Mord im Kloster Eberbach. Susanne Kronenberg
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Die Ärztin überließ ihr eine Visitenkarte und verabschiedete sich eilig. Der Tote sorgte für Aufsehen. Dass die Menschen einen angemessenen Abstand respektierten, war Lutz zu verdanken. Mit der ihm eigenen beharrlichen Höflichkeit hielt er die Neugier der Umstehenden im Zaum, bis vier Männer vom Veranstalterteam erschienen und diese Aufgabe übernahmen.
Die Ordnungskräfte waren in Begleitung einer Frau erschienen: eine Mitarbeiterin der Klosterstiftung, wie dem Namensschild an ihrem Blazer zu entnehmen war. Konzentriert lauschte sie in ihr Telefon hinein, um dann laut und deutlich zu antworten. »Ein Mann, soweit ich weiß, er liegt in der Klostergasse. Wie bitte? Ja, die Klostergasse, das ist ein Innenhof. Sie fahren über den Parkplatz geradeaus und an der Vinothek vorbei … Am besten, ich schicke Ihnen jemanden entgegen.«
Sie gab einem der Männer einen Wink, und er eilte davon. Danach wandte sie sich an Timon und Norma, die dem Toten nicht von der Seite gewichen waren.
»Der Krankenwagen ist auf dem Weg. Mein Name ist Katalin Schatzer«, erklärte sie und warf einen erschrockenen Blick auf den Fremden am Boden. »Was ist mit ihm? Er wird doch nicht … Er ist doch nicht … Um Himmels willen, ist er verstorben?«
»Ihm war nicht mehr zu helfen«, erklärte Timon mit ruhiger Stimme.
Katalin Schatzer griff sich bestürzt an den Kopf, fasste sich aber umgehend und forderte ihre Mitarbeiter auf, so rasch wie möglich Stellwände und Handleuchten herbeizuschaffen und den Säulengang abzuschirmen. Während sich die Angestellte den Vorfall von Timon beschreiben ließ, nahm Norma ihr Handy hervor und wählte eine Wiesbadener Telefonnummer: die Verbindung ins Polizeipräsidium Westhessen, der direkte Draht zu ihrem ehemaligen Arbeitsplatz. Als sie nach den Hauptkommissaren Dirk Wolfert und Luigi Milano fragte, hatte sie Glück. Ihre Ex-Kollegen waren für den Spätdienst zuständig. Kurz darauf dröhnte Milanos brummiger Bass in ihr Ohr.
»Wo brennt es?«, fragte er in gewohnter Knurrigkeit. »Habe ich unsere Verabredung verschwitzt? Dann beklage dich bei Dirk. Er koordiniert die Termine und hat mir nichts gesagt.« Seit sie nicht mehr im Polizeidienst war, trafen sie sich gelegentlich zum Abendessen. Die Tischbestellung lag in den Händen des peniblen Dirk Wolfert.
»Ich bin bei einem Filmabend im Kloster Eberbach«, erklärte Norma hastig. »Vor der Basilika wurde ein Mann umgebracht!«
»Bei Anruf Mord? Verdammt, Norma! Kannst du nicht einfach einen Diebstahl melden?«
Eilig fasste sie das Geschehen zusammen.
»Timon ist auch vor Ort?«, staunte Milano. »Die Privatdetektivin und der Tatortexperte des LKA Hessen stolpern über ein Mordopfer? Ich glaube, mich laust der Affe.« Seine Stimme nahm einen sachlichen Ton an. »Ihr haltet die Leute vom Tatort fern, ich schicke eine Streife voraus. Du sorgst dafür, dass nicht alles auseinanderläuft. Lass niemanden gehen! Dirk und ich brauchen 20 Minuten bis Eberbach.«
Norma wusste nur zu gut, wie entscheidend die ersten Schritte waren. Sie bat Katalin Schatzer um Unterstützung und machte sich gemeinsam mit Timon daran, Milanos Auftrag in die Tat umzusetzen.
5
Die gewaltige Gewölbehalle des Laienrefektoriums wurde zum Wartesaal jener Zuschauerinnen und Zuschauer, die Norma und Timon mithilfe des Ordnungspersonals hatten aufhalten können. Allerdings war damit nur knapp ein Viertel des Publikums zurückgeblieben. Alle Übrigen waren durch die anderen Ausgänge ins Freie gelangt und längst auf dem Heimweg. Norma mischte sich unter die Leute, die sich zwischen den gigantischen Weinpressen herumdrückten und sich in Geduld übten. Person für Person wurden Name und Adresse festgehalten. Eine Aufgabe, für die ein halbes Dutzend Schutzpolizisten der Rheingauer Polizeistationen angerückt war. Ausführliche Gespräche mit den Zeugen würden in den kommenden Tagen erfolgen und jede Menge Zeit sowie kriminalistisches Gespür erfordern, wie Norma aus eigener Erfahrung wusste. Als sie nach Ecki Winterstein und den Mitgliedern seines Teams Ausschau hielt, konnte sie keinen von ihnen entdecken. Vermutlich hatte sich der Regisseur seinen Leuten angeschlossen und die Basilika über den uralten Zugang zum Mönchsdormitorium verlassen, was aber kein Problem sein sollte. Die Mitglieder des Drehteams ließen sich leicht ermitteln.
Die Disziplin der Ausharrenden war bemerkenswert. Nörgeleien und Beschwerden blieben weitgehend aus. Im Großen und Ganzen schienen alle aufrichtig betroffen zu sein, dass ein Mensch zu Tode gekommen war, während sie sich mit dem Film vergnügt hatten. Wer über eine Wolldecke verfügte, wärmte sich damit die Schultern. Drei Mädchen in luftigen Sommerkleidern hatten dankbar die Plaids von Lutz entgegengenommen. Nun half er Katalin Schatzer und anderen Mitarbeiterinnen der Klosterstiftung dabei, die Menschen mit Kaffee und Tee zu versorgen.
Auf der Suche nach Timon verließ Norma das Laienrefektorium. Scheinwerfer tauchten die Klostergasse in helles Licht. Eine Polizeifotografin schoss eine Aufnahme nach der anderen. Weiße Kreidestriche auf den Sandsteinplatten kennzeichneten die Lage des Toten, dessen Leichnam bereits auf dem Weg in die Frankfurter Rechtsmedizin war. Rot-weiße Bänder sperrten den Bereich zwischen der Klosterkirche und dem Säulengang ab. Dahinter bewegte sich eine Schar in weiße Overalls gehüllter Gestalten: die Männer und Frauen der Wiesbadener Tatortgruppe. Ein Mann kniete am Boden und setzte ein Nummernschild neben eine Stelle, an der sich möglicherweise eine Spur befand. Der Ablauf war Norma so vertraut, dass ihr das untätige Herumstehen seltsam falsch vorkam. Doch sie hatte getan, was sie tun konnte. Im Schatten eines Pfeilers entdeckte sie Timon, der sich wie sie in die Rolle des Zaungastes fügen musste. Als Mediziner und Biologe arbeitete er an Ermittlungen mit, die in den Kompetenzbereich des hessischen Landeskriminalamts fielen. Verdächtige Todesfälle im Rheingau zu klären, gehörte zum Aufgabenbereich des Polizeipräsidiums Westhessen, das seinen Sitz in Wiesbaden hatte und dessen Einsatzgebiet über die Grenzen der Landeshauptstadt hinausreichte. Milano und Wolfert gehörten seit Jahren zum Ermittlerteam für Tötungsdelikte. Endlich fanden die Kommissare Zeit für ein ausführliches Gespräch mit Norma und Timon. Über die Verbindung zu Norma bestand zwischen den drei Männern eine gute Bekanntschaft, ja beinahe eine Freundschaft.
Milano strich sich eine Locke aus der Stirn. Lag es am Kunstlicht, oder mischten sich in die dunklen Haare, die ihm über den Kragen reichten, tatsächlich graue Strähnen? »Dein erster Eindruck, Timon. Was mag die Tatwaffe sein? Ein dünner Draht?«
»Dem würde ich zustimmen«, sagte Timon. »Die Kollegen in Frankfurt werden dazu sicher bald Genaueres sagen können.«
»Der Tote machte einen muskulösen Eindruck«, beschrieb Wolfert seine Beobachtung. »Wie jemand, der vor allem im Freien arbeitet. Kein hilfloses Opfer, wie mir scheint.«
»Der Angreifer muss ihn von hinten überwältigt und die Schlinge blitzschnell und mit aller Kraft zugezogen haben«, vermutete Timon. »Auf diese Weise hat selbst ein kräftiger Mann wenig Chancen.«
»Grundsätzlich müssen wir von einem zu allem entschlossenen Täter ausgehen«, knurrte Milano. »Und der ist längst über alle Rheingauer Berge! Wir können nur hoffen, dass jemand aus dem Publikum etwas Entscheidendes beobachtet hat.«
Wolfert wandte sich Norma zu und blinzelte angestrengt hinter seinen starken Brillengläsern. »Du hast vorhin erwähnt, dass dir der Mann vor der Filmvorführung aufgefallen war. In der Menge vor der Basilika. Was genau war da los?«
»Ich hatte eine Zeichnung entdeckt, die an einer Säule hing«, sagte Norma. »DIN-A4-Format. Viel Schwarz, wie mit Kohlestift gemalt. Auch der Glatzköpfige hat sie bemerkt – und er wirkte erschrocken.«
»Der Mann war ein Stück weit vor dir, Norma«, bemerkte Milano misstrauisch.