Der sechste Passagier. Theodor Kallifatides

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Der sechste Passagier - Theodor Kallifatides

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sie ihren Reichtum nicht genießen können, es gibt dafür keine »diskrete« Form. Sie können sich nicht einmal eine Wohnung am Strandväg kaufen, ohne daß es in der Zeitung steht. Sagte die Exkönigin.

      Nikki entwickelte ihre Idee weiter, gründete Nikki Air und kaufte eine sechssitzige Propellermaschine, eine zuverlässige Beech Baron 58 mit zwei Motoren, die stark genug waren, das Flugzeug nach vierhundert Metern Startbahn in die Luft zu heben. Ein großer Vorteil, wenn man von kleineren Flugplätzen starten will.

      Es war nicht schwer, zwei gute Piloten zu finden. Jeder wußte, daß das Luftwaffengeschwader von Ängelholm keine Zukunft mehr hatte. Die jungen Flieger waren auf der Suche nach einer Alternative. Zwei von ihnen fanden sie bei Nikki Air, und einer der beiden, Fredrik Stolle, fand sogar noch mehr. Er fand Nikki, und sie hörte auf, Pornofilme zu gucken.

      Das Geschäft ließ sich zögernd an, kam dann aber schnell in Gang, vor allem deshalb, weil die Oberschicht in Schonen mehr Geld zum Ausgeben hat und zugleich puritanischer ist als in anderen Gegenden Schwedens. Luxusreisen wurden nicht verlangt, erstaunlich oft handelte es sich um harmlose Vergnügungen: Man lud die Enkelkinder zu einem Rundflug ein oder spendierte einem jungen Paar die Hochzeitsreise. Es kam auch vor, allerdings eher selten, daß eine heimliche Geliebte in aller Eile irgendwohin geflogen werden mußte, wo der Auftraggeber gerade geschäftlich zu tun hatte.

      Nikki Air war so verschwiegen wie ein katholischer Priester. An die Öffentlichkeit gelangten nur Dinge, von denen der Kunde dies ausdrücklich wünschte.

      Nikki von Lauterhorn hatte es geschafft, und diesmal ganz in eigener Regie.

      Es war kurz vor sieben, sie hatte gerade eine Flasche Weißwein in den Kühlschrank gestellt. Fredrik mußte um diese Zeit auf dem Heimweg von Bromma sein. Das Radio in der geräumigen Küche war eingeschaltet, durch das Fenster sah sie den großen Apfelbaum, gebeugt wie ein Greis unter der Last der Früchte, die langsam in der Sonne reiften. Ein Gefühl der Freude, einem ziehenden Schmerz ähnlich, stieg ihr vom Bauch in den Kopf und fand den Weg bis zu ihren Lippen. Sie lächelte in sich hinein.

      Das Lächeln fror fest wie ein Tropfen Schmelzwasser in einer kalten Nacht, als die Stimme am Telefon ihr Anliegen vorbrachte.

      Es war Kristina, die inzwischen den Standort von Nikki Air und, mit Hilfe der Polizei in Trelleborg, auch die Besitzerin der Firma ausfindig gemacht hatte.

      Eine Methode, den Schmerz auszuschalten, besteht darin, formell zu sein und rasch zur Sache zu kommen. Das tat Kristina. Sie erhielt Antwort auf ihre Fragen, obwohl Nikki die ganze Zeit nach Luft rang, als sei sie kurz vor dem Ertrinken.

      Das Flugzeug war in Amsterdam gestartet, auf einem kleineren Flugplatz südlich von Schiphol, und gechartert worden war es von »Eternal Youth«, einem weniger bedeutenden Unternehmen in der Kosmetikbranche. Sie wußte nur den Namen des Angestellten, der sie angerufen hatte. Sonst nichts, denn die Firma hatte im voraus bezahlt, mit einer Internet-Überweisung auf Nikkis Konto in Luxemburg.

      Der Pilot – sie wagte seinen Namen nicht auszusprechen, weil sie fürchtete, laut in den Hörer heulen zu müssen – hatte erwähnt, daß fünf Passagiere an Bord sein würden. Namen waren ihr nicht mitgeteilt worden.

      Kristina fragte, ob sie genau wisse, daß er »fünf« gesagt hatte, und Nikki versicherte ihr, die Angabe sei auf Tonband festgehalten worden, da sie ihre Geschäftsgespräche grundsätzlich aufzeichnete.

      Das war merkwürdig. Die Taucherin hatte sechs Passagiere gezählt.

      Nikki von Lauterhorn konnte dazu nichts sagen, sie war ebenso verwirrt wie die Kommissarin. Aber sie wollte noch heute abend den Nachtzug nach Stockholm nehmen. Sie verabscheute das Fliegen. Die Kommissarin würde sie dann im Grand Hotel antreffen, wo sie zu übernachten pflegte. Falls sie nicht dort war, wußte die Rezeption, wo sie sich aufhielt.

      Kristina hatte viel Stoff zum Nachdenken, als sie den Hörer auflegte.

      Und Nikki konnte endlich weinen.

      7

      Bei den Marinetauchern handelte es sich um echte Profis. Zwei von ihnen waren damals als erste zur »Estonia« hinuntergestiegen. Die Bergung der Leichen aus dem Flugzeug war nicht schwierig, und sie machten sich sofort an die Arbeit.

      Inzwischen war es halb sieben, aber es würde noch mindestens anderthalb Stunden hell bleiben. Man ging davon aus, daß die Zeit reichen würde. Und sie reichte tatsächlich.

      Sieben Leichen wurden hochgezogen. Fünf Männer, eine Frau und ein Junge von zwölf oder dreizehn Jahren. Die Identifizierung war problemlos, außer dem Jungen hatten alle ihre Ausweispapiere bei sich.

      Kristina und Maria notierten Namen und Adressen für die Telefonate mit den Angehörigen.

      Der Pilot Fredrik Stolle, wohnhaft in Ängelholm, war zweiunddreißig Jahre alt.

      Anders Lalleholm, wohnhaft in Stockholm, fünfunddreißig Jahre.

      Lars Fältgård, Djursholm, einundfünfzig.

      Erik Jönsson, Söderköping, einundzwanzig.

      Ninni Larsson, Stockholm, fast siebzehn.

      Und dann der Junge. Ohne Ausweis, offenbar auch ohne Gepäck.

      Ein schwarzhaariger Junge mit regelmäßigen Zügen, seine Haut war viel zu dunkel für einen Europäer und zu hell für einen Afrikaner. Vermutlich stammte er aus Asien, vieles sprach für Indien.

      Wie war der Junge in das Flugzeug geraten? War er allein gereist? Und wenn nicht, mit wem?

      Hatten die Verunglückten etwas mit der Firma zu tun, die das Flugzeug gemietet hatte? Hatten sie etwas miteinander zu tun? Fragen über Fragen.

      Die Bedingungen waren nicht gerade ideal für weitere Nachforschungen. Längst hatten die Medien sich am Unglücksort eingefunden, denn die Opfer waren keine Unbekannten. Um etwas herauszubekommen, mußte man nicht die Polizei fragen; man zog es vor, sie zu ignorieren.

      Beata Viklund, genannt »das Loch«, die Starreporterin des Abendblattes, tat so, als hätte sie Kristina nicht gesehen. Für sie war die Sache klar. Prominente, Beinahe-Prominente und ein alleinreisender Junge, das roch auf tausend Meter Entfernung nach Pädophilie.

      Kristina begriff, daß sie es nicht schaffen würde, mit den Angehörigen zu sprechen, bevor die Medien sich auf sie stürzten. Das hatte auch sein Gutes, wenn es in dieser Situation überhaupt etwas Gutes gab.

      Sie würde dann ganz in Ruhe mit den Hinterbliebenen reden. Das war ihre Aufgabe. Es war der einzige Weg, etwas über den unbekannten Jungen herauszufinden, dessen Leiche, mit einer Plastikplane bedeckt, auf den Abtransport zum Krankenhaus Huddinge wartete.

      Trotzdem bat sie Maria, ihr die Telefonnummern der Opfer zu besorgen. Das ging schnell. Sie versuchte, die Angehörigen zu erreichen, hörte aber bei allen nur das Besetztzeichen. Schließlich meldete sich die Ehefrau von Fredrik Stolle. Der Pilot war weniger bekannt und weniger interessant als die anderen Toten. Aber auch hier kam Kristina zu spät. Kaum hatte sie ihren Namen genannt, als die Frau, deren harter Akzent die Müdigkeit in ihrer Stimme noch verstärkte, ihr antwortete, sie sei bereits informiert. Dann wurde der Hörer aufgelegt.

      Die Mediengesellschaft hat jedenfalls den Vorteil, daß man sich als Überbringer schlechter Nachrichten nicht mehr einsam zu fühlen braucht.

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