Ein neuer Anfang für die Liebe. Susan Anne Mason
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„Es ist nicht, was Sie vielleicht denken. Aber es ist schlimm genug“, sagte der Earl und stand auf. „Julia hat darauf bestanden, sich während des Krieges nützlich zu machen – gegen meinen Wunsch, möchte ich hinzufügen. Also hat sie Brentwood verlassen, um die Ärzte bei den verwundeten Soldaten zu unterstützen. Keine Aufgabe, der eine junge Dame nachkommen sollte.“
„Da ich selbst ein verwundeter Soldat war, halte ich es für einen sehr noblen Dienst. Jede Hilfe, die mir zuteilwurde, habe ich sehr geschätzt.“
Der Earl warf ihm einen ungehaltenen Blick zu.
Und Quinn hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Er musste sich wieder daran gewöhnen, seine Meinung für sich zu behalten, wenn nicht explizit danach gefragt wurde.
„Ich hatte es schon im Gefühl, dass das nicht gut ausgehen würde“, fuhr der Earl fort und hob das Kinn auf eine Weise nach vorn, die nur eines bedeuten konnte: Missfallen. „Kurz vor Kriegsende ist sie mit einem kanadischen Soldaten durchgebrannt.“
„Oh. Wie … bedauernswert.“ Weshalb überkam Quinn nun eine Welle der Enttäuschung? Es war nicht so, als hätte er jemals die Zuneigung dieses Mädchens erlangen können. Niemals hätte sie sich auch nur nach einem Bediensteten umgesehen, es sei denn, sie hatte einen Wunsch.
„Ich glaube, Ihre Reise nach Kanada kommt mir gerade gelegen“, fuhr der Earl fort und legte mit einem nachdenklichen Blick einen Arm auf die Stuhllehne. „Während Sie dort sind, könnten Sie Julia ausfindig machen und sie nach Hause bringen.“
Mit einem Mal nahm Quinn Haltung an. „Wie bitte?“
„Julias Verschwinden hat meine Frau und Tochter sehr betrübt. Ich räume ein, dass ich dem Mädchen gegenüber sehr streng war, und leider sind wir nicht im Guten auseinandergegangen. Etwas, das ich sehr bedauere.“ Er seufzte. „Ich würde ja selbst nach ihr auf die Suche gehen, doch im Moment kann ich es mir nicht erlauben, so lange von Brentwood wegzubleiben. Infolge des Kriegs habe ich drei Pachtbauern verloren – zwei auf dem Schlachtfeld und einen an den Folgen einer Krankheit. Das muss ich schnellstmöglich in Ordnung bringen, sonst könnte die Zukunft von Brentwood in Gefahr sein.“ Seine Lordschaft trat auf das Feuer zu und die Flammen untermalten sein kräftiges Profil. „Und da Sie ohnehin nach Übersee reisen wollen, möchte ich von unserer Bekanntschaft profitieren und Sie um Ihre Hilfe bitten.“ Nach diesen Worten setzte sich der Earl wieder an den Schreibtisch und holte ein samtenes Säckchen aus einer der Schubladen hervor. „Natürlich werde ich für alle Ausgaben aufkommen, die Sie meinetwegen auf sich nehmen müssen.“
Quinns Gedanken rasten. Eigentlich konnte er es sich nicht erlauben, sich von seinem Hauptziel ablenken zu lassen, und doch wollte er seinen Arbeitgeber nicht vor den Kopf stoßen – nicht ohne guten Grund. „Wissen Sie, wo Miss Julia in Kanada lebt?“
„Der Mann, mit dem sie aufgebrochen ist, Private Samuel McIntyre, kommt aus Toronto. So viel konnte ich herausfinden. Das wäre also der beste Ort, um die Suche zu beginnen.“
Selbst mit Quinns begrenztem Wissen über Kanadas Geografie war ihm klar, dass Toronto ein ganzes Stück von Halifax entfernt lag. Andererseits war nicht auszuschließen, dass man seine Geschwister womöglich von dort aus in die Nähe von Toronto geschickt hatte. Denn das Dr.-Barnardo-Kinderheim führte auch Häuser in Toronto und viele der Kinder arbeiteten letztlich auf Farmen in der Provinz Ontario. Dennoch würde es ihn Zeit kosten und ihn von der Suche nach seinen Geschwistern abhalten, wenn er zudem nach der eigensinnigen Nichte des Earls Ausschau halten musste.
Dann kam Quinn ein unangenehmer Gedanke in den Sinn. „Wäre es möglich, dass Miss Julia den Mann inzwischen geheiratet hat? Ich kann sie wohl kaum ihrem Ehemann wegnehmen.“
„Ich glaube nicht, dass das der Fall ist“, sagte der Earl und seine Schultern sanken herab. „Amelia hat vor einigen Tagen zugegeben, dass sie einen Brief von Julia erhalten hat – mit einem Poststempel aus Toronto. Sie sagte, ihre Cousine klinge verzweifelt. Dass sie nach einem neuen Ort Ausschau halten müsse, wo sie leben könne, dass das Geld knapp sei und sie nicht wisse, was sie tun solle. Wenngleich Amelia es nicht wollte, habe ich mir den Brief dann selbst angesehen.“ Nun sanken auch die Augenbrauen des Earls nach unten. „Ich hasse den Gedanken, dass meine Nichte in Schwierigkeiten steckt. Sie soll wissen, dass sie jederzeit wieder nach Hause kommen kann – auch wenn sie zurzeit wahrscheinlich nicht diesen Eindruck hat.“ Er streckte den Rücken durch und glättete die Ärmel seiner Reitjacke. „Julia zu finden wird sicher keine einfache Aufgabe. Doch ich bin gewillt, Sie gebührlich dafür zu entlohnen, sollten Sie erfolgreich sein.“
Unverwandt sah Quinn seinen Arbeitgeber an. Seine imponierende Haltung und der berechnende Blick bezeugten, dass er durch und durch ein Mann von Ehre war. Damals, als Quinn in einer sehr verzweifelten Lage gesteckt hatte, hatte der Earl ihm eine Anstellung in seinem Haus gegeben und ihn über die Jahre vom einfachen Diener zum persönlichen Kammerdiener ernannt. Ehrlich gesagt verdankte Quinn dem Earl sehr viel. Wie sollte er da seine Bitte ablehnen? Abgesehen davon – wenn Julia tatsächlich in Bedrängnis war und Quinn ihr helfen konnte, dann musste er es zumindest versuchen. „Also gut, Ihre Lordschaft. Ich werde mein Bestes geben. Doch, selbst wenn ich Miss Julia ausfindig mache, kann es sein, dass sie nicht nach England zurückkehren möchte. Ich werde sie nicht gegen ihren Willen auf ein Schiff zwingen.“
„Ich verstehe“, erwiderte der Earl und schürzte die Lippen. „Vielleicht mag ein zusätzlicher Anreiz Sie anspornen, sich wirklich die größte Mühe zu geben, Julia zu überzeugen.“ Mit einem Leuchten in den Augen ging er ein paar Schritte auf Quinn zu. „Sollten Sie erfolgreich von diesem Unterfangen zurückkommen, belohne ich Sie mit einer meiner Pachtfarmen. Sie wird Ihnen gehören, voll und ganz.“
Ein heißes Kribbeln lief Quinn über die Wirbelsäule. Sein eigenes Stück Land? Ein Ort, an dem er seine Familie zusammenbringen und mit dem er das Versprechen erfüllen konnte, das er seinem Vater vor neun Jahren gegeben hatte? Wie sollte er so eine Chance – ganz gleich, wie gering sie war – ablehnen? Es war die Möglichkeit, sich und seiner Familie ein Heim zu schaffen.
Also straffte Quinn die Schultern und nickte. „Sie haben mein Wort, Sir. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Ihre Nichte zurückzubringen.“
Kapitel 1
NOVA SCOTIA, KANADA 28. MAI 1919
Entschlossen ging Quinten am Ufer von Halifax entlang. Heute würde er an die Informationen gelangen, die er brauchte – selbst wenn er sie aus dem hartnäckigen Angestellten herauspressen musste.
Gerade hatte er sich von Jonathan und Emmaline verabschiedet, Freunde, die er auf der Überfahrt kennengelernt hatte. Auf See hatte er sich lange mit diesem Paar unterhalten, wenngleich der arme Jonathan für einen großen Teil der Reise sehr stark von Seekrankheit geplagt war. Eine junge Frau namens Grace gehörte auch zu ihrer Gruppe. Schnell hatten sie festgestellt, dass sie alle ein sehr ähnliches Ziel verfolgten. Emmaline reiste nach Kanada, um ihren Vater zu finden, und Grace suchte nach ihrer Schwester, einer jungen Kriegswitwe, die sie nach England zurückzuholen hoffte. Grace war noch am gleichen Tag ihrer Ankunft von Halifax nach Toronto weitergereist. Emmaline und Jonathan hingegen waren einige Tage geblieben, bis Jonathan sich etwas erholt und neue Kraft für den nächsten Teil ihrer Reise gesammelt hatte. An diesem Morgen waren die beiden in den Zug nach Toronto gestiegen und Quinn hätte sich ihnen von Herzen gern angeschlossen.
Das wäre durchaus möglich gewesen – wenn er denn schon den Aufenthaltsort seiner Geschwister herausgefunden hätte. Doch zwischen dieser Information und ihm stand ein überaus dienstbeflissener Beamter der Meldebehörde. Heute jedoch würde Quinn