Luis Suárez. Luca Caioli
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Heute ist Deportivo Artigas – nach eigenen Worten der „Klub für die ganze Familie“ – ein eigenständiger Verein. Armeeangehörige, Gewerkschafter und Arbeiter spielen Seite an Seite. Angeboten werden eine ganze Reihe von Sportarten, darunter Leichtathletik, Schwimmen, Rugby oder Hockey. An der Kreuzung von Calle Apolón de Mirbeck und Avenida Feliciano Viera, nicht weit entfernt von der Kaserne, hat Deportivo Artigas einen Sportkomplex errichtet, auf den man durchaus neidisch werden kann.
Auf dem Rasen vor der Anlage begegnet man zunächst einer Büste von Uruguays Nationalhelden José Gervasio Artigas. Dahinter steht das Vereinsheim, das ein wenig an eine Ranch auf dem Land erinnert. Es beherbergt einen großen Saal für Festivitäten und ein kleines Büro voller Pokale, Medaillen und Wimpel sowie einer nicht gerade kleinen Madonnenstatue. Auf einem Banner heißt es: „Fußball ist nicht einfach, er ist unkompliziert.“
Auf der Anlage befinden sich neben dem obligatorischen Grill für asados, Barbecues nach südamerikanischer Art, drei Fußballplätze: einer mit Kunstrasen für die Kindermannschaften und zwei mit Naturrasen (darunter das Stadion mit 800 Tribünenplätzen). Hinzu kommen Umkleideräume, ein Schwimmbad und eine Halle für die ebenfalls angebotene Hippotherapie.
Die Sportanlagen wurden 2010 eröffnet. Den Bau hatten die Vereinsmitglieder durch freiwilligen Arbeitseinsatz und Spenden unterstützt, hinzu kamen 400.000 Dollar vom US-amerikanischen Verbindungsbüro für Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen (dem in ähnlicher Form auch in Deutschland existierenden Office of Defense Cooperation) und von verschiedenen uruguayischen Institutionen.
Anfang der 1990er Jahre stand an dieser Stelle allerdings noch nichts. Spiele und Training fanden auf dem Platz in der Kaserne statt. Hier traf sich auch der Nachwuchs des Viertels. Nach der Schule warfen die Kinder Hefte und Ranzen zu Hause ab und huschten dann hinüber zur Kaserne, um entweder selbst zu spielen oder den Vätern beim Training zuzuschauen. Dabei auch nur einen Tag zu fehlen, kam einem Verbrechen gleich.
Wenn die Plätze belegt waren, wurde einfach auf improvisierten Bolzplätzen oder auf den Straßen von El Cerro gekickt, die bis heute nicht asphaltiert sind – barfuß und mit irgendetwas Ballförmigem. So fing auch Luis an. Mit vier oder fünf Jahren nahm ihn sein sieben Jahre älterer Bruder Paolo mit, und der Kleine bolzte erst einmal mit deutlich älteren Jungs. Die Spiele dauerten ewig, unterbrochen nur von den Mahlzeiten. Sogar zu Hause ging es weiter, mit Kopfbällen und Ball hochhalten. Einmal machte Luis dabei sogar das Bett seiner Eltern kaputt.
Doch es wurde nicht nur zu Hause, auf den Straßen und auf staubigen Freiflächen gebolzt – es gab und gibt in Uruguay auch einen organisierten Kinderfußball, der sich großer Beliebtheit erfreut. Zuständig dafür ist die ONFI – Organización Nacional de Fútbol Infantil –, die Wettbewerbe mit Fünfermannschaften austrägt. Die Kinder haben viel Ballkontakt, zumal die Spielfelder klein sind, und das Tempo ist hoch. So bekommen die Kleinen bereits viel Selbstvertrauen, bevor sie später auf das Großfeld wechseln.
Wegbereiter der Kinderwettbewerbe in Salto war Don Alfredito Honsi, Jahrgang 1923, ein kleiner Mann mit weißem Haar. In den 1960er Jahren rief er die Liga de Baby Fútbol del Ceibal ins Leben, im Jahrzehnt darauf die Liga Salteña de Baby in Salto und 1987 schließlich die Mini Mundialito, eine WM für die Kleinen. Teilnehmen konnten Kinder zwischen vier und sechs Jahren, gespielt wurde im Dezember und Januar während der Schulferien. Dann fanden jeden Abend vier bis fünf Begegnungen von zweimal 15 Minuten statt.
Zu den Spielen kamen viele Zuschauer, die fünf Pesos Eintritt entrichteten, umgerechnet nur ein paar Cent. Mit dem Geld wurden die 400 Medaillen – für jedes teilnehmende Kind eine – und die Preise bezahlt: Schulhefte, Schreibutensilien, Radiergummis, Federmäppchen und Buntstifte. Das Turnier – das heute in veränderter Form für ältere Kinder ausgetragen wird – fand seinerzeit auf dem Hof des Freizeitzentrums in Salto-Ost statt. Heute ist dieser Hof überwuchert von Unkraut und zugewachsen mit Bäumen, deren Kronen bereits über die Mauer ragen. Die Tore sind verwittert, die Netze fehlen. Nur zwei Hunde dösen im Schatten und halten Wache.
Alfredo Honsi, Don Alfreditos Sohn, betreibt in der Nähe den lokalen Radiosender Impactos FM. Er berichtet, dass die Stadtverwaltung den Hof eigentlich wieder herrichten lassen wolle, damit dort wieder Baby Fútbol, aber auch Tanz, Theateraufführungen und Festivitäten stattfinden können. Dann erzählt er: „Ein paar Leute aus Montevideo wollen hier für einen Dokumentarfilm drehen. Weil auf diesen Betonsteinen sowohl Luis Suárez als auch Edinson Cavani mal angefangen haben. Der eine im Trikot von Deportivo Artigas, der andere in dem von Nacional de Salto. Und wer die meisten Tore geschossen hatte, stand dann hinterher ruckzuck vor dem Eisstand zehn Meter weiter. Der heiß begehrte Hauptpreis war nämlich eine große Tüte Eis.“
Luis wurde von seinem Onkel trainiert, von Sergio „El Chango“ („Junge“) Suárez. „Er hat ihm beigebracht, gegen einen Ball zu treten, als er vier Jahre alt war. Damals war er das Vereinsmaskottchen“, sagte Honsi. Auch „El Chango“ wohnte an einer unbefestigten Straße in El Cerro, einem eher ärmlichen, aber stolzen Stadtviertel. Als ich bei ihm vor der Tür stand, wurde ich sogleich von seinen Kindern, den Cousins und ihren Freunden in Empfang genommen. Das kleinste von ihnen trug ein Spiderman-Kostüm und war etwas verlegen gegenüber dem Gast, aber das Mädchen bat mich freundlich herein. Sergios Frau erklärte, dass ihr Mann bei der Arbeit sei, zum Mittagessen aber zurückkomme.
„El Chango“ war pünktlich. Er rollte mit seinem Motorrad vor, stieg aber noch einmal auf, bevor er es endgültig parkte, nahm Spiderman auf den Sitz und donnerte mit ihm einmal vor dem Haus hin und her. Anschließend setzte er sich in seinem blauen Arbeitsoverall im Esszimmer vor seine Vorspeise und fing mit sanfter, ruhiger Stimme an zu erzählen – über seine Arbeit als Tischler und seine Zeit als Fußballspieler bei Deportivo, Phoenix und Colombia, drei nicht mehr existenten Amateurklubs.
Zur Zeit gibt es in Salto keine Profiteams, dafür aber fünf Amateurligen: Liga Salteña, Liga Colonias agrarias, Liga de fútbol comercial, Liga Senior (Alte Herren/Ü35) und Liga Master (Altliga/Ü45). Nicht mitgerechnet sind dabei die Stadtauswahl (Selección Salteña) und der Nachwuchsbereich. Aus diesen Ligen stammen diverse starke Spieler, darunter Alexander Medina (u. a. Nacional und FC Cádiz), Gonzalo de los Santos (u. a. Peñarol, FC Málaga, FC Valencia), Bruno Fornaroli (u. a. Nacional und Panathinaikos) und Edinson Carvani (u. a. SSC Neapel und Paris Saint-Germain).
Aber zurück zu Luis. Was war er für ein Typ? „Er war genau wie heute auch“, lachte Sergio. „Fußball war sein Ein und Alles. Er ist mit einem Ball aufgewacht und mit einem Ball schlafen gegangen. Er hat genauso auf der Straße gespielt wie die da.“ Dabei zeigte er nach draußen auf die Kinder, die, statt am Computer zu spielen oder fernzusehen, lieber ihre Ballkünste trainierten.
„Am Anfang war Luis ein bisschen ungeschickt am Ball, aber er ist jedem Ball hinterhergelaufen. Er hat immer nachgesetzt. Er wollte gewinnen, und er wollte auf jeden Fall das Tor machen. Genau wie heute“, erzählte Sergio weiter. Ich konnte es nicht glauben. Der Torschützenkönig der Premier League 2014 und der Primera División 2016 konnte echt nicht mit dem Ball umgehen? Sergio antwortete: „Im Tor war er besser. Bei Mannschaften, von denen ich wusste, dass sie uns in die Mangel nehmen würden, habe ich ihn in den Kasten gestellt. Gut fand er das nicht, aber er hat sich ordentlich geschlagen. Er hat oft die Kastanien aus dem Feuer geholt.“
Es war seltsam, sich Luis Suárez als Torwart vorzustellen. Sergio erhob sich vom Sofa und verschwand kurz irgendwo im Haus. Kurze Zeit später kam er mit einer Plastiktüte zurück. Sie trug das Konterfei von Mafalda, der Hauptfigur der gleichnamigen Comicserie des argentinischen Cartoonisten Quino. In der Tüte