Mord im Kloster Eberbach. Susanne Kronenberg
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Читать онлайн книгу Mord im Kloster Eberbach - Susanne Kronenberg страница 6
»Eine Warnung?«, wiederholte Wolfert nachdenklich. »Wenn ja, hat er sie wohl nicht ernst genug genommen. Hast du die Zeichnung ebenfalls gesehen, Timon?«
Timon verneinte. »Leider nicht in diesem Gedränge. Was genau konntest du darauf erkennen, Norma?«
Sie rief sich den Anblick ins Gedächtnis. »Eine Reihe von Tannen, die Spitzen tanzend im Wind. Eine Hütte, davor eine Gestalt. Ein Mensch, geduckt wie ein … wie ein verängstigtes Tier. Irgendwie … gruselig.« Ihr fiel etwas ein. »Winterstein ist die Zeichnung ebenso nicht entgangen.«
»Winterstein?«, stutzte Wolfert.
»Ecki Winterstein, ein Regisseur.« Die Stimme ertönte hinter Norma. Es war Lutz, der die letzten Sätze aufgeschnappt hatte. Von dem Stück Papier habe er vorhin nichts mitbekommen, fügte er an.
Eine Schutzpolizistin näherte sich der kleinen Gruppe um Norma und wedelte mit einem Schreibblock. Sie stellte sich als Leiterin der Rheingauer Einsatzgruppe vor. »Eine Reihe von Zuschauern konnten wir bereits nach Hause schicken. Insgesamt wird es sicher noch ein, zwei Stunden dauern, bis wir von den restlichen die Daten aufgenommen haben. All die Menschen zu ermitteln, die vorher gegangen waren, wird eine Mammutaufgabe. Danke, dass Sie diese Leute aufgehalten haben«, sagte sie, an Norma und Timon gewandt.
»Konnten Sie Angehörige des Toten ausfindig machen?«, fragte Wolfert.
»Offenbar war er allein gekommen, aber wir wissen jetzt seinen Namen«, erklärte die Schutzpolizistin zufrieden. »Ein Kollege kannte ihn, und mehrere Zeugen haben die Identifizierung anhand eines Handyfotos bestätigt. Axel Teubener, ein Rheingauer Winzer.« Sie überreichte Wolfert einen Zettel mit der Adresse.
Milano ließ ein lobendes »Benissimo!« hören. »Wir fahren sofort los. Gibt es noch etwas?«
»Nun, Axel Teubener hat keine Vorführung von ›Der Name der Rose‹ ausgelassen«, sagte die Schutzpolizistin.
»Warum auch nicht?«, meinte Wolfert. »Der Film ist schließlich einer der Filmklassiker schlechthin.«
Norma mischte sich in die Unterhaltung ein. »War er nur ein großer Fan, oder gab es einen besonderen Grund dafür?«
»Er war vor allem Fan der eigenen Schauspielkunst. Teubener hat 1985 als Statist mitgewirkt. Wussten Sie, dass es damals im Rheingau eine Menge Männer mit Tonsur gegeben hat?«, fügte die Schutzpolizistin mit einem belustigten Lächeln hinzu.
»Ich hätte mich auch als Komparse anheuern lassen«, erklärte Wolfert zu Normas Verblüffung.
Nachdem sich die Kommissare für die Informationen bedankt hatten, kehrte die Schutzpolizistin ins Laienrefektorium zurück.
»Lasst uns nach der Zeichnung suchen«, drängte Norma. »Vielleicht stammt sie vom Täter …«
»Oder ist schlicht das Werk eines Hobbymalers«, fiel ihr Milano ins Wort. »Wenn dir das Gekritzel so wichtig erscheint, dann kopiere es.«
»Ich kann nicht zeichnen«, protestierte sie.
»Das kriegst du hin«, entgegnete der Kommissar mit süffisantem Grinsen. »Auf, Dirk! Wir sollten mit den Angehörigen reden, bevor sie auf Facebook von Axel Teubeners Ableben erfahren.«
Absolut uneinsichtig erteilte er Normas Bitte, sie zum Weingut begleiten zu dürfen, eine kompromisslose Abfuhr.
6
Rheingau
Donnerstag, der 16. September
Er taucht tief ab in einen Ozean von Grün, ein vibrierendes Maigrün, wellenschlagend und leuchtend, von der Sonne durchdrungen wie auf einem Gemälde von Claude Monet. Als er die satte Farbe mit gespreizten Fingern auffächert, entdeckt er die Trauben, die prall und von Saft strotzend durch das Weinlaub schimmern. Sich wundernd über die Reife, die ins Frühjahr fällt, schaut er auf Alinas Lachen. Die blitzenden Zähne, die Grübchen, das weiche Kinn. Sie hat die Arme um ihren Bauch geschlungen und flüstert den Namen ihrer ungeborenen Tochter. Wispert und säuselt, ruft und schluchzt, doch er versteht die Worte nicht. Er hört ihre Stimme klar und warm, doch der Name lässt sich nicht fassen, verflüchtigt sich. Alina streckt ihm beide Arme entgegen, er will ihre Hände greifen, aber je näher er ihr kommt, desto schneller weicht sie zurück, wird erbarmungslos hineingezogen ins schwarze Nichts. Er fleht um Hilfe, das Telefon klingelt und klingelt …
Als er aufwachte, klebte ihm der Pyjama am Körper wie eine nasse Fischhaut. Die Bilder des Traums tanzten vor seinen Augen, und der süße Nachklang von Alinas Stimme verlor sich im schrillen Dauergedudel. Mit schwerem Arm griff er nach dem Telefon und schaute auf das Display. Er widerstand dem Impuls, den Anruf wegzudrücken. Das hätte ihm nur einen kurzen Aufschub verschafft.
Eine verunsicherte Stimme traf auf sein Ohr. »Daniel?«
»Was fragst du, Hanna?«, herrschte er seine Schwester an. »Wer sollte drangehen außer mir? Alina aus dem Totenreich? Die Grabesstimme unseres verstorbenen Vaters?«
»Bitte, Daniel, sei nicht zynisch!«
»Was erwartest du? Frohsinn und Heiterkeit eines Witwers?«
Dabei war ihm bewusst: Seine Angriffslust war ebenso ungerecht wie herzlos und grob. Ohne Hanna und Felix, seinen Schwager, wäre er nicht durch die vergangenen Monate gekommen. Seine Urne hätte längst ihren Platz neben Alinas Asche eingenommen. An jedem einzelnen Sommertag hatte er gedanklich jede vorstellbare und unvorstellbare Möglichkeit durchgespielt, um seinem Dasein durch eigene Hand ein Ende zu setzen. Dass er trotz allem am Leben war, verdankte er der ausdauernden Kontrolle und ständigen Sorge seiner älteren Schwester. Wobei ihm der Begriff »verdanken« wie ein Euphemismus erschien. Die meiste Zeit nahm er Hanna die aufdringliche Fürsorge ebenso übel wie ihr peinigendes Bestreben, ihn zurück in die Gesellschaft zu bringen, wie sie ihre Aktivitäten rechtfertigte. Hilflose und von vornherein zum Scheitern verurteilte Versuche wie der gestrige Überfall, mit dem sie und Felix ihn ins Kloster Eberbach bugsiert hatten; getrieben von der irrwitzigen Annahme, er könnte beim Betrachten eines uralten Mittelalterthrillers vergessen, warum er vor zwei Monaten nicht Vater einer Tochter geworden war.
Trotz aller aktuellen Schwierigkeiten folgten ihre Streitereien einem seit frühster Kindheit gepflegtem Drehbuch, das von Hanna verlangte, als Erste wieder für gute Stimmung zu sorgen. So entsprach sie auch jetzt ihrer Rolle und beteuerte in milderer Tonlage ihr Verständnis für seine Trauer. Er machte sich darauf gefasst, dass den tröstenden Worten ein Themenwechsel folgen würde, und sollte sich nicht täuschen.
»Daniel, warum bist du gestern so plötzlich verschwunden? Nach der Pause warst du fort ohne ein Wort. Nicht sehr höflich! Wir haben uns Sorgen gemacht.«
»Ich hatte genug und bin zu Fuß heim.«
Der Weg war nicht weit, geschätzt keine drei Kilometer. Sein Winzerhof lag inmitten der Weinberge und quasi in Alleinlage – wenn man von einem benachbarten Weingut absah. Zur Heirat hatte der Vater ihm den Betrieb überschrieben. Mit hochfliegenden Plänen, die das Familienunternehmen für kommende Zeiten wappnen sollten, überzeugte Alina ihren frisch angetrauten Ehemann und brachte sogar den skeptischen Schwiegervater auf ihre Seite. Eine Vinothek mit allem Schick, den die kultivierte Kundschaft verlangte. Eine noble Gaststube als Gutsschänke und vor