Mord im Kloster Eberbach. Susanne Kronenberg

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Mord im Kloster Eberbach - Susanne Kronenberg

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diskret handhaben, um nicht von Anfragen überrollt zu werden. Sympathischen Interessenten absagen zu müssen, fiele ihr schwer.

      Norma versprach, sich umzuhören. In der Küche erklang ein Signalton. »Entschuldigung, mein Handy. Bis bald, Eva!«

      Das Smartphone brummte auf dem Küchentisch. Eckhard Winterstein! Ob sie Zeit für ein Gespräch hätte. Wenn möglich zeitnah im Kloster Eberbach.

      Norma hatte nichts Besseres vor. Eine halbe Stunde später steuerte sie ihren kleinen Toyota durch den Rheingau.

      9

      Kloster Eberbach

      Donnerstag, der 16. September

      Eckhard Winterstein wartete vor der Vinothek, ihrem verabredeten Treffpunkt, und winkte sie auffordernd näher heran.

      »Sind Sie einverstanden, wenn wir in meinem Wohnmobil reden?«, fragte er höflich. »Eigentlich könnte ich jeden Tag hierherfahren. Ich müsste nur über den Rhein, ich lebe in Mainz. Aber ich will am Drehort bleiben, Tag und Nacht, um seine Atmosphäre in mich aufzunehmen. Eine allumfassende Inspiration, Sie verstehen doch?«

      Norma folgte ihm mit dem Entschluss, das Treffen auf der Stelle abzubrechen, sollte der Regisseur seinem Ruf gerecht werden und sich ausfallend oder cholerisch benehmen. Der Weg führte sie um das ehemalige Hospital herum und am Kleinen Klosterhof entlang.

      »Die Fraternei«, erklärte Winterstein und deutete wie ein Gästeführer auf das breite Gebäude, dem sie entgegenstrebten. »Darin befand sich der sogenannte Brüdersaal, in dem die Zisterzienser Bücher abgeschrieben haben und wo, in neuerer Zeit, ein berühmter Film gedreht wurde. Denken Sie an gestern: der tote Mönch im Holzbottich!«

      Sie verstand, worauf er anspielte. Schummriges Licht, voluminöse Weinfässer und dazwischen ein Bottich mit Wasser, durch dessen Oberfläche der blasse, aufgedunsene Körper einer korpulenten Leiche schimmerte. »Die Szene mit dem vergifteten Mönch spielt also dort drin?«

      »So ist es, der Zuber aus ›Der Name der Rose‹ stand im Cabinetkeller, wie man die Fraternei auch nennt.«

      »Hätten Sie selbst gern bei dem Epos mitgewirkt?«, fragte sie neugierig.

      Winterstein seufzte leicht theatralisch. »Welcher Filmschaffende träumt nicht davon? Ich war zu meinem Leidwesen nicht dabei. Kloster Eberbach habe ich letztes Jahr erstmals besucht, um für meinen neuen Film zu recherchieren. Kommen Sie!«

      Hinter dem Cabinetkeller öffnete sich der Große Klosterhof. Anders als am vergangenen Abend lag der gepflasterte Platz verlassen da bis auf ein Grüppchen Männer und Frauen, allem Anschein nach Touristen, die mit interessierten Mienen umherspazierten. Ob die Besuchergruppen von dem Mord erfahren hatten, fragte sich Norma unwillkürlich. Die zwei halbrunden Durchgänge zur Klostergasse, in der der tote Winzer gelegen hatte, waren durch Gittertore versperrt. Dahinter lag der innere Bereich des Klosters, der nur mit einer Eintrittskarte besichtigt werden konnte. Der Regisseur schritt weit aus wie jemand, der es gewohnt war, seine Arbeit schnell und zielorientiert zu erledigen. Auch Norma hielt sich für gewöhnlich ungern mit Schlendern auf. Nun jedoch ging sie absichtlich langsam. Sie wollte Zeit gewinnen und den Regisseur in ein Gespräch verwickeln, um ihn besser einschätzen zu können, sobald er auf den speziellen Grund seiner Einladung zu sprechen kam. Bisher hatte er nur erwähnt, dass es um sein Filmprojekt ginge.

      »Verzeihen Sie meine Offenheit«, begann sie. »Gehen Sie mit Ihrem Dokudrama nicht ein wenig attraktives Thema an? Bei dem Wort ›Irrenanstalt‹ habe ich sofort die schlimmsten Bilder im Kopf. Menschen in Lumpen, verzweifelte Gestalten in Ketten. Was reizt Sie daran?«

      Er hatte sich ihrem Schneckentempo notgedrungen gefügt. »Eben genau das ist mein Anliegen. Diese beklemmenden Assoziationen, wer hat sie nicht? Ich will eine vergessene Zeit ins Licht rücken. Mein Dokudrama erzählt die Geschichte der Psychiatrie in authentischen Bildern. Keine Frage, im 19. Jahrhundert gab es menschenverachtende Übergriffe, andererseits hatte die sogenannte Obrigkeit durchaus den aufrichtigen Willen, psychisch Kranken und geistig Behinderten zu helfen. Entscheidende Fortschritte werden wir in Spielszenen darstellen. Im Kloster Eberbach geschah Bahnbrechendes, Frau Tann!«

      Hier spricht jemand, der von seinem Stoff überzeugt ist, erkannte Norma und fragte, von seiner Begeisterung mitgerissen: »Sie meinen Entwicklungen, die Persönlichkeiten wie Direktor Lindpaintner zu verdanken sind? Die Hauptrolle, für die Roman Bonheur einspringen wird?«

      »Unbedingt! Philipp Heinrich Lindpaintner war 23 Jahre alt, als er in Eberbach zum Direktor berufen wurde – kein Arzt oder Psychiater, wie man vermuten würde, sondern ein Jurist. Das war 1817 und das Kloster mittlerweile säkularisiert. Lindpaintner wollte mit Humanität und Menschlichkeit wirken, ein ehrgeiziges Vorhaben für einen so jungen Mann.«

      »Wurde er diesem Anspruch gerecht?«, fragte Norma mit wachsendem Interesse. Die Entwicklung der Psychiatrie war für sie ein unbekanntes Buch, und den Namen des Eberbacher Direktors hatte sie beim Empfang im Mönchsrefektorium zum ersten Mal gehört.

      »Natürlich war er ein Kind seiner Zeit«, gab Winterstein zu bedenken. »Aus heutiger Sicht erscheinen uns die Methoden, die Lindpaintner zur Disziplinierung der Patienten angeordnet hat, als brutal und widersinnig. Das reicht von Schröpfkuren und Brechmitteln bis hin zum Hohlen Rad. Aber dennoch: Philipp Lindpaintner war ein Vorreiter, der auf Bildung und Beschäftigung der Patienten baute, anstatt die Kranken in Zellen zu verwahren.«

      Norma hielt im Gehen innen, wandte sich um und warf einen Blick auf den dreiseitig geschlossenen Hof, der trotz seiner Pracht und beachtlichen Ausmaße einen Randbezirk bildete. »Ist es nicht ein Glückfall, dass Sie am Originalschauplatz drehen können?«

      »Wie ein göttliches Geschenk, Frau Tann! Verzeihen Sie den blumigen Ausdruck. Die Atmosphäre ist wahrhaftig einzigartig. Die Gebäude aus der Zeit Lindpaintners sind alle noch da.«

      »Also können Sie ohne große Umstände loslegen?«

      Er lachte lauthals, was wie das Meckern einer Ziege klang. »So simpel ist es leider nicht. Wir müssen mit Kulissen nachhelfen. Zwar stehen die Gebäude noch, aber von dem mobilen Inventar ist nichts übrig geblieben. Wie Sie selbst sagen: Das Thema ›Irrenanstalt‹ weckt allenthalben deprimierende Fantasien. Deshalb hat man im 19. Jahrhundert alles entfernt, was an die ›Irren‹ erinnerte. Sogar die alten Mönchszellen im Dormitorium! Darin hatten die Patienten gehaust. Bis auf die nackten Wände wurde alles herausgerissen und fortgeschafft. Danach verfiel das Kloster in einen Dornröschenschlaf und wurde nur noch als Weingut genutzt.«

      »Was geschah mit den Patienten?«

      »Eberbach war zu klein geworden, zu unmodern. 1849 wurden neue Gebäude bezogen, quasi in Sichtweite, dort drüben auf dem Eichberg. Die heutigen Kliniken haben ihren Ursprung hier in Eberbach. Kommen Sie, wir sind am Ziel.«

      Hinter einem von hohem Buchs gesäumten Tor, das ein Stück Bruchsteinmauer durchbrach, wurde das Heck eines Wohnmobils sichtbar. Gestutzte Buchenhecken begrenzten die Fußwege zu den Stellplätzen. Winterstein öffnete die Tür seiner fahrbaren Unterkunft und bat Norma hinein. Solange er mit einem Espressokocher hantierte, schaute sie sich unauffällig um. Neben der Psychiatriegeschichte hatte sich mit dem Wohnmobil eine weitere Wissenslücke aufgetan. So ein Gefährt hatte sie nie zuvor betreten, und es erschien ihr überraschend geräumig. Der Tisch diente Winterstein offensichtlich als Büro. Darauf verteilten sich ein Laptop und mehrere prall gefüllte Ordner. An den Wänden und Fensterscheiben klebten Bleistiftskizzen von Frauen unter breitkrempigen Hüten und Männern mit Zylindern und langen Bärten. Angedeutete Szenen

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