Der Bergpfarrer Paket 4 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Zum einen war der Geistliche viel zu jung, um etwas über die alte Geschichte zu wissen. Als sie sich ereignete, konnte er auf keinen Fall hier schon Pfarrer gewesen sein, wenn er denn überhaupt schon auf der Welt war.
Zum anderen konnte er, Franz, nicht sicher sein, daß Hochwürden nicht auch dem Mann zur Seite stand, auf den er es abgesehen hatte.
Je mehr er darüber nachdachte, um so sicherer wurde er, daß es besser sein würde, sich nicht an Sebastian Trenker zu wenden. Er mußte diese Sache alleine aufklären, auch wenn er dabei ganz auf sich gestellt war.
*
»Na, Frau Hofmann, was machen Sie denn für ein Gesicht?« fragte Ria Stubler, als sie die junge Frau durch die Tür kommen sah.
Nach ihrem Besuch auf dem Mäderhof war Andrea eher ziellos durch die Gegend gefahren. Ihr war jetzt klar, daß sie einen Fehler gemacht hatte, als sie sich entschloß, ins Wachnertal zu fahren.
Georg hatte ihren Namen nie wieder erwähnt, sprach nicht mehr von ihr!
Wie konnte sie da annehmen, daß er sich über ihren Besuch freuen würde?
Es gab keinen Grund, warum sie Liesl nicht glauben sollte. Sie waren immer gut miteinander ausgekommen, und für die Magd gab es keinen Grund, sie zu belügen.
Andrea hatte irgendwo angehalten, war ausgestiegen und ein ganzes Stück zu Fuß gegangen. Sie wußte nicht recht, was sie anfangen sollte. Ihre Hoffnung war es gewesen, Georg wiederzusehen und zu erfahren, daß es wieder so sein würde wie früher. Ja, sie liebte ihn immer noch. Er war der Grund, warum sie sich nie mit einem anderen Mann eingelassen hatte. Keiner hätte dem Vergleich mit dem jungen Bauern standhalten können.
Aber vielleicht war sie ja damals nur ein Zeitvertreib für ihn gewesen. Ein Spielzeug für ein paar Wochen, das man vergaß, wenn man es nicht mehr sah.
Er hatte ja nicht einmal auf ihren Brief reagiert, in dem sie ihm alles erklärt hatte und um Verständnis bat.
Andrea war so in Gedanken gewesen, daß sie gar nicht bemerkte, wie weit sie sich schon von ihrem Auto entfernt hatte. Sie wußte nicht einmal genau, wo sie sich überhaupt befand. Erst als sie an eine Wegbiegung kam, an der ein großer Felsbrocken stand, fiel ihr wieder ein, daß sie genau hier oft mit Georg gesessen hatte. Es war nämlich der Platz, an die sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Da unten lag das Feld, das ihm gehörte, und hier oben hatte er gesessen und Brotzeit gemacht.
Sie setzte sich an der Stelle ins Gras und schloß die Augen. Unendliche Trauer erfüllte sie. Andrea fühlte, wie sich ihr Herz verkrampfte, und am liebsten wäre sie nie hergekommen.
Stunden saß sie dort und erinnerte sich an all das, was vor drei Jahren geschehen war. Es war, als erinnerte sie sich an jedes Wort, das sie gesprochen hatten, jede Umarmung, jeden Kuß.
Im Tal läuteten die Kirchenglocken. Andrea schreckte hoch und schaute auf die Uhr. Sie war so in ihren Erinnerungen versunken gewesen, daß sie es die anderen Male gar nicht mitbekommen hatte, wenn die Glocken anschlugen.
Sie stand auf und klopfte ihre Hose ab. Langsam ging sie den Weg zurück, den sie gekommen war, und fand das Auto wieder. Andrea fuhr nach St. Johann zurück, ohne zu wissen, was sie eigentlich noch dort wollte.
»Ist alles in Ordnung?« hakte die Wirtin nach.
Andrea antwortete nicht, und Ria fand, daß die junge Frau alles andere, als einen glücklichen Eindruck machte, und ihr mütterlicher Instinkt sagte ihr, daß sie sich ein wenig um Andrea Hofmann kümmern sollte.
»Ich hab’ grad Kaffee gekocht«, setzte sie hinzu. »Was halten S’ davon, wenn wir eine Tasse trinken und uns dabei ein bissel unterhalten?«
Endlich nickte die Sekretärin, und in ihrem Gesicht zeigte sich ein dankbares Lächeln.
»Die andren Gäste sind alle aus dem Haus«, erklärte Ria. »Wir sind also ungestört, wenn wir uns nach draußen setzen.«
Rasch ging sie in die Küche, um Kaffee zu holen, Andrea nahm schon auf der Terrasse Platz. Nach kurzer Zeit kam die Pensionswirtin und stellte ein Tablett auf dem Tisch ab.
»Den Kuchen hab’ ich heut’ morgen gebacken«, erklärte sie. »Ich hoff’, er schmeckt Ihnen, Frau Hofmann.«
»Vielen Dank«, erwiderte Andrea, und bat Ria, sie doch beim Vornamen zu nennen.
»Das mach’ ich gern’«, nickte die Wirtin und hob ihre Kaffeetasse, »und ich bin die Ria.«
»Hmm, der ist aber wirklich lecker«, sagte Andrea, als sie von dem Napfkuchen abgebissen hatte. »So mag ich ihn besonders gern, mit der dunklen Schokolade darin.«
»Und magst’ jetzt darüber sprechen, was dich bedrückt?« fragte Ria Stubler.
Die Sekretärin blickte versonnen auf die blühende Pracht im Garten, dann sah sie die Wirtin an und erzählte, warum sie nach St. Johann gekommen war, und von dem Besuch auf Georgs Hof.
Ria war überrascht.
»Der Georg Mäder also«, sagte sie. »Na, das hätt’ ich net gedacht. Weißt’, Andrea, im Dorf wird natürlich viel geredet, und manche zerreißen sich schon lang’ das Maul darüber, daß der Georg immer noch Junggeselle ist. Es ist schon ungewöhnlich, daß so ein junger Bauer net heiraten will. Auf einen Hof gehört nun mal eine Frau, und die Liesl ist ja auch net mehr die Jüngste. Ganz abgesehen davon, daß es reichlich Bewerberinnen geben würd’. Aber glaubst’ net, daß genau das bedeuten könnt’, daß der Georg dich immer noch liebt? Das er deswegen kein andres Madl anschaut?«
»Nein, das glaub’ ich net«, schüttelte Andrea den Kopf. »Die Liesl hat doch ganz deutlich gesagt, daß er nie wieder meinen Namen erwähnt hat. Und warum hat er net auf meinen Brief geantwortet, den ich ihm geschrieben hab’? Das muß doch einen Grund haben!«
»Ja, schon«, gab Ria zu. »Wer weiß schon, was damals in ihm vorgegangen ist. Aber das wirst’ ihn schon selbst fragen müssen.«
»Ich weiß net«, meinte die junge Frau und schüttelte den Kopf. »Er weiß ja net, daß ich da bin, und der Liesl hab’ ich gesagt, daß sie’s ihm net sagen soll.«
Ria dachte nach.
»Vielleicht«, sagte sie nach einer Weile, »solltest’ dich Hochwürden anvertrauen. Du kennst Pfarrer Trenker doch. Bestimmt wird er bereit sein, zwischen euch zu vermitteln. Was willst’ denn machen, wenn dein Urlaub zu End’ ist? Heimfahren, als wär’ nix gewesen, als hättest’ den Georg nie gekannt?«
Sie sah Andrea eindringlich an.
»Madl, unter Umständen hängt dein Lebensglück davon ab, daß du net aufgibst«, setzte sie hinzu.
*
Lange Zeit stand Andrea vor der Madonnenstatue und schaute sie an. Zum ersten Mal hatte sie die Figur gesehen, als sie mit Georg in die Messe gegangen war. Voller Stolz hatte er sie herumgeführt, und später hatten sie vor dem Altar gesessen und sich an den Händen gehalten.
Jetzt war sie alleine hergekommen. Georg hatte sie aus seinen Gedanken gestrichen und wahrscheinlich würde er nie erfahren, daß sie überhaupt zurückgekommen war.
Nein,