Anfang und Ziel ist der Mensch. Heinrich Mann

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Anfang und Ziel ist der Mensch - Heinrich Mann

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er seine Krankheit überwunden hatte, zog es ihn nach Italien; nach Florenz, Rom oder an den Gardasee nach Riva, das damals noch zum Habsburger Reich gehörte. Nur selten kehrte er nach München zu seiner Familie zurück. Italien galt in den Neunzigerjahren als Sehnsuchtsland der europäischen Oberschicht.

      Heinrich führte zur Jahrhundertwende ein Künstlerleben. Hier und da gelang es ihm, einen Artikel zu schreiben, der in der Monatsschrift Die Gesellschaft und bald darauf auch in Die Gegenwart veröffentlicht wurde. Mitte der Neunzigerjahre gab er die Berliner Zeitschrift Das Zwanzigste Jahrhundert heraus und schrieb dafür zahlreiche Beiträge im Geiste der Wilhelminischen Zeit. Sein Lebensstil änderte sich erst, als er 1914 nach München zurückkehrte und Maria Kanová heiratete. Aus der Ehe ging die gemeinsame Tochter Leonie hervor, genannt Goschi.

      Bedeutende Köpfe der Philosophie und Literatur beeinflussten Heinrich Manns schriftstellerische Arbeit. Über Bahr fand er zu dem französischen Schriftsteller Paul Bourget. Ihm widmete er seinen ersten Roman In einer Familie, der mit finanzieller Hilfe der Mutter bereits 1894 erschien. Bourget öffnete ihm den Blick in die Welt der heimatlosen Oberschicht, die ein ausschweifendes, genusssüchtiges Leben führt und das Wohl des Einzelnen über die gesellschaftliche Verantwortung stellt. Bourgets radikaler Individualismus, seine konservative Weltanschauung, seine Stoffauswahl und psychologisierende Darstellungsweise prägten ihn. Auch Heinrich Manns in den Neunzigerjahren entstandene Novellen atmen den Geist dieses französischen Meisters. Bourgets Weltanschauung formte sein Bewusstsein. Heinrich Mann war in den Neunzigerjahren ein patriotischer Monarchist. Seine Beiträge in der Zeitschrift Das Zwanzigste Jahrhundert weisen ihn als Gefolgsmann Wilhelm II. aus. In seinen politischen Essays verteidigte er nicht nur den Kaiser, die Monarchie und das Gottesgnadentum; er polterte zugleich gegen das Parlament und die Juden. Obwohl er sich mit Nietzsche schon lange beschäftigt hatte, wiesen dessen Schriften ihm erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Weg zu einer literarischen Neuorientierung. Vor allem machte er sich Nietzsches Kritik am Wilhelminischen Reich zu eigen und fühlte sich von dessen Verständnis des Künstlerdaseins inspiriert. Im Künstler sah Nietzsche einen »Philosophen der Macht«, der ohne Rücksicht auf sein eigenes Lebensglück tätig sei. Die Romane Im Schlaraffenland, Jagd nach Liebe und die Trilogie Die Göttinnen, die alle in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden, verweisen auf ihn. In Die Jagd nach Liebe schildert er, wie die Kunst den Zugang zum Leben verschließt. Die Schauspielerin Ute kanzelt ihren Jugendfreund Claude mit den Worten ab: »Eine Künstlerin, die sich verliebt, wirklich und ganz verliebt – das war nie eine.«

      Im Eingangszitat offenbart sich Nietzsches Einfluss auf Heinrich Mann bis ins hohe Alter. Zweifellos ließ er sich von ihm am Anfang seines Lebens als Schriftsteller begeistern. An dessen Bild vom Künstler, dessen Sendungsbewusstsein, Ausnahmestellung in der Gesellschaft und dessen Glaube an die Macht des Wortes hielt er fest, auch wenn die Wirkungsmacht dieses »Aufwühlers des Zeitgeistes« auf ihn insgesamt im Laufe der Jahre abnahm. Mit der Machtübernahme der Nazis bekam sein Nietzsche-Bild Risse, je mehr diese sich auf ihn beriefen und sein Werk missbrauchten. 1939 schrieb er in seinem Nietzsche-Essay: »Was haben Eingeweihte ihm geglaubt?« Er fügte an: »Vieles, aber nicht alles.«

      Geist und Tat

      Eine zentrale Figur in Nietzsches Philosophie ist der zur Tat schreitende, geistige Mensch und die »Verachtung der dumpfen, unsauberen Macht«, wie es in Heinrich Manns Essay Geist und Tat heißt. Doch bevor Heinrich Mann von 1910 an mehr und mehr in die Rolle des intellektuellen Wortführers zur Gestaltung einer besseren Gesellschaft hineinwuchs, verfasste er mit Professor Unrat, Zwischen den Rassen und vor allem dem Roman Die kleine Stadt, der 1909 erschien, gesellschaftskritische Werke, die sich vom Kult des Individualismus und Ästhetizismus abwandten und mit kritischem Blick auf die Gegenwart schauten. In seinem Roman Die kleine Stadt inszenierte er am Beispiel italienischer Lebenskultur einen Gegenentwurf zur wilhelminischen Untertanengesellschaft. In Gestalt der Mitglieder einer fahrenden Theatertruppe und der Bürger der kleinen italienischen Stadt, in der die Schauspieler gastieren, treffen zwei Welten aufeinander, sind Kunst und Leben Teil eines vielfältigen Reigens. Die Kultur, besonders deren musikalische Form, spielt im Roman wie in Heinrich Manns Leben eine zentrale Rolle; sie wird für ihn nicht nur im Roman zum prägenden Element des gesellschaftlichen Fortschritts. Von ihr geht der Impuls zu einer demokratischen Lebensform aus. Heinrich Mann selbst schrieb über Die kleine Stadt: »Was hier klingt ist das hohe Lied der Demokratie. Es ist da, um zu wirken in einem Deutschland, das ihr endlich zustrebt.« Den Weg zur demokratischen Lebensweise zeigte er in dem Zola gewidmeten Essay auf. In der Spiegelung von dessen Lebensgeschichte erklärte er auch seine eigene. Der Essay Zola erschien 1915. Er ist ein wahres Kunstwerk des Versteckens und Anklagens. Zolas Leben und das des Autors, deren Gedanken fließen hin und her und verschränken sich, sodass die Vergangenheit in die Gegenwart rückt und umgekehrt. Allein diese kunstvolle Form der Verhüllung ermöglichte es, dass diese Anklageschrift während des Krieges erscheinen konnte. Am Scheidepunkt des Wilhelminischen Reiches sprach Heinrich Mann sich darin im Namen Émile Zolas gegen die Monarchie, den Krieg und für die Republik, ihre Ideale der Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit aus. Zwei Schlüsselsätze aus diesem Manifest der Freiheit lauten: »Die Wahrheit und die Gerechtigkeit siegen trotz allem, nur darf es nicht verlauten. Der Sieg muß zweifelhaft bleiben.« Er musste zweifelhaft bleiben, weil die Stunde des Tages es erforderte. Die Stunde der Wahrheit und Gerechtigkeit war im Wilhelminischen Reich noch nicht gekommen, aber sie kündigte sich für kritische Zeitgenossen wie Heinrich Mann an. Da es zu den Eigenschaften der Vernunft gehört, zeitweilig zu ermüden, muss ständig um sie gerungen werden. Nur dann kann sie sich auch nach einer Phase der Erschlaffung kraftvoll zurückmelden. Sie ist mehr Hoffnung als Erfüllung. Dies erklärt der zweite Schlüsselsatz: »Wir können nichts tun, als kämpfen für die Ziele, die nie erreicht werden, aber von denen abzusehen schimpflich wäre, – kämpfen und dann dahingehn.«

      Als er diese Zeilen schrieb, hatte er bereits sein nach dem Ersten Weltkrieg Furore machendes satirisches Meisterwerk Der Untertan abgeschlossen, das zunächst 1914 der Zensur zum Opfer fiel. Darin thematisiert er die fatale Neigung der Deutschen nach oben zu buckeln und nach unten zu stoßen. Oberflächlich betrachtet schien dieser menschenverachtende Untertanengeist mit dem Ende der Monarchie und der Niederlage des deutschen Militarismus 1918 überwunden. Doch Heinrich Mann zweifelte nicht daran, dass er in Wahrheit in den Tiefenstrukturen der Weimarer Republik fortleben würde. In dem Essay Kaiserreich und Republik entwickelte er, in welchem Maße die noch junge Demokratie auf den Trümmern des Kaiserreiches und seines missratenen Geistes fußte. Ihm war bewusst, dass es nicht ausreiche, die Republik auszurufen und in der Verfassung zu verbriefen; die Republik brauche Zeit, damit sie im Innern der Bürger wachsen könne.

      Lehrmeister der Demokratie

      Zu Beginn des Großen Krieges sorgte sich Heinrich Mann, ob er nach dessen Ende – er rechnete mit einer Niederlage der Mittelmächte –die Familie als Schriftsteller ernähren könne. Doch seine düsteren Vorahnungen trafen nicht ein. Er wurde einer der einflussreichsten und angesehensten Intellektuellen im Land. Sein Bruder Thomas nannte Gerhart Hauptmann anlässlich dessen 60. Geburtstags »König der Republik«. Heinrich Mann wurde ihr Lehrmeister. In zahlreichen politischen Essays, die manches Mal die Titelseiten der großen Tageszeitungen zierten, warb er für ihren Erhalt. Zugleich zählte er aber auch zu ihren engagiertesten Kritikern. Am vierten Verfassungstag hielt er in der Dresdner Semperoper im August 1923 eine flammende Rede zur Weimarer Verfassung. Die Zeiten waren schwierig; die Inflation führte zur Verarmung der Gesellschaft, die Ruhrkrise stellte die Einheit der Republik in Frage, politische Morde von Rechtsextremisten und Putsche von links und rechts forderten die Wehrhaftigkeit der Republik heraus. Ihr Zerfall drohte. In dieser schweren Stunde rief Heinrich Mann den Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Medien entgegen: »Anfang und Ziel ist der Mensch. Der Staat, die Wirtschaft sind tauglich oder verfehlt, je nachdem sie den Menschen fördern oder hemmen. Humanität im Sinne Weimars sollte der Kern der Politik sein.«

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