Harold. Einzlkind
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»Ich dachte, Mini-Paprika.«
»Das habe ich aufgegeben.«
»Warum?«
»Man kann nicht beides gleichzeitig tun, man muss sich entscheiden. Entweder Mini-Gurken oder Mini-Paprika. Als Züchterin hat man eine gewisse Verantwortung.«
»Gegenüber wem?«
»Der Zucht.«
»Gibt es da einen speziellen Paragrafen?«
»Den braucht es nicht. Ehrenkodex.«
»Da lastet ja eine ungeheure Verantwortung auf dir.«
»Man wird dafür entlohnt.«
»Schmecken bestimmt vorzüglich.«
»Ich würde von einer Delikatesse sprechen. Harold, Kreuz acht.«
»Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein. Mrs. Merrythought ist die Älteste im Spielbetrieb, eine Frau der ersten Stunde, der man offen zutraut, als nächste davonzusterben. Die Wetten diesbezüglich stehen zwölf zu eins, bei Lenny Ferguson sogar vierzehn zu eins, aber da gibt es manchmal Probleme mit der Auszahlung.
»Harold, haben Sie schon die neuen Mieter kennengelernt?«, fragt Mrs. Cardigan und nestelt an der vergoldeten Brosche an ihrer Bluse, eine Brosche, die einen Schmetterling darstellen soll und die ein Erbstück ihrer deutschstämmigen Mutter ist, aus den 30er-Jahren im letzten Jahrtausend, echte Handarbeit und ohne Hakenkreuz.
»Ihr habt neue Mieter?«, fragt Mrs. Davenport.
»Ein Junge und eine Frau. Alleinerziehend, Vater unbekannt. Sie arbeitet in der Werbung, dunkles langes Haar, reine Haut, angenehme Blässe, insgesamt eine gepflegte Erscheinung.«
»Konfektion?«
»Sechsunddreißig.«
»Und der Junge?«
»Redet wirr. Harold, Pik neun.«
»Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein. Mrs. Cardigan betrachtet die kleinen bernsteinfarbenen Klümpchen auf ihrem Löffel. Sie hält sie ins Licht, riecht vorsichtig daran und lehnt sich steif zurück.
»Meine Liebe, der Kandis ist aber nicht von Winterbottom.«
»Hat sie einen Freund?«
»Bisher ist mir dieser Umstand nicht bekannt. Gleichwohl sie eine erotische Ausstrahlung hat.«
»Netzstrümpfe?«
»Auch.«
»Lippenstift?«
»Bergamo Rot.«
»Wie alt ist der Junge?«
»Ich habe noch nie einen Elfjährigen gesehen, der so sehr aussieht wie acht.«
»Kann er sprechen?«
»Er behauptet, ein Genie zu sein.«
»Das hat mein Mann auch immer behauptet.«
»Der Klempner?«
»Der Geschäftsführer des landesweit größten Unternehmens für Heizungszubehör.«
»Ein Genie?«
»Hat er behauptet.«
»Warum?«
»Er hat gemalt.«
»Womit?«
»Wasserfarbe.«
»Bilder?«
»Es gab eine Ausstellung in der Kantine. Die Mitarbeiter waren begeistert.«
»Großartig. Hast du Denise Richardson letzte Woche gesehen?
»Mit ihrer neuen Frisur?«
»Friseure sind schlimmer als Terroristen.«
»Mein Enkel ist jetzt auch Terrorist.«
»Ach ja?«
»Ja, er spielt in einer Musikkapelle.«
»Und was spielen sie so?«
»Ich glaube, sie nennen es Punkrock.«
»Punkrock? Die mit den Sicherheitsnadeln in den Ohren?«
»Nein, das war früher.«
»Und heute?«
»Sind die Sicherheitsnadeln im Genitalbereich.«
»Na, wunderbar.«
»Nicht? Harold, Kreuz Bube.«
»Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein.
»Harold, können Sie mir morgen vier Wachteln zurücklegen?«, fragt Mrs. Cardigan.
»Er ist entlassen«, antwortet Mrs. Davenport. »Ich habe es heute Nachmittag von Elise aus der Fischabteilung erfahren, als ich den Karpfen für das Wochenende holen wollte.«
»Oh, das ist ja furchtbar. In dem Alter eine neue Anstellung zu finden, ist nicht einfach.«
»Robert, die neue Begleitperson meiner Tochter ist erst achtunddreißig und findet keinen neuen Arbeitsplatz.«
»Schlimme Zeiten.«
»Die Globalisierung.«
»Machst du die Wachteln mit Rosinen?«
»Natürlich. Nein, nein, Harold, Karo sieben.«
»Ein Trauerspiel«, mischt sich Mrs. Merrythought kurzzeitig ein. Mrs. Cardigan dreht sich schräg zur Seite und bedenkt Mrs. Merrythought mit einem Blick, der in allen Sprachen dieser Welt mit dem Wort Vernichtung übersetzt werden kann.
»Was?!«
Wenn Mrs. Merrythought sich in die Ecke gedrängt fühlt, zündet sie sich einen Zigarillo an, das wird zwar nicht gerne gesehen, aber toleriert. Es ist die einzige Eigenschaft, die sie ihrem Vater abgeschaut hat, damals, 1941, als sie im Luftschutzbunker saß und die Nationalsozialisten die Stadt mit Bomben bewarfen. Vierzehn war sie, kalt war es und Hunger hatte sie und ihre ersten Tage hatten sich in sintflutartiger Weise bemerkbar gemacht, und da ihre Mutter schon tot war, fragte sie ihren Vater, der im Keller direkt neben ihr saß, ob er wisse, warum Gott den Frauen dieses schwere Los aufgebürdet habe, und ob er etwas dagegen unternehmen könne. Der Vater war ein kräftiger Mann mit dichtem Bartwuchs, der in einem Stahlwerk Brückenpfeiler fertigte und der, wenn er Hallo sagte, einen geschwätzigen Tag hatte. In einer kleinen Silberdose bewahrte er die hellbraunen Glimmstängel auf, von denen er jeden Tag einen nach dem