Luis Suárez. Luca Caioli
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Luis Suárez - Luca Caioli страница 2
Gespräch mit Óscar Washington Tabárez, uruguayischer Nationaltrainer
Der Autor
KAPITEL 1
Ein Teil der Nationalkultur
Fußball in Uruguay
José „Pepe“ Mujica, Jahrgang 1935, ist kein großer Fußballfan. Zwar hat er wie all seine Altersgenossen als Kind gekickt, stieg dann aber mit zwölf Jahren aufs Fahrrad um und verschrieb sich eine Weile komplett dem Radsport. Und obwohl er eigentlich aus dem Osten Montevideos, aus dem Viertel Paso de la Arena, stammt, sympathisiert er mit dem Club Atlético Cerro aus dem gleichnamigen Viertel im Süden der Stadt – Huracán del Paso de la Arena gab es zu Mujicas Jugendzeiten noch gar nicht.
Auch wenn sich Mujica nicht so richtig für das runde Leder begeistern kann, so ist ihm doch bewusst, dass Fußball in Lateinamerika die „alles überragende Form der Kommunikation darstellt und gemeinsam mit der Sprache das stärkste überhaupt mögliche Band zwischen den Gesellschaften Südamerikas bildet. Ein einfaches Spiel ist zur denkbar bedeutendsten und wichtigsten Sache geworden.“ Ein Spiel, das gelegentlich auch Gewalt in den Stadien auslöst: „Jene Bestie in uns, die das Herz einer jeden Gesellschaft bedroht.“ Trotzdem sei „Uruguay eines der fußballverrücktesten Länder der Welt“, ist Mujica überzeugt. In einem Radiointerview jüngeren Datums merkte er an: „Gemessen an der Größe des Landes und den Möglichkeiten des einzelnen Bürgers [Uruguay hat 3,3 Millionen Einwohner, Anm. d. A.] ist der uruguayische Fußball ein Wunder, geschaffen durch die Leidenschaft unseres Volkes.“
Uruguays ehemaliger Präsident, der die Welt in seiner Amtszeit von 2010 bis 2015 sowohl mit seiner Gesetzgebung – Legalisierung von Marihuana, Schwangerschaftsabbruch und gleichgeschlechtlicher Ehe – als auch mit einer Formel für eine glücklichere Menschheit überraschte, hat natürlich völlig recht. Er ist außerdem nicht der Einzige, der so denkt: Das Fußballwunder ist in allen Gesellschaftsschichten Gesprächsthema. Wen man auch fragt, er wird zum Beleg entsprechende Zahlen, Fakten und Statistiken bemühen. Die vier Sterne auf dem hellblauen Trikot der Nationalmannschaft erinnern an die zwei olympischen Goldmedaillen von 1924 und 1928 sowie die beiden WM-Titel 1930 und 1950. Dazu gesellen sich noch 15 Titel in der Copa América.
Außerdem ist Fußball allgegenwärtiger Teil des Lebens in Uruguay, von staubigen Nebenstraßen bis zu den sattgrünen Spielfeldern der Profiteams oder zum Kinderfußball. An jedem Wochenende finden in Montevideo ungefähr 3.000 Spiele im Kinderbereich statt, die für die Familien und ihre fünf- bis zwölfjährigen Sprösslinge ein bedeutendes gesellschaftliches Ereignis darstellen. Der nationale Profibereich versammelte 2015/16 in den beiden höchsten Ligen 29 Vereine, von denen 19 in der Hauptstadt spielten. Die Eintrittskarten für die Partien sind mit 80 bis 500 Pesos, umgerechnet 2,50 bis 15 Euro, durchaus erschwinglich und ermöglichen jedem, der will, den Besuch eines Spiels.
Auch im Fernsehbereich geht es im Vergleich zu Europa eher um Peanuts: In Uruguay kosten die Übertragungsrechte knapp neun Millionen Euro. Zum Vergleich: Ab 2016/17 kostet in der englischen Premier League allein die nationale Liveberichterstattung 2,25 Milliarden Euro pro Saison! Der Etat des aktuellen uruguayischen Landesmeisters Club Nacional beträgt ungefähr 13,5 Millionen Euro, der von Real Madrid 520 Millionen. Die letzte Zahl, sagte dazu José Mujica, „ist wahrscheinlich ein Betrag, den der uruguayische Fußball in seiner gesamten Geschichte nicht ausgegeben hat“.
Doch ungeachtet des knappen Geldes und der genannten Summen geht das Fußballwunder weiter, und das kleine südamerikanische Land behauptet seine Nische zwischen den Riesen Brasilien und Argentinien. Es kann sich sogar einer ganzen Armee legendärer Spieler rühmen, ganz so, als wäre es ein Land mit 60 oder 200 Millionen Einwohnern. Die Gründe: Fußball ist hier eine Leidenschaft (oder Seuche), die alle Gesellschaftsschichten befallen hat. Außerdem besitzt das Land eine eher schwache nationale Identität, Nationalismus hat keine große Bedeutung, weshalb sich der Nationalstolz vor allem in Form hellblauer Trikots und der Ablehnung alles Argentinischen manifestiert.
So kommt es, dass Fußball hier ein fundamentaler Teil der Nationalkultur ist. Zwischen Fußball und Nation besteht eine regelrechte Symbiose. In Uruguay steht das Leben nur bei zwei Ereignissen komplett still: bei Länderspielen und bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Das Leben in der Républica Oriental del Uruguay, der „Republik Östlich des Uruguay“, wird von Politik und Fußball bestimmt – so sehr, dass die Liste der Nationalhelden von Fußballern nur so strotzt. Es finden sich darunter Männer wie „El Negro Jefe“, der „schwarze Chef“ Obdulio Varela, oder „El Mariscal“ José Nasazzi, der „Marschall“ und Teilnehmer der WM 1930.
Im Fußball werden die großen Konflikte ausgetragen, finden die großen Debatten statt und entstehen neue Ausdrücke, die Eingang in die Sprache finden. „Los de afuera son de palo“ („Die da draußen sind bloß Holzpfosten“): Mit diesem berühmten Satz hatte Varela seiner Mannschaft anno 1950 Mut gemacht, bevor sie in das mit 200.000 Menschen rappelvolle Maracanã einlaufen musste. Was er damit sagen wollte: Alle außerhalb der Familie, eigenen Umgebung oder Mannschaft sind egal, und man sollte lieber nicht auf Leute von außen hören.
Die Entstehung dieser Welt in sich und dieser starken fußballerischen Identität hat viel mit der Geschichte von Uruguay zu tun, obwohl sich der historische Hintergrund heute nur schwer nachzeichnen lässt. Auf jeden Fall aber ist der Fußball genau wie in Brasilien, Argentinien, Italien, Deutschland oder Frankreich eng mit der industriellen Revolution und der weltweiten Expansion der britischen Wirtschaft verknüpft. Es waren die Untertanen Ihrer Majestät Queen Victoria, die den Sport in jeden Winkel der Erde trugen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts