Punkt - Punkt - Sommer - Strich. Roy Jacobsen
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Roy Jacobsen
Punkt – Punkt – Sommer – Strich
Roman
Aus dem Norwegischen
von Gabriele Haefs
Saga
1
Wir mieteten dieses Sommerhaus in Drøbak, weil ich Ruhe brauchte, um meinen Roman fertig zu schreiben, und weil die Kinder baden wollten. Und wir mieteten es unbesehen.
»Dort ist ein Mord begangen worden«, sagte der Makler, als ich kurz vor unserem Aufbruch gen Süden mit ihm telefonierte.
»Ach ja, was soll das bedeuten?«
»Bedeuten? Na ... nur das, was ich gesagt habe.«
»Und warum erzählen Sie mir das?«
»Na ja, es gibt ja so viele Verrückte, manchen gefällt es sogar, daß im Haus, das sie mieten wollen, ein Mord begangen worden ist, und ... na ja, wo Sie doch Schriftsteller sind, und überhaupt.«
Ich fand ja, das sagte mehr über den Makler aus als über mich. – »Schriftsteller, und überhaupt« – vor allem, wo es mir weder gefällt noch mißfällt, daß in dem Haus, das ich für drei Sommermonate mieten will, ein Mord begangen worden ist. Das ist mir wirklich reichlich schnurz. Ich bin ein nüchterner Mann und glaube nicht an den langen Schatten der Geschichte.
Aber dann stellte sich natürlich heraus, als wir das Haus in Augenschein nahmen, daß ich mir immer wieder sagte, in einer zum Teil anspruchsvollen und gebieterischen Form innerer Rhetorik, daß diese blöde Mordgeschichte mit mir doch nun wirklich nichts zu tun hätte. Ich betrachtete das Badezimmer und dachte dasselbe – der Mord habe keine Bedeutung – das große Wohnzimmer mit dem Kamin; ich inspizierte die Kinderzimmer, hübsche, gemütliche kleine Kinderzimmer mit Blümchentapeten und Schiebebetten, den Söller im ersten Stock mit den Winkelbögen und den kleinen Schnitzereien; ich entnahm dem Mietvertrag, daß das Haus um die Jahrhundertwende erbaut worden war, und dachte die ganze Zeit, daß das doch wirklich nichts mit einer Mordgeschichte zu tun hätte. Und ich hätte gut auf diesen Gedanken verzichten können, so wie Katrine gut darauf verzichten konnte, da ich ihr nichts erzählt hatte, und auch das war eine seltsame Geheimniskrämerei von einem, der nicht an Gespenster glaubt. Also erzählte ich es ihr doch:
»Hier ist ein Mord begangen worden«, sagte ich, so ganz lässig, als wir uns unser eigenes Schlafzimmer ansahen, ein wunderhübsches ländliches Carl-Larsson-Interieur im ersten Stock, mit Blick auf den üppigen, aber etwas verwahrlosten Garten und das Meer im Hintergrund, blau und blank und über den alten Apfelbäumen gerade noch zu sehen.
»Was ist los?« fragte Katrine.
»Ja, das sieht so aus.«
»Aber warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Müssen wir das denn so aufbauschen?«
»Das machst du doch gerade, wenn du es mir verheimlichst. «
Doch ja, da hatte sie vielleicht recht.
Und dieses Gespräch, auch wenn es an diese Stelle paßt und sich vielleicht aus dem Zusammenhang heraus erklären läßt, ist eigentlich ein gutes Bild für unser Leben, Katrines und meins, für unser Leben seit fünfzehn Jahren. Wir gehören nämlich zu der im Laufe der Zeit immer mehr gescholtenen 68er Generation, die so munter damit anfing, die Welt ändern zu wollen, die aber im Laufe der Zeit nachdrücklicher als die meisten anderen Norweger in den sauren Apfel der Wirklichkeit beißen mußte und die nun überall auf bodenlose Verständnislosigkeit stößt, egal, wie wir unsere Ansichten auch mäßigen. Ein weiterer und noch irritierenderer Aspekt der Tatsache, daß ich mich mit Menschen angelegt habe, gegen die ich überhaupt nichts habe, ist, daß ich selber immer, trotz meines von außen gesehen wohl ziemlich schrillen Engagements, im Grunde ein Zweifler gewesen bin. Und deshalb habe ich das Gefühl, für Dinge, die ich weder gemeint noch gesagt habe, zur Verantwortung gezogen zu werden. Im Gegensatz zu Katrine, die noch immer dasselbe meint und sagt – fast. Unsere Meinungsverschiedenheiten entwikkeln sich dann auch gern in denselben alten fünf Schritten: Ich sage etwas, Katrine kritisiert das von mir Gesagte, ich verteidige mich durch die Behauptung, so habe ich das nicht gemeint, Katrine meint, ich habe das doch so gemeint, und – und das ist nicht das Unwichtigste – krönt ihr Werk damit, daß sie mir klarmacht, daß sie da gar nicht so falsch liegt, da alle meine Äußerungen als zweideutig gelten können. Ich bin, mit anderen Worten, dauernd anderer Meinung als mein eigentliches Ich. Katrine ist auch anderer Meinung als mein »eigentliches Ich«, »die verborgenen Kräfte des Mannes«, wie sie das nennt, diese traurige Erbschaft nach zweitausend Jahren ununterbrochener Pöbelherrschaft. Und so geht’s dann weiter. Ich:
»Ja, meinst du, du hättest das Haus nicht gemietet, wenn du von diesem blöden Mord gewußt hättest?«
»Das habe ich doch nicht gesagt, John. Ich rede vom Prinzip.«
»Na gut. Ich gebe zu, ich hätte es dir erzählen sollen. Aber wirst du dich denn trotzdem hier wohlfühlen?«
Katrine zuckt mit den Schultern und antwortet nicht, verbal, sollte ich wohl sagen, denn ihr Schulterzucken ist von tiefer Bedeutung. Es deutet an, daß ich verantwortlich bin, wenn jetzt etwas schief geht, egal was. Ein Ausspruch wie »Natürlich habe ich nichts dagegen, diesen Sommer über hier zu wohnen« wäre nämlich genauso wichtig wie meine Unterschrift unter dem Vertrag, das heißt: geteilte Verantwortung. Und Katrine mag solche Teilungen nicht. Sie mag geteilten Aufwasch, geteiltes Geld (unsere beiden Einkommen, meines um die Hälfte größer als ihres, zusammengezählt und durch zwei geteilt), geteilte Zeit für die Kinder; nicht ganz geteilte Autorität, denn eine Mutter steht den Kindern natürlich näher als ein Vater, und wenn er noch so emsig sein Scherflein in Form von Windelwechseln und Breikochen und allem, was für einen Mann in meiner historischen Situation und mit meiner Überzeugung dazugehört, beigetragen hat. Dieser Klagegesang kann andeuten, daß der Verfasser dieser Zeilen allerlei an seiner Frau auszusetzen hat, aber keine Panik, Katrine hat an mir genausoviel auszusetzen, und hier führe nun einmal ich das Wort, ja, mein Bekenntnis kann vielleicht fast schon als Beichte durchgehen, die ich wohl brauche, um diesen Sommer durchzustehen. Denn, nachdem wir beschlossen haben, daß ich die Verantwortung trage für das, was passieren wird, hier in diesem Haus, in dem ein Mord begangen worden ist, gehen wir hinaus ins Sonnenlicht, wo die Kinder auf dem Balkon sitzen und Eis essen, und fragen sie, wie ihnen ihre Zimmer gefallen.
»Spitze«, antwortet Thomas, zwölf.
»Super«, sagt Hanne, fünfzehn.
Worauf wir das Gepäck aus dem Auto holen und ins schöne, jetzt leicht gespenstische Haus tragen – abgelegen ist es auch noch – und unser Hab und Gut in Schubladen und Schränke verteilen, während Katrine sich ans Kochen macht. Das ist ihr größtes Steckenpferd, das Kochen; Vater ist nämlich der eher improvisierende Typ, der gerne ißt, wenn er Hunger hat, und schläft, wenn er müde ist, womit Katrine sich abgefunden hatte, bis wir Hanne bekamen, und dann startete sie, Katrine, ihren Kreuzzug gegen das ganze zufällige Chaos in unserer postpubertären Lebensführung, und die festeste aller Strukturen – neben dem Zähneputzen – ist die warme Hauptmahlzeit, gerne von der angegrünten Sorte: Salate und Vitamine und so. Als die Kinder klein waren, und Katrine und ich getrennt ausgehen mußten, wenn wir uns mit Bekannten treffen wollten, erzählte sie mir immer, sowie ich nach Hause kam, ausführlich und unaufgefordert, was sie und die Kinder gegessen hatten. Wogegen ja auch nichts zu sagen war, ich hörte zu, ich erfuhr, daß alles in schönster Ordnung war, und brachte meine Zufriedenheit darüber zum Ausdruck. Aber dann fing