute um Haupteslänge, nicht bloß Asiaten. Ein großer Mann, aber nicht stattlich. Gitta lächelt. Paul ist die Bohnenstange geblieben, als die sie ihn kennenlernte. Damals hielt sie ihn für attraktiv, heute nur noch für lang und dürr.
Federnden Schrittes kommt Paul auf sie zu. Vor Gitta taucht ein kahl in den Himmel ragender Zweig auf, an dem noch eine verdorrte Frucht baumelt. Schon wieder so ein Bild! Es ist aber keine Halluzination, nein, eine Vorstellung. Das ist schon okay.
- Hallo, Schatz!
Gitta antwortet nicht, gibt Paul bloß einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
- Was hast du denn mit deinen Augen angestellt? Du siehst ja aus wie ein Kaninchen.
- Wahrscheinlich eine Allergie.
- Die kommt von deinen Farben.
- Nein!
- Warst schon beim Arzt?
- Nein.
Schweigend gehen sie zum Kassenautomaten und weiter zu Gittas kleinem Fiat. Paul legt die Reisetasche auf den Rücksitz und klopft ostentativ seinen Anzug ab. Ach ja, die Waschanlage! Sie ist noch immer nicht dort gewesen. Gitta will kein schlechtes Gewissen haben, schon gar nicht wegen eines dreckigen Autos. Nur jetzt keine miese Stimmung aufkommen lassen.
Während Gitta aus dem Flughafengelände hinausfährt, steigt erneut ein Bild vor ihr auf. Streng steht Paul in der Tür des Kinderzimmers, die Arme verschränkt, und beobachtet den trotzig verheulten Bernhard, wie er sein Zimmer aufräumt. Gitta sieht ein, dass Bernhard Ordnung halten soll, aber doch nicht derart pedantisch. Sie ist zufrieden, wenn Bernhard abends die Sachen so verstaut, dass sie nicht darüber stolpert. Außerdem fühlt sie deutlich, dass sie nicht das Recht