DIE SIDHE. John Matthews

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DIE SIDHE - John  Matthews

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als die anderen Motive. Sie dominierte die Ostwand der Kammer. Für einen Moment glaubte ich, sie würde aus sich heraus leuchten, bis ich entdeckte, dass sie von Kristallen gesäumt war, die den Lichtschein der Lampe reflektierten. (Eine spätere genauere Untersuchung zeigte, dass Hunderte winziger Kristalle auf dem Stein angebracht worden waren, um die Bedeutung der großen Glyphe zu betonen.)

      Als ich auf das Ritzbild starrte, überkam mich wieder dieses kribbelnde Gefühl – stärker als je zuvor. Für einen Moment flimmerte es mir vor den Augen, so dass die in den Stein eingravierte Glyphe zitterte. Dann klärte sich mein Blick wieder. Ich saß immer noch auf dem Boden der Kammer, und meine Uhr zeigte an, dass nur wenige Sekunden vergangen waren – doch es fühlte sich an, als wäre ich für eine viel längere Zeit an einem anderen Ort gewesen. Was dieser »andere Ort« war, vermochte ich nicht zu sagen, aber das Gefühl war trotzdem da.

      Langsam stand ich auf, um mir die große Glyphe aus der Nähe anzusehen. Ich strich mit den Fingern darüber wie jemand, der Blindenschrift liest. Es war keine besonders komplexe Form: eine Spirale mit fünf Windungen, bei der eine senkrechte Linie ausgehend vom oberen Ende durch das Zentrum nach unten verlief. Dieses Muster kam mir irgendwie bekannt vor. Später fand ich heraus, dass in mehreren prähistorischen Stätten in Irland, England und (sonderbarerweise) den Vereinigten Staaten dieses Spiralmuster entdeckt worden war.

      Ich stand noch einen Moment da, versuchte meine durcheinander gewirbelten Gedanken zu ordnen und mir darüber klarzuwerden, welcher Natur dieses sonderbare Erlebnis wenige Momente zuvor wohl gewesen war. Doch so sehr ich mich auch bemühte, es wollte mir nicht gelingen, mich wieder in dieses Gefühl hineinzuversetzen. Außerdem war mir bewusst, dass Keith draußen darauf wartete, dass ich ihm meine Eindrücke schilderte.

      Etwas widerstrebend ging ich in die Hocke und kroch durch den engen Gang zurück.

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      Das Tageslicht blendete mich, trotz der dichten Wolkendecke. Keith erwartete mich sichtlich ungeduldig, sein Gesicht ein Fragezeichen.

      »Du hast recht«, sagte ich. »Es ist erstaunlich, sogar einzigartig. Seit Jahren habe ich nichts so Großartiges gesehen.«

      Sein Gesicht hellte sich auf, und er fing an zu reden, schneller als ich es je bei ihm erlebt hatte. Ich erinnere mich nicht genau, was er alles sagte – Einzelheiten darüber, wie ein örtlicher Anwohner das Monument entdeckte hatte, seine eigene Aufregung, als sie den Eingang freilegten, und er zum ersten Mal in die Kammer kroch und den Reichtum an Ritzzeichnungen entdeckte. Dann sagte er, ich müsse mir unbedingt die Pläne anschauen, die er bereits von dem Bauwerk angefertigt hatte.

      Wir gingen zu seinem Wagen und fuhren die paar Kilometer zurück nach Dungarrow. Ich glaube, ich schwieg auf dem Rückweg fast die ganze Zeit. Was ich gesehen hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, vor allem die große Spiralzeichnung, die mich angefunkelt hatte, als würde ein eigenes Feuer in ihr leuchten.

      Ich erinnere mich, dass ich mir Keith’ detailreiche Zeichnungen anschaute, dabei voll des zu erwartenden höflichen Lobes war und ihm alle richtigen Fragen stellte. Doch in Wahrheit wollte ich am liebsten allein sein, um ungestört über das nachzudenken, was ich gesehen hatte. Schließlich entschuldigte ich mich damit, dass ich mir Notizen für den Artikel machen wollte, den zu schreiben ja der Grund für meine Einladung gewesen war.

      Als ich mich nach oben auf mein Zimmer zurückgezogen hatte, schloss mit einem erleichterten Seufzen die Tür hinter mir.

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      Ich nahm meinen Laptop und setzte mich an den ziemlich wackligen Tisch vor dem Fenster. Aber obwohl ich dort sicherlich eine Stunde oder länger saß, während sich draußen die Abenddämmerung herabsenkte, schrieb ich nicht mehr als zwei oder drei Sätze. Ich war mit den Gedanken woanders, rief mir alles ins Gedächtnis, was ich je über solche uralten Stätten gelesen hatte, und vor allem über die Glyphen, von denen diese eine, besonders große, einen so tiefen Eindruck bei mir hinterlassen hatte.

      Schließlich ging ich zu Bett, konnte aber nicht einschlafen. Ich lag ewig, wie mir schien, in der Dunkelheit und starrte an die Decke. Schließlich dämmerte ich doch weg, und hatte kurze Zeit später den machtvollsten und verstörendsten Traum meines Lebens.

      Wenn ich jetzt darüber schreibe, erscheint er mir bizarr, und es würde mich nicht überraschen, wenn die meisten Leute, die diesen Bericht lesen, den Autor für verrückt erklärten. Und doch ist dieser Traum, so seltsam er war, noch gar nichts im Vergleich zu dem, was mich danach erwartete.

      Ich träumte, ich befände mich wieder in der Kammer des Grabhügels von Gortnasheen, die nun offenbar von flackerndem Kerzenlicht erleuchtet war. Ich stand vor der Glyphe, die wie von innen leuchtete, und war unfähig, den Blick von dem Spiralmuster zu lösen. Dann wurde ich mir allmählich einer Person bewusst, die seitlich davon stand.

      Zuerst nahm ich sie nur verschwommen und schemenhaft war, doch nach und nach wurde der Anblick klarer und konturierter – ein hochgewachsener Mann in archaischer, brauner und grüner Kleidung. Er hatte langes Haar, das locker von einem silbernen Diadem zusammengehalten wurde. Seine Gesichtszüge waren fein und anmutig. Sie hätten feminin gewirkt, wären da nicht das ausgeprägte Kinn und die intensiven schwarzen Augen gewesen, deren Blick unter hohen Brauen mich fixierte. Es war das in jeder Hinsicht schönste Gesicht, das ich je gesehen hatte.

      »Wer bist du?«, hörte ich mich fragen.

      »Mein Name tut nichts zur Sache«, antwortete er. »Ich komme als Vertreter meines Volkes zu dir.«

      »Wer ist dein Volk?«

       »Wir sind die Sídhe.«

      Und er sprach es aus wie schi.

      »Die Sídhe?«

       »Ein Volk, das schon seit uralter Zeit in diesem Land lebt. Es ist viele Jahrhunderte her, dass ich auf Erden wandelte.«

      »Warum bist du gekommen?«, fragte ich.

       »Weil die Zeit dafür reif ist. Weil ich etwas zu sagen habe, das dein Volk hören sollte. Bevor es zu spät ist.«

      »Ich verstehe nicht«, sagte ich.

      »Du wirst verstehen«, entgegnete er. »Geh wieder in die Kammer. Schau dir das Spiralbild an. Dort werde ich zu dir kommen.«

      Dann war er verschwunden, und im selben Moment erwachte ich, setzte mich im Bett auf und starrte auf das verblassende Bild der Glyphe, das sich regelrecht in meinen Geist eingebrannt hatte.

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      Ich schaltete die Nachttischlampe ein und schaute auf die Uhr. Es war noch keine halb drei, und ich hatte nicht mehr als zwei Stunden geschlafen. Der Traum schien so real und ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Schließlich nahm ich mein Notizbuch und schrieb alles auf, woran ich mich erinnerte. Die letzten Worte meines seltsamen Besuchers, seine Aufforderung, ich möge in die Kammer gehen und mir die Glyphe anschauen, erzeugten in mir ein unbehagliches Gefühl, ohne dass ich hätte sagen können warum. Der Name, mit dem er sein Volk bezeichnet hatte, die Sídhe, kam mir bekannt vor, aber ich konnte mich nicht erinnern, wo ich ihn schon einmal gehört hatte. Die ganze Traumepisode schien verrückt zu sein. Das empfinde ich auch heute noch so, wenn ich lese, was ich hier aufgeschrieben habe. Doch mein Traum in dieser Nacht, nach dem ersten Besuch in Gortnasheen, war der Auftakt zu

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