Luis Suárez. Luca Caioli

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Luis Suárez - Luca Caioli страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
Luis Suárez - Luca Caioli

Скачать книгу

einen echten Boom erlebten. Sie litten ja nicht unter den Folgen des Ersten Weltkriegs, der in Europa gewütet hatte. Ganz im Gegenteil stiegen die Nettoexporte, und Kapital und Devisen kamen ins Land.“

      Und weiter: „Uruguay erlebte eine Wachstumsphase. Der Handel prosperierte, die Industrie expandierte. Dazu kam politische Stabilität, der Staat sorgte für ein modernes Sozialwesen und förderte die Leibeserziehung der Jugend, indem er im ganzen Land Sportplätze eröffnete. Und der uruguayische Fußball eroberte bei seinem ersten Auftritt auf dem alten Kontinent direkt die ganze Welt. 1924 in Paris gewann die Celeste mit einem 3:0 gegen die Schweiz das olympische Fußballturnier.“

      Henri de Montherlant, französischer Romancier und Dramatiker, schrieb damals: „Eine Offenbarung! Endlich echter Fußball. Der Fußball, den wir kannten, den wir gespielt haben, ist verglichen damit nur ein Pausenkick in der Schule.“ Maiztegui meinte dazu: „Uruguay war ein kleines Land, das auf der Weltkarte nicht besonders hervorstach. Einen Namen machte es sich in Europa nicht durch seine von Frankreich inspirierten Literaten und ebenso wenig durch seine Musikkultur mit ihrem starken italienischen Einschlag, sondern durch seine Fußballspieler.“

      Im Stade de Colombes, gelegen in der gleichnamigen Pariser Vorstadt, wurde schließlich der Mythos der garra charrúa, der „uruguayischen Kralle“, geboren. Von hier drang er in das öffentliche Bewusstsein vor. Da die Organisatoren keine Vorstellung hatten, in welcher Weise sie das nur wenigen Europäern bekannte Land repräsentieren sollten, stellten sie den Uruguayern einfach einen als Charrúa-Indio verkleideten Franzosen an die Spitze der Delegation. Die Spieler der Celeste waren wie vor den Kopf gestoßen. Ihre Eltern und Großeltern stammten schließlich aus Europa.

      Die Kicker wussten wenig bis gar nichts über die indigene Bevölkerung, die einst in der Banda Oriental nördlich des Río de la Plata gelebt hatte. Die letzten dieser Indios waren 1831 auf Befehl von José Fructuoso Rivera y Toscana, dem ersten Präsidenten Uruguays, beim Massaker von Salsipuedes getötet oder gefangen genommen worden. Die Überlebenden wurden als Sklaven nach Montevideo gebracht, bis auf drei, die in Paris als Zirkusattraktion herhalten mussten.

      Dank romantischer Dichter wie Juan Zorrilla de San Martín lebt die Legende vom tapferen und furchtlosen Krieger, der bis zum Tode kämpft, bis heute fort. Die garra charrúa war dabei die göttliche Gabe, die dem Krieger entscheidende Kraft verlieh, wenn der Feind es am wenigsten erwartete. Diese Eigenschaft in der Schlacht wurde auf den Fußball und auf die Spieler Uruguays übertragen und die Klaue zum Markenzeichen der Celeste.

      Bei den Olympischen Spielen 1928 in Amsterdam sicherten sich die Uruguayer noch einmal die Goldmedaille. Im Finale spielten sie gegen den ewigen Rivalen Argentinien zunächst unentschieden und gewannen dann das Wiederholungsspiel. 1929 beschloss die FIFA auf ihrem Kongress in Barcelona, Uruguay mit der Ausrichtung der ersten Weltmeisterschaft zu beauftragen. Das Land war wohlhabend und litt nicht unter dem Crash an der Wall Street und der Weltwirtschaftskrise, sondern durchlebte gerade „los años locos“, „die verrückten Jahre“.

      Uruguays Wirtschaft boomte, der Peso war mehr wert als der Dollar. Viele Menschen stiegen sozial auf, und die Mittelschicht gewann enorm an Kaufkraft. Große Kaufhäuser wurden eröffnet, um die steigende Nachfrage nach Konsumgütern zu befriedigen; pro Jahr wurden allein 15.000 Autos importiert. Auch Montevideo veränderte sich: Es entstanden neue Wohngebiete, Hochhäuser wurden gebaut, und Krankenhäuser, Schulen, Universitäten, Parks und eben Stadien (wie das Centenario) schossen wie Pilze aus dem Boden.

      Da die FIFA schon immer einen guten Riecher für Länder mit großem Geldbeutel hatte, entschied sie sich für Uruguay. Sie wusste, dass dessen Wirtschaft die Organisation einer WM finanziell stemmen konnte. Doch nicht nur das: Die uruguayische Regierung ging noch weiter und stellte 300.000 Pesos bereit. Mit diesem Geld bezahlte sie den Mannschaften aus Europa – Frankreich, Jugoslawien, Belgien und Rumänien – die Überfahrt und gewährte ihnen vor Ort freie Kost und Logis und sogar Tagesspesen.

      In nur sechs Monaten wurde das Centenario hochgezogen. Schichtarbeiter schufteten ohne Pause, um den Bau rechtzeitig fertigzustellen. Das Centenario ist das bisher einzige Stadion, das von der FIFA zum „Monument des Weltfußballs“ erklärt wurde. Es verfügte über 90.000 (nach anderen Quellen 100.000) Plätze, die Baukosten betrugen 1,5 Millionen Pesos. Geplant hatte es der Architekt Juan Antonio Scasso im Stil der Moderne. Wegen einer heftigen Regenperiode verzögerte sich die Eröffnung jedoch und fand erst fünf Tage nach Beginn der WM statt.

      Am 30. Juli 1930, einem Samstag, wurde um 14:10 Uhr das Endspiel angepfiffen: Uruguay gegen Argentinien, die Neuauflage des Finales zwei Jahre zuvor in Amsterdam. Héctor Castro, „El Divino Manco“ („der göttliche Einhänder“), Sohn galicischer Einwanderer, dessen rechte Hand im Jugendalter in eine elektrische Säge geraten war, traf in der 89. Minute mit einem vorzüglichen Kopfball zum 4:2-Endstand. Uruguay war Weltmeister.

      FIFA-Präsident Jules Rimet überreichte Kapitän José Nasazzi den Pokal, und das Land verfiel in einen kollektiven Freudentaumel. Die Regierung erklärte den 31. Juli kurzerhand zum nationalen Feiertag. Laut dem Soziologen Rafael Bayce hatte die Celeste ihren Sieg „einer glänzenden Kombination aus direktem und aggressivem Fußball [zu verdanken], bestehend aus langen Bällen wie bei den Engländern und raffinierten Kurzpässen, mit denen sie dem Spiel einen schnellen Rhythmus gaben“. Mit dem Finale im Centenario hatte sich der Fußball endgültig als populärste Sportart am Río de la Plata etabliert.

      *

      Man schrieb den 16. Juli 1950, und die Uhren in Rio de Janeiro zeigten auf 16:33 Uhr, da brachte Uruguays Linksaußen Alcides Ghiggia das Maracanã zum Schweigen (lange bevor Frank Sinatra und Papst Johannes Paul II. Vergleichbares erreichen sollten). 200.000 Menschen, die sich des Sieges ihres Teams so sicher gewesen waren, verstummten. Doch nun schlug Uruguay tatsächlich Brasilien und nahm zum zweiten Mal die WM-Trophäe in Empfang.

      In seinem Kommentar im Jornal dos Sports schrieb der brasilianische Journalist Mario Filho: „Die Stadt hat ihre Fenster verrammelt und ist in Trauer versunken. Es war, als hätte jede Brasilianerin und jeder Brasilianer einen geliebten Menschen verloren. Oder, noch schlimmer, als hätte jeder Brasilianer seine Ehre und Würde verloren.“ Der Dramatiker Nelson Rodrigues, ein Landsmann Filhos, sprach von einem „Schock, einem seelischen Hiroshima“. Es herrschte unendliche Traurigkeit, es gab Tränen, Herzinfarkte und Selbstmorde.

      Uruguay hingegen war in Feierstimmung. Und dann gab es da noch den Kapitän Obdulio Varela, der sich mit dem Ball unterm Arm die Zeit nahm, die brasilianischen Seelen zu trösten; ein Mann, der bis tief in die Nacht hinein mit den Verlierern trank und weinte und der später sagte: „Mit dem Hellblauen auf der Brust werden wir zu Edelmännern.“ Varela wurde zur Legende, zu einem Symbol des Erfolges und der garra charrúa. Bald 70 Jahre sind seit jenem schicksalhaften Spiel vergangen, doch in Uruguay ist es noch immer Gesprächsthema. Es wurden Bücher geschrieben und Dokumentarfilme gedreht über die ruhmreichen 90 Minuten. Niemand hat das Maracanaço vergessen; es wird weiterhin sowohl als positiver als auch negativer Wendepunkt gesehen.

      Mario Romano interpretiert die WM 1950 aus rein sportlicher Perspektive: „Maracanã war ganz sicher ein Höhepunkt in der Fußballgeschichte Uruguays; es war der größte sportliche Erfolg. Danach wurde die garra charrúa gefeiert, dass man trotz vermeintlich aussichtslosem Kampf niemals aufgab, wie David gegen Goliath. Aber die Kehrseite der Medaille war, dass nur noch Platz eins zählte. Als die Nationalmannschaft bei der WM 1954 in der Schweiz Vierter wurde, wurde das allgemein als Versagen gewertet, genau wie der vierte Platz bei der WM 1970. Erst 60 Jahre später wurde er gewürdigt und bei der WM in Südafrika wie ein Titel gefeiert.“

      „Das Problem ist nicht der Titelgewinn, der ja nun mal Fakt ist, sondern die Lehren, die man daraus zog“, ergänzt Maiztegui. „Nämlich: Wir Uruguayer gewinnen das, wofür andere hart arbeiten und sich lange vorbereiten

Скачать книгу