Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie. Georg Ebers
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Historische Romane, Märchen, Abenteuerromane & Autobiografie - Georg Ebers страница 9
Die Augen der Thracierin glühten im Feuer der Jugend, ihre hohe Gestalt war voll und ungebeugt, das graue Haar schlang sich noch immer in vollen Wogen um das schön geformte Haupt, und schmiegte sich am Hinterkopf in ein Netz von zartem Goldgeflechte. Die hohe Stirn war mit einem leuchtenden Diademe geschmückt.
Das edle griechische Angesicht erschien bleich, aber schön und faltenlos, trotz seines hohen Alters; ja der kleine, immer noch wohlgeformte Mund, die großen, sinnigen und milden Augen, die edle Stirn und Nase dieses Weibes konnten einer Jungfrau zur Zier gereichen.
Man mußte Rhodopis für jünger halten, als sie wirklich war, und dennoch verläugnete sie die Greisin keineswegs. Aus jeder ihrer Bewegungen sprach matronenhafte Würde, und ihre Anmuth war nicht die der Jugend, welche zu gefallen sucht, sondern die des Alters, die sich gefällig erweisen will, welche Rücksichten nimmt und Rücksichten verlangt.
Jetzt zeigten sich die uns bekannten Männer in der Halle. Jedes Auge wandte sich ihnen zu, und als Phanes, seinen Freund an der Hand führend, eintrat, bewillkommnete man ihn auf’s Herzlichste; einer der Milesier aber rief:
»Wußt’ ich doch nicht, was uns fehlte! Jetzt ist mir’s auf einmal klar; ohne Phanes gibt es keine Fröhlichkeit!«
Philoinus der Sybarit erhob jetzt seine tiefe Stimme und rief, ohne sich in seiner Ruhe stören zu lassen: »Die Fröhlichkeit ist ein schönes Ding, und wenn Du sie mitbringst, so sei auch mir willkommen, Athener!«
»Mir aber,« sprach Rhodopis, auf die neuen Gäste zutretend, »seid herzlich gegrüßt, wenn ihr fröhlich seid, und nicht minder willkommen, wenn euch ein Kummer drückt; kenne ich doch keine größere Freude, als die Falten auf der Stirn eines Freundes zu glätten. Auch Dich, Spartaner, nenne ich ›Freund‹, denn also heiß’ ich Jeden, der meinen Freunden lieb ist.«
Aristomachus verneigte sich schweigend; der Athener aber rief, sich halb an Rhodopis, halb an den Sybariten wendend: »Wohl denn, meine Lieben, so kann ich euch beide befriedigen. Du, Rhodopis, sollst Gelegenheit haben, mich, Deinen Freund, zu trösten, denn gar bald werde ich Dich und Dein liebes Hans verlassen müssen; Du aber, Sybarit, wirst Dich an meiner Fröhlichkeit ergötzen, denn endlich werde ich mein Hellas wiedersehen, und diese goldne Mäusefalle von einem Lande, wenn auch unfreiwillig, verlassen!«
»Du gehst fort? Du bist entlassen worden? Wohin gedenkst Du zu reisen?« fragte man von allen Seiten.
»Geduld! Geduld! Ihr Freunde,« rief Phanes, »ich muß euch eine lange Geschichte erzählen, die ich bis zum Schmause aufbewahren will. – Nebenbei gesagt, liebste Freundin, ist mein Hunger fast eben so groß, wie mein Kummer, euch verlassen zu müssen.«
»Hunger ist ein schönes Ding,« philosophirte der Sybarit, »wenn man einer guten Mahlzeit entgegensieht.«
»Sei unbesorgt, Philoinus,« antwortete Rhodopis; »ich habe dem Koche befohlen, sein Möglichstes zu thun, und ihm mitgetheilt, daß der größeste Feinschmecker aus der üppigsten Stadt in der ganzen Welt, daß ein Sybarit, daß Philoinus über seine zarten Gerichte strenges Gericht halten werde. Geh’, Knakias, und sage, man solle anrichten! Seid ihr jetzt zufrieden, ihr ungeduldigen Herren? Arger Phanes; mir hast Du mit Deiner Trauerkunde die Mahlzeit verdorben!«
Der Athener verneigte sich; der Sybarit aber philosophirte abermals: »Zufriedenheit ist ein schönes Ding, wenn man die Mittel hat, all’ seine Wünsche zu befriedigen; auch danke ich Dir, Rhodopis, für die Würdigung, welche Du meiner unvergleichlichen Heimath angedeihen läßt. Was sagt Anakreon?53
›Der heutige Tag liegt mir am Herzen,
Wer weiß, was uns der nächste bringt,
Drum flieht den Gram, verbannt die Schmerzen,
Und spielt das Würfelspiel und trinkt! – –‹
»He! Ibykus, hab’ ich Deinen Freund, der mit Dir an der Tafel des Polykrates schmaust, richtig citirt? Ich sage Dir, daß, wenn Anakreon auch bessere Verse macht als ich, meine Wenigkeit sich dafür doch nicht schlechter auf’s Leben versteht, wie der große Lebenskünstler. Er hat in allen seinen Liedern kein Lob auf’s Essen, und ist denn das Essen nicht wichtiger, als das Spielen und Lieben, obgleich diese beiden Tätigkeiten – ich meine Spielen und Lieben – mir auch recht theuer sind? Ohne Essen müßt’ ich sterben, ohne Spiel und Liebe kann ich schon, wenn auch nur kümmerlich, fortbestehen.«
Der Sybarit brach, zufrieden mit seinem schalen Witze, in ein lautes Gelächter aus; der Spartaner aber wandte sich, während man in ähnlicher Weise fortplauderte, an den Delphier Phryxus, zog ihn in eine Ecke und fragte ihn, seiner gemessenen Art vergessend, in großer Aufregung, ob er ihm die lang ersehnte Antwort des Orakels mitbringe? Das ernste Gesicht des Delphiers ward freundlicher; er griff in die Brustfalten seines Chiton54 und holte ein kleines Röllchen von pergamentartigem Schafleder hervor, auf dem mehrere Zeilen geschrieben waren.
Die Hände des starken und tapferen Spartaners zitterten, als er nach dem Röllchen griff, und nachdem er es geöffnet, saugten sich seine Blicke an die Schriftzüge an, die es bedeckten. So stand er kurze Zeit; dann schüttelte er mißmuthig die grauen Locken, gab Phryxus die Rolle zurück und sagte:
»Wir Spartaner lernen andere Künste, als Lesen und Schreiben. Wenn Du kannst, so lies mir vor, was Pythia sagt.«
Der Delphier überflog die Schrift und erwiederte: »Freue Dich! Loxias55 verheißt Dir eine glückliche Heimkehr; höre, was Dir die Priesterin verkündet:
›Wenn einst die reisige Schaar von schneeigen Bergen herabsteigt
Zu den Gefilden des Stroms, welcher die Ebne benetzt,
Führt Dich der zaudernde Kahn herab zu jenem Gefilde,
Welches dem irrenden Fuß heimischen Frieden gewährt;
Wenn einst die reisige Schaar von schneeigen Bergen herabsteigt,
Schenkt Dir die richtende Fünf, was sie Dir lange versagt.‹«
Gespannten Ohres lauschte der Spartaner diesen Worten. Zum zweiten Male ließ er sich den Spruch des Orakels vorlesen, dann wiederholte er ihn aus dem Gedächtnisse, dankte Phryxus, und steckte das Röllchen zu sich.
Der Delphier mischte sich in das allgemeine Gespräch; der Spartaner aber murmelte den Spruch des Orakels unaufhörlich vor sich hin, um ihn ja nicht zu vergessen, und bemühte sich, die rätselhaften Worte zu deuten.
Zweites Kapitel
Die Flügelthüren des Speisesaales öffneten sich. An jeder Seite des Eingangs stand ein schöner, blondgelockter Knabe, mit Myrtenkränzen in der Hand; in der Mitte des Saales erhob sich ein großer, niedriger, glänzend polirter Tisch, an dessen Seiten purpurrothe Polster die Gäste zu bequemer Rast einluden56.
Auf der Tafel