Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi. Unni Lindell
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In Asker schlief Polizeihauptkommissar Cato Isaksen im Reihenhaus neben seiner Frau, ohne auch nur zu ahnen, dass in eben diesem Augenblick ein Messer durch die dünne Halshaut einer anderen Frau gestochen wurde.
Wenn man dieses Bild aus dem Zusammenhang gerissen hätte, sähe es so aus: Die metallische Klinge zerschnitt die dünne Oberfläche und steckte innerhalb von Sekunden tief in Muskeln und Fleisch. Unter einem Vergrößerungsglas sieht Haut aus wie eine Landschaft. Die scharfe Klinge des Messers durchtrennte Gewebe und Adern. Die Frau versuchte zu schreien. Und sie trat um sich.
Aber es ging zu schnell. Jetzt zog die behandschuhte Hand das Messer wieder zu sich. Der Tod hatte bereits einige endlose Linien zwischen Nacken und Wirbelsäule der Frau gezeichnet. Das Messer war feucht vom Blut, das am Metall abperlte und vom Messerrand tropfte. Die Frau lag still auf dem Boden. Über ihr war der Himmel von einigen bleichen Sternen zusammengenäht.
Um kurz vor halb drei lief in der Notrufzentrale der Polizei eine anonyme Meldung ein. Es hätte sich durchaus um einen Fehlalarm handeln können, denn die anrufende Person schien sehr jung zu sein. Aber als eine Streife zehn Minuten darauf den angegebenen Ort erreichte, fand sie dort eine tote Frau.
Cato Isaksen steckte mitten in einem entsetzlichen Traum, in dem ein gewaltiger Tsunami seine Söhne verschlang.
Der jüngste, Georg, wurde auf dem grauen, schäumenden Meer immer weiter fortgetrieben. Das Gesicht des Jungen verschwand, tauchte aber wieder auf, mehrere Male. Er rief Papa, Papa, Papa. Die Wassermassen bildeten einen riesigen grauen Flügel. Vetle, der Mittlere, war von dem gierigen Wasser bereits verschluckt worden, und Gards Gesicht war verzweifelt. Der offene Mund des Zwanzigjährigen und die Hand, die sich hilfesuchend nach dem Vater ausstreckte, lähmten diesen vollständig. Ein so großes Kind müsste sich doch selber retten können. Eine schwere Trauer erfüllte ihn. Er konnte seinen Kindern nicht helfen. Sie waren verloren, verschwunden für immer. Die Wassermassen waren wie ein dröhnendes Kraftwerk. Der Lärm war alles verschlingend und grauenhaft. Dann klingelte sein Telefon.
Es war 03:33 Uhr. Cato Isaksen tastete nach dem Telefon auf dem Nachttisch. Er setzte sich halbwegs auf, stützte sich auf den Ellbogen und klappte das Telefon auf. Die Stimme auf der Wache war kalt und klar und teilte ihm gelassen mit, dass in Vinderen eine Tote gefunden worden sei, gleich neben den U-Bahn-Gleisen, in einer Senke.
Bente bewegte sich neben ihm. Die Decke knisterte, als sie die Hand ausstreckte und den Rücken ihres Mannes berührte. »Wie spät ist es?«, murmelte sie gereizt. Cato Isaksen beendete das Gespräch und schaltete die Nachttischlampe ein, damit Bente die Ziffern auf dem Wecker sehen konnte. Er schlug die Decke beiseite, stand auf und sagte, er müsse los. »Es ist Samstag«, sagte Bente und drehte sich um. »Ich muss erst um zwölf zum Dienst. Mach das Licht aus.«
Cato Isaksen verließ leise das Schlafzimmer. Für einen Moment sah er im Spiegel seinen nackten Körper. Noch immer hielt er das Telefon in der Hand. Er öffnete die Badezimmertür und legte es auf den Waschbeckenrand, drehte den Wasserhahn auf und hielt sein Gesicht in den dicken Wasserstrahl.
Er formte aus seinen Händen eine Schale und spritzte sich das kalte Wasser über die Haut. Im Spiegel sah er einen erschöpften Mann. Er war jetzt fünfzig, hatte schüttere blonde Haare und ein scharfgezeichnetes Gesicht. Durch die Haare war seine Kopfhaut zu sehen. Es schien eine Verbindung zu geben zwischen dem Gesicht im Spiegel und dem Wasser, das in dem dunklen Abflussloch verschwand. Nichts währte ewig.
Die Flutkatastrophe hatte die ganze Abteilung fest im Griff. Ein Kollege wurde vermisst. Preben Ulriksen. Er war Anfang 30 und hatte Ähnlichkeit mit dem Fußballspieler David Beckham, was immer wieder Anlass zu Kommentaren gegeben hatte. Außerdem galt er als Papasöhnchen aus dem noblen Stabekk. Einmal hatte er Cato Isaksen gestanden, dass diese Sprüche ihm zu schaffen machten. Noch vor wenigen Tagen waren die Silvesterraketen wie leuchtende Schweife über den Himmel gejagt. Preben Ulriksen hätte schon längst wieder zu Hause sein müssen. Er hätte am Tatort sein müssen.
Der Lärm aus dem Traum ging ihm immer noch nach. Das Unterbewusstsein arbeitete mit Gezeiten, mit Schutz und Tod. Und immer wieder die Bilder von Menschen, die verzweifelt durch die Ruinen rannten und ihre Kinder suchten. Es gab Leichen mit abgerissenen Armen und kleine Kinder ohne Beine. Der Albtraum war eingerahmt von trügerischen Bildern mit blauem Himmel und grünen Palmen. Starke, schöne Farben. Falsche Farben.
Jetzt musste er sich auf den neuen Fall konzentrieren. In Vinderen war eine Frau ermordet aufgefunden worden. Rasch zog er sich an und warf einen Blick in das Zimmer, in dem der sieben Jahre alte Georg schlief. Nachdem er anderthalb Jahre zuvor in der Schule angefangen hatte, kam er jetzt nur noch jedes zweite Wochenende und einen Tag in der Woche zu ihnen.
Unten in der Küche trank er ein Glas Saft, ehe er seine Lederjacke anzog. Dann ging er ins Wohnzimmer und zog den Stecker für die elektrischen Kerzen am Weihnachtsbaum aus der Dose. Trockene Nadeln lagen auf dem Boden.
Die schwarze Luft schlug ihm kalt ins Gesicht. Er lief zu dem grünen zivilen Dienstwagen, der am Ende der Garagenreihe stand.
Cato Isaksen fuhr zum Zentrum von Asker, über zwei Verteilerkreise, folgte der Brücke über die Bahnlinie und umkreiste einen weiteren Verteiler, ehe er auf die E18 abbog.
Er wählte die Nummer seines engsten Mitarbeiters, Roger Høibakk, der sich bereits am Tatort eingefunden hatte. Roger teilte kurz mit, es handele sich um eine Frau von vielleicht vierzig, die an einer Böschung hinter dem eleganten Möbelhaus R.O.O.M. in Vinderen erstochen aufgefunden worden sei. Im Hintergrund waren Stimmen und das Rauschen eines Funkgerätes zu hören.
»Die Zentrale erhielt nur einen anonymen Anruf«, sagte er, »und sie hat keine Ausweispapiere bei sich. Ihre Handtasche ist verschwunden.«
Cato Isaksen sah sich selbst im Rückspiegel. »Ich bin schon unterwegs«, sagte er, beugte sich vor und drehte die Heizung höher.
Das Ermittlungsteam arbeitete wie eine Maschine. Alles war Routine. Cato Isaksen ertappte sich trotzdem bei der Überlegung, wer die Ermordete wohl sein mochte. Vor kurzem noch war sie ein lebendiger Mensch gewesen. Jetzt würde sie bald gewaschen und mit einem weißen Leichenhemd bekleidet werden. Die Stichwunden würden mit Schminke verdeckt werden, und die Angehörigen würden sie identifizieren müssen.
Erst als er am Chateau Neuf vorbeifuhr, merkte er, dass er jetzt wach wurde. Für die Fahrt aus Asker in die Stadt hatte er nur fünfundzwanzig Minuten gebraucht. Er passierte die Mautschranken und folgte dann den U-Bahn-Schienen bergauf. Als er bei der Ampel nach links abbog, sah er das Blaulicht eines Einsatzfahrzeugs. Er überquerte die U-Bahn-Linie und fuhr vorbei am Restaurant Jeppe und dem einstöckigen Einkaufszentrum auf seiner rechten Seite. Dann passierte er das Altenheim und hatte das Möbelhaus erreicht.
Ein knallrotes minimalistisches Sofa thronte wie eine Königin im Schaufenster. Er sah noch immer die limonengrüne Decke und die seltsam verdrehte Lampe mit dem kitschigen lila Schirm vor sich, als er aus dem Auto stieg. Aus einem der mit offenen Türen dastehenden Streifenwagen war das Rauschen eines Funkgerätes zu hören. Er warf einen Blick auf die Uhr, während er auf die Kollegen zuging. Inzwischen war es zwanzig nach vier.
Das dem Tatort nächstgelegene Gebäude war ein dreistöckiges Altersheim. Die meisten Fenster waren dunkel, nur zwei gelbe Vierecke sahen aus wie Augen, die die Ermittler anstarrten.
Einige wenige Neugierige hatten sich hinter den Absperrbändern versammelt. Die rotweißen Bänder flatterten im Wind hin und her. Zwei uniformierte Ordnungspolizisten sprachen mit den Umstehenden und notierten deren mögliche Beobachtungen.
Beim