Ausgewählte Dramen, Dichtung, Erzählungen, Romane & Beiträge. Rainer Maria Rilke
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ausgewählte Dramen, Dichtung, Erzählungen, Romane & Beiträge - Rainer Maria Rilke страница 43
Hier entstand wieder eine Pause. Malte Laurids Brigge erhob sich, trat ans Fenster und sah hinaus. Der junge Mann aber war nachdenklich und verwirrt in seinem Sessel sitzen geblieben, bis es ihm einfiel, neue Scheiter in das Kaminfeuer zu legen, das zu dichter zuckender Glut zusammengesunken war. Bei dem Geräusch des Holzes wandte Brigge sich um: »Soll ich weitererzählen?« sagte er.
»Es ermüdet Sie –« antwortete der andere, am Kamine kniend. Brigge ging auf und ab. Als sein Bekannter sich wieder gesetzt hatte, blieb er stehn, ziemlich in der Tiefe des Zimmers und sagte hastig: »Es begann damit, daß ich lachte. Ja, ich lachte laut, und ich konnte mich nicht beruhigen. Eines Abends fehlte nämlich Mathilde Brahe. Der alte, fast ganz erblindete Bediente hielt, als er zu ihrem Platze kam, dennoch die Schüssel anbietend hin; eine Weile verharrte er so. Dann ging er befriedigt und würdig und als ob alles in Ordnung wäre weiter. Ich hatte diese Szene beobachtet, und sie kam mir, im Augenblick, da ich sie sah, durchaus nicht komisch vor. Aber eine Weile später, als ich eben einen Bissen in den Mund steckte, stieg mir das Gelächter mit solcher Schnelligkeit in den Kopf, daß ich mich verschluckte und großen Lärm verursachte; und trotzdem diese Situation mir selber lästig war, trotzdem ich mich auf alle mögliche Weise anstrengte, ernst zu sein, kam das Lachen stoßweise immer wieder und behielt völlig die Herrschaft über mich. Mein Vater, gleichsam um mein Benehmen zu verdecken, fragte mit seiner breiten gedämpften Stimme: ›Ist Mathilde krank?‹ Der Großvater lächelte in seiner Art und antwortete dann mit einem Satze, den ich durchaus nicht beachtete und der etwa lautete: Nein, sie wünscht nur nicht Christinen zu begegnen. Ich sah es also auch nicht als die Wirkung dieser Worte an, daß mein Nachbar, der braune Major, sich nach einer Weile erhob und mit einer undeutlich gemurmelten Entschuldigung und einer Verbeugung gegen den Grafen hin den Saal verließ. Es fiel mir nur auf, daß er sich hinter dem Rücken des Hausherren in der Tür nochmals umdrehte und dem kleinen Erik und zu meinem größten Erstaunen plötzlich auch mir winkende und nickende Zeichen machte, als forderte er uns auf, ihm zu folgen. Ich war so überrascht, daß mein Lachen aufhörte, mich zu bedrängen. Im übrigen schenkte ich dem Major weiter keine Aufmerksamkeit; er war mir unangenehm, und ich bemerkte auch, daß der kleine Erik ihn nicht beachtete. Die Mahlzeit schleppte sich weiter wie immer, und man war gerade beim Nachtisch angelangt, als meine Blicke von einer Bewegung ergriffen und mitgenommen wurden, die im Hintergrunde des Saales, im Halbdunkel, vor sich ging. Dort war lautlos und langsam eine, wie ich meinte, stets verschlossene Türe, von welcher man mir gesagt hatte, daß sie in das Zwischengeschoß führe, aufgegangen, und jetzt, während ich mit einem mir ganz neuen Gefühl von Neugier und Bestürzung hinsah, erschien im, Dunkel der Türöffnung eine schlanke, hellgekleidete Dame und kam langsam auf uns zu. Ich weiß nicht, ob ich eine Bewegung machte oder einen Laut von mir gab, der Lärm eines umstürzenden Stuhles zwang mich, meine Blicke von der merkwürdigen Gestalt abzureißen, und ich sah meinen Vater, der aufgesprungen war und nun, totenbleich im Gesicht und mit herabhängenden geballten Händen, auf die Dame zuging. Diese bewegte sich indessen, von dieser Szene ganz unberührt, auf uns zu, Schritt für Schritt, und sie war schon nicht mehr weit von dem Platze des Grafen, als dieser sieh mit einem Ruck erhob, meinen Vater beim Arme faßte, ihn an den Tisch zurückzog und festhielt, während die fremde Dame, langsam und teilnahmslos, durch den nun frei gewordenen Raum vorüberging, Schritt für Schritt durch unbeschreibliche Stille, in der nur irgendwo ein Glas zitternd klirrte, und in einer Tür der gegenüberliegenden Wand des Saales verschwand. In diesem Augenblick bemerkte ich, daß es der kleine Erik war, der mit einer tiefen Verbeugung diese Tür hinter der Fremden schloß. Ich war der einzige, der am Tische sitzen geblieben war, von unsichtbaren Gewichten in meinen Sessel hineingedrückt. Eine Weile sah ich gar nichts. Dann fiel mir mein Vater ein, und ich gewahrte, daß der Alte ihn noch immer am Arme festhielt. Das Gesicht meines Vaters war jetzt zornig und rot, aber der Großvater, dessen Finger wie eine weiße Kralle meines Vaters Arm umklammerten, lächelte sein maskenhaftes Lächeln. Ich hörte dann, wie er etwas sagte, Silbe für Silbe, ohne daß ich den Sinn seiner Worte verstehen konnte. Dennoch fielen sie mir tief in die Erinnerung, denn vor etwa zwei Jahren fand ich sie eines Tages in mir, und ich weiß jetzt, wie sie lauteten. Er sagte: ›Du bist heftig, Kammerherr, und unhöflich. Was läßt du die Leute nicht an ihre Beschäftigungen gehn?‹ – ›Wer ist das?‹ schrie mein Vater dazwischen. ›Jemand, der wohl das Recht hat, hier zu sein.