Die Frau am Meer. Ursula Isbel-Dotzler
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Читать онлайн книгу Die Frau am Meer - Ursula Isbel-Dotzler страница 2
»Sonst hätte er sich ja wohl auch kaum gemeldet«, warf Mutter ein.
Vater schnitt eine Grimasse. »Er muss für einige Zeit nach Asien. Viereinhalb Wochen, um genau zu sein. Und er möchte Helen mitnehmen.«
Helen ist Onkel Haralds Frau. »Schwierig ist es nur mit den Kindern. Sie möchten sie nicht impfen lassen und fürchten, dass sie sich in Asien sofort allerhand Krankheiten holen würden. Die beiden haben offenbar auch keine Lust mitzufahren. Die Frage ist nur, wer sich in dieser Zeit um sie kümmern soll.«
»Ich dachte, sie hätten eine Kinderfrau oder so was Ähnliches?«, fragte Mutter und rührte wie besessen mit dem Löffel in ihrer Kaffeetasse herum.
»Eine Haushälterin, die putzt und kocht. Aber die wohnt nicht im Haus. Sie kommt morgens und verschwindet nachmittags wieder. Und sie scheint … na ja, sie scheint etwas eigenartig zu sein. Die Kinder mögen sie nicht besonders. Jedenfalls wollen ihr Helen und Harald die Kids nicht anvertrauen.«
»Heißt das, dass wir unseren Urlaub in Cornwall verbringen und Haralds Sprösslinge hüten sollen?«, fragte meine Mutter ziemlich entsetzt. Ich konnte sie verstehen. Als Lehrerin legte sie keinen Wert darauf, auch noch während der Ferien von Kindergeschrei genervt zu werden.
»Harald und Helen haben an Fanny gedacht«, erwiderte mein Vater.
»An mich?« Meine Stimme endete mit einem Kiekser. Ich war total überrascht, fühlte mich zugleich aber auch geschmeichelt. Dass Onkel Harald mir zutraute, seine beiden Kids zu versorgen, mehr als einen Monat lang, irgendwo in einem einsamen Haus in der cornischen Pampa, war doch ein Beweis, dass er mehr von mir hielt, als ich vermutet hatte.
Die Gedanken meiner Mutter gingen in eine ähnliche Richtung, wenn auch mit unterschiedlichem Ergebnis. »Also, ich weiß nicht«, sagte sie. »Das ist eine Menge Verantwortung für eine Siebzehnjährige. Und Haralds Anwesen scheint doch ziemlich abgelegen und einsam zu sein. Ich halte es für gefährlich, wenn zwei Kinder und ein junges Mädchen wochenlang allein dort hausen.«
»Es gibt ja immerhin ein Telefon. Und Harald hat im letzten Jahr eine Alarmanlage einbauen lassen, die direkt mit dem örtlichen Polizeirevier verbunden ist«, erwiderte Vater. »Helen scheint etwas ängstlich zu sein. Tagsüber ist ja noch die Haushälterin da. Übrigens ist das Haus gar nicht so einsam gelegen. Ganz in der Nähe gibt es ein Cottage, in dem Künstler wohnen, glaube ich.«
Ich wollte den Mund aufmachen, um etwas zu sagen, doch Tobias kam mir zuvor. »Warum heuern sie kein Kindermädchen an? Für so was gibt’s doch Agenturen. Ich sehe nicht, wo da das Problem liegt.«
»Harald sagt, sie möchten niemanden im Haus haben, den sie nicht schon eine Weile kennen. Und das verstehe ich auch. Wenn man bedenkt, was heutzutage so alles mit Kindern angestellt wird …«
»Wie alt ist Sally jetzt?«, fragte Mutter dazwischen.
»Neun oder zehn, glaube ich. Und Rian dürfte etwa acht sein.«
»Wie wär’s mit einem Kinderheim?«, schlug Tobias vor.
»Das kommt nicht infrage«, erklärte Vater. »Harald hält nichts von Kinderheimen, das weiß ich. Als wir Kinder waren, mussten wir mal einen Sommer lang in ein Kinderheim. Es war keine sehr angenehme Erfahrung, kann ich euch sagen. Seitdem hat er eine heftige Abneigung gegen Heime.«
»Zahlen sie Fanny wenigstens den Flug?«, wollte Tobias wissen, der immer auch gleich die praktische Seite einer Sache sah.
Vater nickte. »Sicher. Harald ist auch bereit, ihr so was wie ein Gehalt zu bezahlen. Er hat vorgeschlagen, dass wir uns mal erkundigen sollen, was Kindermädchen bei uns im Durchschnitt monatlich verdienen.«
Ich spitzte die Ohren. Das klang nicht schlecht. Immerhin sparte ich für den Führerschein. Im kommenden Frühling brauchte ich mindestens zweitausend Mark; und was sich auf meinem Sparkonto bisher angesammelt hatte, reichte bestenfalls für drei Fahrstunden.
Sie palaverten und verhandelten über meinen Kopf hinweg. Ich hörte schon nicht mehr hin. Vielleicht, dachte ich, war das ja die Höhle, die ich mir gewünscht hatte. Eine Bärenhöhle in Form eines alten Hauses in Cornwall, in der zwei kleine Bären auf mich warteten.
Schließlich öffnete ich den Mund und fragte laut: »Kann ich auch mal was dazu sagen?«
Drei Augenpaare musterten mich verblüfft. Tobe begann zu grinsen. »Ausnahmsweise«, erklärte er. »Aber mach’s kurz.«
»Sehr kurz«, sagte ich. »Wann geht mein Flieger?«
3
Die Reise war alles andere als romantisch. Während des Fluges nach Heathrow gab es Turbulenzen. Das Flugzeug vollführte wahre Bocksprünge, die mein Magen übel nahm. Ich sah nicht in den Spiegel, aber ich hätte schwören können, dass ich grün im Gesicht war, als wir endlich landeten.
Im Labyrinth des Flughafens verirrte ich mich. Die Zeit drängte, denn ich musste meinen Anschlussflug nach Exeter erreichen. Wie ein aufgescheuchtes Huhn hetzte ich durch Hallen und Gänge und über Rolltreppen auf der Suche nach dem richtigen Abfertigungsschalter.
Knapp fünf Minuten vor Abflug landete ich keuchend am Schalter und wurde als letzter Passagier in einsamer Größe im Kleinbus übers Rollfeld zum Flugzeug gebracht, das mir verdächtig klein und klapprig vorkam.
Die erneute Schaukelei war zu viel für meinen armen Magen. Ich spuckte auch die letzten Reste meines Bordfrühstücks in die dafür vorgesehenen Tüten und wünschte, ich könnte sterben oder wenigstens sofort aussteigen. Die halbe Flugstunde kam mir wie eine Ewigkeit vor.
Der Pilot verkündete munter durch den Lautsprecher, die Wetterbedingungen seien »etwas windig«. Nach der Art zu urteilen, wie der kleine Flieger wackelte und hopste, schienen wir einen mittleren Orkan zu durchqueren.
Mit weichen Knien wankte ich die Treppe hinunter zum Rollfeld. Ich war jetzt fest davon überzeugt, dass dieser Tag bereits gelaufen war, dass weiterhin alles schief gehen würde, was nur schief gehen konnte. Dass niemand in der Halle stehen und mich erwarten würde und dass mein Rucksack unter allen Gepäckstücken als Einziger nicht mit mir zusammen angekommen war, sondern irgendwo am anderen Ende der Welt auftauchen würde.
In dieser Stimmung ärgerte es mich fast, dass ich nicht Recht behielt. Mein Rucksack tauchte gleich zu Anfang zwischen den Gummilappen auf und hinter der Sperre stand Onkel Harald, groß und dünn in seinem klassischen Trenchcoat, die kinnlangen Haare vom Wind zerzaust.
Er umarmte mich fest, hielt mich dann von sich ab, sah mich an und sagte:
»Verträgst du das Fliegen nicht? Du siehst aus wie Gefrierspinat.«
»Vielen Dank«, erwiderte ich ziemlich verbissen. »Ich würde es nicht gerade fliegen nennen. Lieber fahre ich zwei Stunden am Stück mit der Achterbahn.«
»Ach, es hat wohl Turbulenzen gegeben?« Onkel Harald lachte und fügte hinzu: »Magst du irgendwo einen Whisky trinken, ehe wir losfahren?«
Ich schüttelte mich nur und war froh, als er mir meinen Rucksack abnahm.
»Meinst du denn, du verträgst jetzt überhaupt noch eine längere Fahrt?«, fragte