Seemanns-Legende und andere Erzählungen. Henryk Sienkiewicz
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Es waren Gedanken ganz anderer Art, welche Maryscha inzwischen beschäftigten, nur die gleiche Sehnsucht hatten sie mit denen des Vaters gemein. Sie flossen rückwärts mit dem Kielwasser des Schiffes, mit den Möven flogen sie den östlichen Gestaden zu. Kurz zuvor ehe sie abgereist waren, hatte sie in Lipiniez am Brunnen gestanden, daran mußte sie denken. Es war im Herbst, sie wollte Wasser schöpfen, die ersten Sterne blinkten eben am Himmelszelt. Sie zog am Schwengel den vollen Eimer herauf und sang dabei: »Jasiek will die Pferde tränken – Kasia gießt das Wasser aus« – (ihr wurde sehr wehmütig bei dieser Erinnerung). – Da tönte ein Pfiff vom Walde herüber, langgezogen, wie der Ton einer Saftpfeife. Jaschu Smolak wollte ihr damit sagen, daß er den Brunnenschwengel in die Höhe steigen gesehen und daß er sogleich von den Wiesen herkommen werde. Bald darauf ertönte Pferdegetrappel, die Erde dröhnte unter dem Galopp der Tiere, jetzt hielt er sie mit einem Ruck an, sprang vom Braunen herab und schüttelte seine Flachsmähne. Was Jaschu ihr damals gesagt, klang ihr noch jetzt wie Musik in den Ohren. Sie schloß die Augen und träumte, Jaschu stehe neben ihr und flüstere wie damals mit vor Aufregung bebender Stimme:
»Wenn Dein Vater sich durchaus nicht von der Auswanderung abbringen lassen will, so werde ich das Angeld auf den Jahreslohn bei Hofe zurückgeben, mein Anwesen verkaufen und Euch nachkommen ... Marysch mein«, – hatte er gesagt – »Dir nach fliege ich mit den Kranichen, mit den Enten durchschwimme ich die Wasser und als goldener Reif will ich die Landstraßen durchrollen. Wo Du auch seist; ich finde Dich, Einzige! Ist denn ohne Dich ein Glück zu denken? Wo Du bist, will ich sein, was Dir geschieht, soll mir geschehen. Wir zweie sind eins im Leben und Sterben, und wie ich Dir hier bei diesem reinen Wasser schwöre, so möge Gott mich verlassen, wenn ich Dich je verlasse, Marysch, meine einzige!«
Während sie diese Worte zu hören glaubte, sah sie jenen Brunnen, den Vollmond über dem Walde und Jaschku leibhaftig vor sich. Das gewährte ihr einigen Trost. Jaschku war ein resoluter Bursche! er wird halten, was er versprochen. O wäre er jetzt hier, es wäre viel fröhlicher, zusammen mit ihm dem Brausen des Meeres zu lauschen. Was mochte er jetzt in Liziniez machen? Gewiß lag dort schon hoher Schnee! Ob er wohl mit der Axt in den Wald zu den Holzfällern geht, oder ob er die herrschaftlichen Pferde besorgt? Wo mochte er sein, der Herzgeliebte? Dem Mädchen stand plötzlich das ganze Dorf vor Augen, so wie es jetzt aussehen mußte. Der Schnee knarrt unter den Füßen der Menschen aus der Dorfstraße, das Abendrot leuchtet durch die blätterlosen, vom Rauhreif bedeckten Baumäste, ein Flug Krähen zieht krächzend vom Walde her dem Dorfe zu, Rauchwölkchen steigen aus den Schornsteinen der strohgedeckten Hütten, der Brunnenschwengel ruht angefroren am Geländer des Brunnens und in der Ferne schimmert der mit Schnee überstreute Wald, von der Abendröte warm angehaucht, rosig herüber.
Ach und wo war sie jetzt! Wohin hatte ihres Vaters Wille sie geführt! Ueberall, wohin das Auge auch suchend schweift, nichts als Wasser grünlich durchfurcht, mit Schaumkämmen, und in dieser unermeßlichen nassen Wüste nichts, als das Schiff, auf dem sie waren, eine verirrte Möve, darüber das Himmelsgewölbe, ringsum das unaufhörliche Tosen und Brausen der Wasser, bald pfeifend, gurgelnd, bald kläglich wie das Weinen eines Kindes und vor sich die unbekannte grausige Ferne.
Armer Jaschu, wie wirst du sie finden, wohin ihr folgen? Wirst du deiner Maryscha wie die Ente nachschwimmen, oder wie die Kraniche fliegen, oder wie der Reif rollen? Denkst du wohl ihrer in Lipiniez jetzt auch?
Allmählich war die Sonne unter die Fluten des Meeres getaucht. Ein breiter Lichtstrom, der letzte Schein der Scheidenden, lag auf den Wellen, und als nun das Schiff in diesem schillernden, leuchtenden Glutstrom seinen Weg fortsetzte, sah es aus, als jage es der sinkenden Sonne nach. Die dem Schornstein entsteigende Rauchwolke war rot, die Leinen, die Taue, die feuchten Segel in rosiges Licht getaucht, die Matrosen sangen, während der Lichtkreis immer kleiner wurde, bis er endlich nur noch einen lichten Streifen bildete, da, wo die Sonne untergegangen. Man konnte kaum noch unterscheiden, wo das Meer sich von der Luft abgrenzte; es verschwamm alles in diesem Lichtstreifen. Das Meer murmelte leise, als spreche es sein Abendgebet.
In solchen Augenblicken fühlt der Mensch sich gehoben. Die Seele bekommt Flügel und was Liebes in der Ferne ihr weilt, dem fliegt sie auf sehnsüchtigen Schwingen zu.
Lorenz und Maryscha fühlten das jetzt auch. Sie erkannten in dieser Stunde, daß nicht das Land ihre Heimat werden würde, welchem der feuchte Wind sie zutrieb, sondern, daß der Baum ihres Lebens tief wurzelte in jenem Erdstrich, den sie verlassen, in dem Stück heimatlicher Erde, wo die goldenen Aehren im Sommer wogen, die Wiesen bunt blühen und Luft und Wasser von lustigen Vögelscharen wimmeln, wo in den Dörfern die strohgedeckten Hütten stehen, stattliche Herrensitze sich bereiten und wo der Mensch den Menschen mit dem Gruße anspricht: »Gelobt sei Jesus Christus,« welchen der Andere erwidert mit dem Gegengruß: »In alle Ewigkeit, Amen!« Alle die Gefühle, welche bisher den beiden einfachen Menschen unbekannt geblieben waren, stürmten in dieser Stunde gewaltig auf sie ein. Der alte Toporek nahm die Mütze ab. Das Abendrot beleuchtete seine grau melierten Haare, in seinem Gesicht arbeitete es heftig, man sah, daß es ihm schwer wurde, einen Ausdruck für das zu finden, was er seiner Tochter gern sagen wollte. Endlich stammelte er:
»Mir ist so, Marysch, als hätten wir dort etwas zurückgelassen.« Bei diesen Worten wies er mit der Hand rückwärts nach Osten zu.
»Unser Glück, unser Lieben ist dort zurückgeblieben,« antwortete das Mädchen, während sie die Augen wie zum Gebet nach Oben richtete.
Es war unterdessen finster geworden; die Passagiere begannen das Verdeck zu verlassen. Trotzdem herrschte auf dem Schiffe ein ungewöhnlich reges Leben. Oftmals pflegt einem so schönen Sonnenuntergange ein Unwetter zu folgen, deshalb ertönten die Signalpfeifen der Offiziere unablässig und die Matrosen arbeiteten unablässig am Takelwerk. Ein dichter Nebel stieg am Horizont auf, welcher von Minute zu Minute sich weiter über das Wasser verbreitete und bald den ganzen Gesichtskreis, ja sogar das Schiff umhüllte. Eine Stunde später sah man die Matrosen in der dicken Luft nur noch wie Schatten und noch etwas später auch sie nicht mehr, noch den Schornstein, noch die brennende Schiffslaterne. Alles war in einen weißlichen Dunst gehüllt.
Das Schiff lag unbeweglich still; die Nacht sank lautlos und finster herab. Plötzlich ertönte vom Horizont her ein seltsames Geräusch. Es klang wie das schwere Atmen aus gepreßter Brust. Dann schien es, als töne ein Ruf durch die Finsternis, dann wie ein Rufen und Stöhnen verschiedener Stimmen durcheinander, welche aus der grenzenlosen Weite auf das Schiff zukamen, näher und näher. Der Kapitän stand, in einen Gummimantel gehüllt, am Vordersteven, der Leutnant auf seinem Platze. Außer Toporek und seiner Tochter befand sich niemand mehr von den Passagieren auf Deck. Nun verließen auch sie es, um in den gemeinschaftlichen Schlafsaal im Zwischendeck hinunterzugehen.
Derselbe war groß, aber düster. Das Licht der Lampen, welche von der niedrigen Decke herabhingen, erhellte den Raum und die in Häufchen um ihre Betten zusammensitzenden Auswanderer nur spärlich. Die Luft darin war gesättigt von dem Geruch geteerter Leinwand, der Feuchtigkeit ausströmenden Schiffstaue und des Seetang. Gewöhnlich wirkt die zweiwöchentliche Ueberfahrt, verbunden mit dem Aufenthalt in diesem Räume, äußerst schädlich auf die Lungen der Reisenden. Auch Lorenz und Maryscha spürten die Folgen davon schon, obgleich sie erst wenige Tage unterwegs waren. Die Seekrankheit und die schlechte Luft hatten ihre Wangen gebleicht und ihre Konstitution geschwächt, umso mehr, als sie bis heute nicht gewagt hatten, den Saal zu verlassen im Glauben, das sei nicht erlaubt. Auch hatten sie ihre Sachen hüten wollen. So setzten sie sich gleich den anderen Reisegenossen auch wieder zu den ihrigen. Das Reisegepäck der Auswanderer lag in Bündeln im ganzen Saale umher. Betten, Kleidungsstücke, Mundvorräte, verschiedenes Kochgeschirr lag in buntem Durcheinander auf der Diele, während die Menschen teils auf ihnen, teils um sie herum saßen. Die einen kauten Tabak, andere