Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman - Patricia Vandenberg Chefarzt Dr. Norden Paket

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      Dr. Matthias Weigand saß am Schreibtisch. Sein Laptop verschwand fast unter der Papierflut. Das war – zumindest im Augenblick – nicht weiter schlimm, denn der Internist und Notarzt diktierte Befunde. Die Tür stand halb offen. Ein feiner Duft wehte herein. Matthias drückte die Stopptaste des kleinen Aufnahmegeräts. Wie ein Wolf hob er witternd die Nase. Diesen Duft hatte er heute schon einmal gerochen. Er hätte ihn unter Hunderten wiedererkannt. Dieser Geruch war der Inbegriff von Reichtum. Ein Mann, der sich so verschwenderisch mit »Millenio« einnebeln konnte, stand auf der sonnigen Seite des Lebens. Es überraschte Matthias Weigand nicht, dass Christian Berger an die Tür klopfte.

      »Kommen Sie nur. Ich habe auf Sie gewartet.«

      »Hallo, Herr Doktor.« Der Berger-Enkel kam näher. Er nahm Matthias‘ Angebot an und setzte sich auf den Stuhl vor dem Schreibtisch. »Sie wollten mich sprechen?«

      »Ganz recht. Es geht um Ihre Großmutter.« Matthias suchte zwischen den Akten. »Wo steckt denn nur …« Er schob die Unterlagen hin und her, zog eine heraus, studierte den Namen auf dem Schildchen, um sie wieder wegzulegen und nach der nächsten zu greifen. »Ah, hier ist sie ja …« Er schlug die Mappe auf und lehnte sich zurück.

      »Wie geht es Oma?« Christian saß auf der äußersten Stuhlkante.

      Matthias sah ihm in die Augen. Seine Pupillen waren klein.

      »Das Problem war schnell gefunden. Die Überraschung folgte danach. Plötzlich ist Blut aus der Milz geschossen wie im Frühling das Wasser aus einer Felswand.« Die Erinnerung daran trieb ihm noch immer den Schweiß auf die Stirn. »Aus irgendeinem Grund funktioniert die Blutgerinnung nicht so, wie sie soll. Wir haben gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Jetzt geht es ihr den Umständen entsprechend gut.«

      Christian biss sich auf die Unterlippe.

      »Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich vorhin erschrocken bin. Als Sie sie aus dem Zimmer herausgefahren haben … Oma sah aus wie tot.«

      »Das tut mir leid. Aber das Wohl unserer Patienten steht an erster Stelle. Es musste alles sehr schnell gehen. Deshalb blieb keine Zeit für lange Erklärungen.«

      »Warum mussten Sie überhaupt operieren?«

      »Durch den Sturz vom Stuhl hat sich Frau Berger einen feinen Riss in der Milz zugezogen.«

      Christian runzelte die Stirn.

      »Wieso haben Sie das nicht gleich erkannt?«

      Dr. Weigands Nackenhärchen sträubten sich.

      »Wenn es sich nur um einen kleinen Riss handelt, kann es vorkommen, dass sich die Blutung erst schleichend bemerkbar macht.«

      In diesem Moment war es mit Christians Selbstbeherrschung vorbei. Er sprang vom Stuhl auf und begann, wie ein Tiger im Käfig vor dem Schreibtisch auf und ab zu laufen.

      »Sie haben keine Ahnung, wie ich mich gefühlt habe. Ich musste mit ansehen, wie meine Großmutter weggebracht wurde. Wusste nicht, ob ich sie lebend wiedersehe. Und kein Mensch sagt mir Bescheid.«

      Matthias atmete tief durch.

      »Ich sagte doch schon: Unsere Patienten stehen an erster Stelle. Hätten wir anders gehandelt, hätte Ihre Großmutter verbluten können. Es war ein dummer Zufall, dass Sie diese kritische Szene überhaupt mitbekommen haben.«

      Berger war vor dem Schreibtisch stehen geblieben.

      Matthias fühlte sich wie im Visier eines Jägers.

      »Also schön«, seufzte Christian schließlich und setzte sich wieder. »Und wie geht es jetzt weiter?«

      »Ihre Großmutter bleibt heute Nacht noch auf der Intensivstation. Morgen früh werden wir ein neues CT veranlassen.« Auf der sachlichen Ebene fühlte sich Matthias Weigand wesentlich sicherer als auf dem emotionalen Parkett. »Ist das Ergebnis entsprechend, wird Ihre Großmutter auf die normale Station verlegt.«

      »Wann kann ich Oma nach Hause holen?«, kam die nächste Frage wie aus der Pistole geschossen.

      Diesmal war es Matthias, der die Stirn runzelte.

      »Ich glaube kaum, dass dies der richtige Augenblick ist, um über solche Fragen zu spekulieren.« Seine Stimme war schroffer als beabsichtigt. »Noch wissen wir nicht, woher die Blutgerinnungsstörung stammt. Vielleicht können Sie mir etwas dazu sagen?«

      Christian verschränkte die Arme vor dem Körper.

      »Nein, tut mir leid. Ich habe keine Ahnung.« Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Diese ganze Geschichte kam ziemlich überraschend. Bisher waren immer nur die anderen krank. Aber plötzlich ist das Unglück ganz nah.« Er stand auf, wischte sich die Hände an der Kammgarnhose ab und reichte Matthias die Rechte. »Ich statte Oma jetzt einen Besuch ab. Vielen Dank für alles.«

      Dr. Weigand schüttelte die Hand.

      »Nichts zu danken. Ich tue nur meine Pflicht.« Diesen Satz hatte er einmal in einem Film gehört und ihn behalten. Irgendwie schien er der Situation angemessen. Er brachte Christian zur Tür.

      »Ach, Herr Berger. Sie sagten, Ihre Großmutter sei vom Stuhl gestürzt.«

      Christian fuhr herum. Sie waren etwa gleich groß und starrten sich in die Augen. Täuschte Matthias sich oder hatten sich Christians Pupillen plötzlich geweitet? Vor Schreck? Aus Angst?

      »Ja. Sie wollte eine Glühbirne wechseln.«

      »Wenn das wirklich so wäre, müsste sie wenigstens eine Beule am Kopf haben. Aber da ist nichts.«

      Christian Berger legte den Kopf schief.

      »Ich verstehe nicht. Was wollen Sie mir damit sagen?«

      »Nichts. Ich wundere mich nur. Wenn ein Mensch ohnmächtig wird und aus großer Höhe herab stürzt, wird in der Regel der Kopf in Mitleidenschaft gezogen.«

      Berger zuckte mit den Schultern. Er zog die Mundwinkel kurz nach unten. Gleich darauf lächelte er und verließ ohne ein weiteres Wort das Büro.

      *

      Wie ein gejagtes Tier sah sich Sophie Petzold um. Nachdem sie sich versichert hatte, dass weit und breit keine Menschenseele zu sehen war, schlüpfte sie katzengleich durch die Tür. Sie machte Licht, lehnte sich gegen das Türblatt und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Durch Zufall war sie einmal in dieses Büro in dem Seitenflur geraten. Das Durcheinander, das dort herrschte, ließ darauf schließen, dass es nur noch als Abstellkammer genutzt wurde. Gerade richtig für ihr Vorhaben. Sie zerrte das Blutdruckmessgerät aus der Kitteltasche. In diesem Moment klingelte ihr Handy.

      Jakobs Konterfei leuchtete im Takt der Melodie auf. Sophie hielt das Gerät in der Hand. Ihr Daumen schwebte über dem grünen Symbol mit dem Telefonhörer. Kopf und Bauch stritten so lange miteinander, bis der Klingelton verstummte. Jakob hatte aufgelegt. Sophie wusste, dass sie mit ihm sprechen musste. Aber nicht jetzt. Sie konzentrierte sich wieder auf ihr Vorhaben und krempelte den Ärmel hoch, um die Blutdruckmanschette überzuziehen. Feine Schweißperlen traten ihr auf die Stirn.

      »So schwer kann das doch nicht sein!«, schimpfte sie vor sich hin.

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