Autochthone Minderheiten und Migrant*innen. Sarah Oberbichler
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Zwischen Mikro- und Makroanalyse
Es steht außer Frage, dass computergestützte Analyseverfahren essentiell für die Auswertung von großen Datenmengen sind und zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn historischer, politischer oder sozialwissenschaftlicher Analysen beitragen. Sie dienen der Strukturierung von ursprünglich unstrukturierten Textdaten und schaffen einen Zugang zu Datenmaterial, das ohne computergestützte Auswertung nicht hätte erschlossen werden können.179
Trotzdem sind der computerbasierten Auswertung eindeutig Grenzen gesetzt, wie Jeffrey Drouin in seinem Artikel „ Close- and Distant-Reading Modernism: Network Analysis, Text Mining, and Teaching the Little Review” treffend zum Ausdruck brachte: „[…] the main weakness of big data methodologies is their inability to read the works that their algorithms quantify, to see what they actually say or how they position themselves in context”180. Mit dieser Aussage traf Drouin den Nerv des eigentlichen Problems: Die Unfähigkeit der Erfassung des historischen oder diskursiven Kontextes. Auch Paul Baker stellte fest: „However, a traditional corpus-based analysis is not sufficient to explain or interpret the reasons why certain linguistic patterns were found (or not found). Corpusanalysis does not usually take into account the social, political, historical, and cultural context of the data.”181 Aus diesem Grund sind automatisierten Auswertungen insbesondere bei qualitativen Textanalysen (Diskursanalysen) klare Grenzen gesetzt. Selbst wenn es diskurslinguistische Methoden gibt, die auch eine Diskursanalyse mittels Makroanalyse ermöglichen, wie zum Beispiel die Berechnung von Kollokationen,182 für eine schlüssige Interpretation und für die Kontextualisierung sind fraglos nach wie vor die Kenntnis des Gesamttextes sowie die menschliche Kompetenz des hermeneutischen Sinnverstehens des Forschenden gefragt.183 Für ein diskursanalytisches Verstehen müssen also Kontextinformationen miteinbezogen werden, weshalb Detailanalysen notwendig sind.184
Die Kombination von Mikro- und Makroanalyse – in Stulpes und Lemkes Nomenklatur als Blended Reading bezeichnet – scheint einen möglichen Ausweg aus diesem Dilemma zu bieten. Eine Schlussfolgerung, zu der neben Drouin185 und Baker186 unter anderem auch Hitchcock187, Fraas/Pentzold188, Lemke/Stulpe189, Lemke/Wiedemann190, Yanni Alexander Loukissas191 gekommen sind. Hierbei geht es um die Verknüpfung von computerbasierten Auswertungen (z. B. Frequenzanalysen) mit qualitativen Analysen, die mithilfe des genauen Lesens durchgeführt werden (z. B. Diskursanalysen).
1.5 Die Tageszeitungen Dolomiten und Alto Adige
Südtirols Medienlandschaft wird von zwei großen Tageszeitungen dominiert: der italienischsprachigen Alto Adige und der deutschsprachigen Dolomiten. Beide Tagblätter sind nicht nur die auflagenstärksten Zeitungen, sie sind auch wesentliche Repräsentanten der jeweiligen Sprachgruppe. So informiert die deutschsprachige Tageszeitung die deutsche Sprachgruppe, ihr italienischsprachiges Pendant richtet sich hingegeben an die italienischsprachigen Leser*innen. Sie sind auch die wesentlichen Meinungsträger in Südtirol; Während die Dolomiten das meistgelesene schriftliche Medium auf deutscher Seite darstellt – der weiteste Leserkreis umfasste 2016 259.000 Leser*innen über 14 Jahre –,192 bedient das italienischsprachige Blatt den Großteil der italienischsprachigen Bevölkerung in Südtirol. Andere Tageszeitungen in Südtirol spielen hingegen lediglich eine untergeordnete Rolle.193
Die Tageszeitung Dolomiten der Athesia-Presse wurde 1945 gegründet und konnte nach 1947 als die einzige deutschsprachige Tageszeitung in Südtirol verzeichnet werden. Ebenfalls arbeitete die Zeitung eng mit der Südtiroler Volkspartei zusammen und war – insbesondere im Rahmen der Südtirol-Frage – das wesentliche Sprachrohr der Südtiroler Bevölkerung. Die Athesia-Presse hatte also kaum ernsthafte Gegner.194 Zum ersten Mal in Frage gestellt wurde das Monopol der Dolomiten und des Athesia Verlagshauses mit der Zeitschrift Die Brücke. Es folgten Wochenzeitschriften und Monatszeitschriften wie die Volkszeitung oder Tandem, trotzdem konnten diese Zeitschriften nicht das absolute Monopol der Dolomiten antasten. Dies änderte sich erst 1980 mit der Gründung der Wochenzeitschrift FF-Die Südtiroler Illustrierte, die mit ihrem unabhängigen Journalismus eine Konkurrenz zur Dolomiten darstellte. Ebenfalls die 1996 gegründete Neue Südtiroler Tageszeitung kurz Tageszeitung stellte und stellt ein erfolgreiches Gegenpol zur Dolomiten dar.195
Während sich die Athesia als zentrales Medienunternehmen auf deutscher Seite etablieren konnte, dominierte die Alto Adige den italienischsprachigen Markt. Bis 1945 hatte die italienische Bevölkerung in Südtirol ohne eigene Tageszeitung auskommen müssen. Die Comitato di Liberazione Nationale (CLN) nahm sich schließlich dem Anliegen einer italienischsprachigen Zeitung an und fungierte bis zur Gründung der Genossenschaft SETA – Socita editrice tipografica atesina – im Dezember 1945 als Herausgeberin der Alto Adige. Das italienische Tagblatt hatte nach einem anfänglichen Auflagenrekord – bedingt durch das Fehlen nationaler Zeitungen – jedoch mit finanziellen Problemen und Umsatzschwierigkeiten zu kämpfen.196 Seit den 1990er-Jahren gibt es auch für die Alto Adige regionale Alternativen. Dazu gehörten die Mattino dell’ Alto Adige, die seit 1991 erschien und 2003 eingestellt wurde, die Corriere dell’ Alto Adige, eine Beilage der nationalen Tageszeitung Corriere della Sera und Il Giorno dell’ Alto Adige. Regionale italienische Tageszeitungen sind in Südtirol jedoch dadurch limitiert, dass die Anzahl der italienischsprachigen Südtirol*innen gering ist und nationale Zeitungen bereits viel abdecken.197 2016 schließlich verkaufte die Finegil Editoriale SPA 71 Prozent der Druckereigenossenschaft SETA SPA, Herausgeberin der Alto Adige und der Trentino. Die Athesia-AG kaufte diese Anteile und konnte