Luis Suárez. Luca Caioli
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Einen Vorfall dieser Art gab es beispielsweise 2002, als er eine wichtige Partie für Nacional bestritt und eine Gelbe Karte für ein Foul an einem Verteidiger bekam. Daraufhin fing er an, mit dem Schiedsrichter zu diskutieren, und gab diesem schließlich einen Kopfstoß – eine mehr als unrühmliche Tat, mit der er eine monatelange Sperre riskierte. Luis sagte hinterher, er habe nicht vorsätzlich gehandelt und dem Offiziellen nicht wehtun wollen. Es sei eine instinktive Handlung gewesen; er habe in dem Moment das Gehirn ausgeschaltet.
Perdomo, dessen Cappuccino mittlerweile kalt war, meinte dazu: „Durch sein Temperament hat Luis viele Fehler gemacht. Aber er hat eingesehen, dass er falsch gehandelt hat. Und unter uns gesagt, wer hat noch keine Fehler in seinem Leben gemacht? Manche sind allerdings schlimmer als andere. Luis spielt immer mit maximaler Drehzahl. Sein Siegeswille ist so stark, dass er ab und an nicht mehr weiß, was er tut. Seine Reaktionen mögen auf Außenstehende merkwürdig, bizarr und sinnlos wirken. Aber ich kenne ihn ja und weiß, dass es einfach nur unwillkürliche Ausbrüche sind. Er hat keine bösen Absichten dabei.“
Der alte Mann nippte noch einmal an seiner Tasse und trank dann einen Schluck Wasser: „Bei allem gebotenen Respekt für die vielen Superspieler aus Uruguay, aber Luis spielt wie von einem anderen Stern. Wenn man den Fußball ganz rational betrachtet, weiß man, dass ein Spieler in einer bestimmten Situation immer maximal zwei oder drei sinnvolle Optionen hat – und Luis wählt immer die beste. Er bewegt sich an der Grenze zur Perfektion.“
KAPITEL 5
Eine wundervolle Überraschung
Gespräch mit Rubén Sosa, ehemaliger uruguayischer Nationalspieler
Auf einem einige Jahre alten Foto sieht man die beiden nebeneinander. Luis trägt ein weißes Nacional-Trikot, hält eine Trophäe in der Hand und grinst wie ein Honigkuchenpferd. Soeben hat er den Preis für den besten Torschützen in einer der Nachwuchsmeisterschaften überreicht bekommen. Rubén Sosa, in Polohemd und Jeans, hat ebenfalls die Hand an dem silbernen Ball. Der Himmel über Montevideo strahlt hellblau, und Luis ist sichtbar glücklich, den Kopf an die Schulter eines seiner großen Idole lehnen und mit ihm für ein Foto posieren zu dürfen.
Ich traf Sosa an einem ganz gewöhnlichen Nachmittag in einer Bar in Carrasco, einem Stadtteil von Montevideo. Seine Haarpracht ist mittlerweile etwas spärlicher geworden und hier und da etwas angegraut, und auch der Bauchumfang hat ein wenig zugenommen. Es war nicht der beste Tag, um sich über Luis Suárez zu unterhalten, weil Sosa gerade von einer Ecke Montevideos in die andere umzog. Trotzdem kam er vor dem vereinbarten Zeitpunkt zu unserem Treffen. Sosa, der als Profi unter anderem für Danubio, Nacional, Real Saragossa, Lazio Rom, Inter Mailand, Borussia Dortmund und Shanghai Shenhua aktiv war, sprach nur zu gerne über Luis’ Zeit in der Nacional-Jugend.
„Wir wussten ja alle, dass er den Durchbruch schaffen konnte. Nicht, weil er so ein begnadeter Techniker war – das ist er nicht mal heute. Nein, sondern weil er mental dazu in der Lage war, weil er einen unglaublichen Siegeswillen hatte. Er war in seinem Jahrgang definitiv kein Monster am Ball. Er ist hingefallen und beim Schießen ganz oft weggerutscht, oder es ist ein Grasbüschel mitgeflogen. Er war auch ein bisschen ungeschickt: Erst hat er das leere Tor nicht getroffen und dann aus unmöglichem Winkel eingelocht. Man konnte bei ihm nie sagen, ob der Ball reingeht.“
Wann haben Sie ihn kennengelernt?
„Nachdem ich aus Spanien zurückgekommen bin, von CD Logroñés. Ich habe bei Nacional gespielt, als er in der Jugend war. Als er zu den Profis geholt wurde, habe ich ihn ein bisschen trainiert – ich war als Co-Trainer für die Angreifer zuständig. Ich weiß noch, dass ich ihm gesagt habe, dass er zu sehr aufs Toreschießen fixiert sei, dass er permanent in Richtung Tor drängen würde, um jeden Preis gewinnen wolle und genau deshalb nicht treffe. In seinen ersten Spielen hat er ungefähr ein Dutzend Chancen versiebt.
Ich habe ihm den Tipp gegeben, einfach gelassen zu bleiben. Wenn er erst mal getroffen habe, käme der Rest von ganz alleine. Einfach die Ruhe bewahren, habe ich ihm gesagt. Ich war mir da sicher, weil er eine starke Physis besaß, durchsetzungsfähig war und vor niemandem Angst hatte. Der ist hinter allen Bällen hergegangen! Das Ding ist in Richtung Eckfahne geflogen, und er ist hinterhergerannt. Hat sich hinterhergeworfen, um den Ball noch von der Auslinie zu kratzen! Fast wie beim Rugby!
Seither ist er noch mal deutlich besser geworden. Am Anfang aber lief es bei Nacional ziemlich durchwachsen für ihn. Wir haben zwar gewonnen, aber weil Luis so versessen aufs Gewinnen war, hat er einfachste Dinger versemmelt, und die Zuschauer haben ihn ausgepfiffen. Er war allerdings ein loco, ein „Verrückter“, im besten Wortsinne; die Rufe, Beleidigungen und Pfiffe haben ihn nicht die Bohne interessiert. Er wollte einfach nur kicken und für Nacional spielen. Er war nun mal eingefleischter Fan seines Lieblingsklubs. Am Ende hat er es ja auch geschafft, auch wenn er dafür viele Opfer bringen musste.“
„El Principito“ („Kleiner Prinz“), wie ihn die uruguayischen Fußballfans auch nennen, hielt einen Moment inne, nippte kurz an seiner Cola, lächelte und fügte dann hinzu: „Die meisten Menschen hätten keine zehn Dollar auf den Jungen gewettet. Tja, und jetzt?“
Was haben Sie ihm beigebracht?
„Das, was ich auch allen anderen Jungs gerne beibringe: wie man sich mit dem Rücken zum Tor stellt und sich dann schnell auf der Stelle dreht; wie man eine Ecke oder eine Flanke aus dem Spiel heraus am besten köpft; wie man so schnell wie möglich reagiert, wenn man überraschend einen Ball in den Fuß bekommt.
Bei uns, ja überall in Südamerika, werden die Jungs mit einem Ball im Arm geboren, weil die Väter ihren Söhnen als Erstes einen Ball schenken und ihren Töchtern eine Barbie. Die Zeiten haben sich zwar geändert, aber es gibt immer noch kein besseres Geschenk als einen Fußball. Da kommt keine Playstation ran. Und dieses erste Geschenk entfacht die Leidenschaft fürs Kicken. Wenn man allerdings davon leben will, muss man hart arbeiten.“
Sie haben in Spanien, Italien und Deutschland gespielt. Wie ist das für einen 19-jährigen Jungen aus Uruguay, nach Europa zu ziehen?
„Als ich nach Europa gegangen bin, war ich auch sehr jung. Ich habe mit 18 in Saragossa angefangen. Aber wir Fußballer machen uns da keine so großen Gedanken. Uns ist es egal, wo wir spielen. Wir lieben einfach das Spiel, und diese Leidenschaft öffnet uns die Türen an jedem beliebigen Ort. Ich bin ja sogar in China gelandet. Was uns Uruguayer ausmacht, ist unsere Schlitzohrigkeit, der Fußball auf den Straßen und Bolzplätzen. Aber wenn wir hier weggehen, müssen wir zu Profis werden.
Unser Fußball ist zwar spitze in Sachen Technik und Leidenschaft, aber taktisch sind wir nicht auf dem gleichen Niveau wie Europa. Wenn wir in die Alte Welt wechseln, müssen wir uns also anpassen. Als ich zum Beispiel nach Saragossa kam, habe ich trainieren müssen wie nie zuvor. Ich habe Gewichte gestemmt, 120 Kilo. Ich selbst wog 70 Kilo. Ich bin robuster und fitter geworden, und die gegnerischen Verteidiger konnten mich nicht mehr so leicht umnieten.
Zwei Jahre lang habe ich in Europa an meiner Physis gearbeitet und Taktik gelernt. Ich weiß noch, wie mir Giuseppe Materazzi, damals Trainer von Lazio, etwas über sein 4-4-2 erzählte und ich keinen Plan hatte, was er meinte. Er sagte mir, dass ich zurücklaufen und im Mittelfeld verteidigen sollte, woraufhin ich zunächst meinte, dass ich eigentlich fürs Toreschießen und nicht zum Verteidigen nach Rom gekommen sei.
Wir Uruguayer haben die Konstitution, die Schnelligkeit und die Schlitzohrigkeit; wir können uns besser als die Brasilianer an andere Ligen anpassen, weil wir unsere Verträge wirklich erfüllen wollen. Deshalb finden Sie Uruguayer auch überall, wo Sie hinkommen.