Was als Spiel begann - Ein Norwegen-Krimi. Unni Lindell
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Cato Isaksen reichte das Bild an Randi weiter und fragte, wo Maiken Blads Vater jetzt wohne, da er nicht mehr zu Hause lebe.
Das Mädchen drückte sich den zerfetzten Rest Küchenpapier an die Nase. »Ein Stück weiter die Straße rauf. Er ist zu ihr gezogen«, sagte sie bitter. »Oder sie zu ihm, genauer gesagt. Papa hat ein Haus oben beim Slemdalscenter gemietet.«
»Und wer ist sie?«
»Beth, sie arbeitet im Schuhgeschäft.«
»Er hat also ein Schuhgeschäft, dein Vater?«
Maiken Blad wandte sich ab. Sie starrte die Wand an, fand einen Punkt, an dem die Farben verschwanden. Plötzlich wurde sie vom Schmerz überwältigt. Der war zu stark. Ich habe niemanden. Ich hatte Angst vor ihr und war wütend auf sie. Aber jetzt habe ich niemanden mehr.
»Vielleicht solltest du noch einmal versuchen, deinen Vater anzurufen«, sagte Randi Johansen.
Maiken Blad hatte jetzt etwas Roboterhaftes. Sie erhob sich und holte ihr Telefon aus der Küche. Sie kam zurück, gab ihre Nummer ein und starrte mit leerem Blick über die Köpfe der anderen hinweg hinaus in den kalten Garten.
»Papa«, sagte sie, während ein kleiner trauriger Ton sich durch ihren Hals nach oben presste. Sie wandte sich halbwegs ab. »Kannst du kommen, Mama ist verschwunden und hier sind zwei Leute von der Polizei. Sie sagen, dass sie tot ist.«
Cato Isaksen erhob sich und nahm ihr das Telefon ab. Er erklärte dem geschockten Vater mit ruhiger Stimme die Lage, aber der wollte ihm nicht glauben. Cato Isaksen betonte, die Tote sei noch nicht identifiziert, es handele sich aber aller Wahrscheinlichkeit nach um Siv Ellen Blad.
Die Ermittler wollten Maiken Blad mit zur Wache nehmen, um sie in dem weißen Haus nicht allein zu lassen. Axel Blad versprach, sich sofort ins Auto zu setzen und zur Wache zu fahren.
Menschen, die unter Schock stehen, sondern einen besonderen Geruch ab. Einen Geruch, der an verfaulte Blätter erinnert. Randi Johansen setzte sich neben Maiken Blad auf den Rücksitz.
Als der Wagen auf die Hauptstraße fuhr, rollte eine rote U-Bahn über die am Straßenrand entlangführenden Gleise. Cato Isaksen versuchte, den Wagen neben dem Zug zu halten, damit Maiken Blad nicht sehen konnte, dass die Techniker noch immer an der Stelle arbeiteten, an der einige Stunden zuvor ihre Mutter gefunden worden war. Die Wagen bildeten eine ruhige Bewegung, im Grunde war es ein einziger Eisenwagen, der auf stählernen Rädern davonfuhr.
Alles zusammengenommen war es ein grauenhafter Beginn. Als Axel Blad eintraf, reagierte er wie die meisten Väter: Er wollte seine Tochter an sich ziehen, aber sie wich aus.
»Fass mich nicht an«, schrie Maiken Blad und brach in hysterisches Weinen aus. »Du bist doch bestimmt froh darüber, dass sie tot ist. Jetzt kannst du diese miese Kuh sofort heiraten. Jetzt brauchst du nicht mal mehr auf die Scheidungspapiere zu warten«, schluchzte sie.
Axel Blad, der ohnehin schon blass war, erbleichte noch mehr. Ihm standen Tränen in den Augen, als er hilflos die Arme sinken ließ. Randi Johansen und Cato Isaksen wechselten einen Blick, dann wandten sie sich Roger Høibakk zu, der gerade durch die Tür kam.
Maiken Blad ließ sich auf ein schmales zweisitziges Sofa vor der einen Querwand sinken. Sie schluchzte stoßweise und schlug mit der Faust auf das orangefarbene Polster. Erst jetzt schien ihr wirklich aufzugehen, was passiert war. »Wo ist Mama?«, rief sie. »Wo ist sie? Ist sie im Krankenhaus oder im Leichenschauhaus? Wo ist sie? Wo?«
Randi Johansen ging zu ihr, setzte sich und legte energisch den Arm um sie. Als Axel Blad sich einmischen wollte, führte Roger Høibakk ihn aus dem Raum und in ein auf demselben Gang gelegenes Vernehmungszimmer. Dort sank der entlaufene Ehemann des Opfers auf einen Stuhl und starrte ins Leere.
Cato Isaksen kam herein und zog leise die Tür hinter sich zu. Er stellte ein hohes Glas Wasser auf den Tisch. Das Unbehagen hatte sich in Axel Blads Gesichtszüge eingefressen. Das Schluchzen seiner Tochter bohrte sich durch die Wand. Cato Isaksen musterte Axel Blads teure Designerschuhe und seine makellose Kleidung. Die grauen Wände des Verhörraumes rahmten den Ehemann der Ermordeten auf eine falsche Weise ein. »Ich kann nicht hier sitzen, wenn meine Tochter im Nebenzimmer kurz vor dem Zusammenbruch steht«, sagte er.
»Doch«, sagte Cato Isaksen energisch. »Im Moment will sie nicht von Ihnen getröstet werden, und das müssen wir respektieren.«
Axel Blad stützte die Ellbogen auf den Tisch und schlug die Hände vors Gesicht.
Roger Høibakk zog einen Stuhl heran. Cato Isaksen blieb stehen. Nach einigen Minuten ließ Axel Blad die Hände sinken. Seine Augen waren ganz und gar trocken. »Siv Ellen und ich hatten arge Probleme«, begann er und schaute die Tischplatte an. »Wir hatten schon seit vielen Jahren nebeneinander hergelebt. Sie hatte die Musik. Ich arbeitete und arbeitete. In meinem Schuhgeschäft im Bogstadvei. Der gehört übrigens nur mir. Ich habe ihn von meiner Mutter geerbt. Für Siv Ellen war es vor allem wichtig, dass wir viel Geld hatten, wissen Sie. Dann habe ich Beth kennengelernt.«
»Erzählen Sie von Beth«, sagte Cato Isaksen.
»Beth Hvinden. Sie arbeitet in meinem Geschäft. Unsere Beziehung hat vor einem Jahr begonnen. Im September hat Siv Ellen das entdeckt und mich vor die Tür gesetzt. Das war mir eigentlich recht. Wir sind inzwischen zusammengezogen, Beth und ich. Bis auf weiteres haben wir ein Haus gemietet. Obwohl Siv Ellen mich vor die Tür gesetzt hatte, wurde sie hysterisch, als ich dann weg war«, sagte er leise. Er schien nicht gern über seine Situation zu reden. »Siv Ellen konnte ein wahnsinniges Temperament haben«, fügte er dann hinzu. »Und leider hat sie Maiken auf ihre Seite ziehen können«, sagte er verbittert.
Cato Isaksen und Roger Høibakk wechselten einen Blick. Roger Høibakk dachte daran, dass Cato Isaksen etwas ganz Ähnliches erlebt hatte, als er Sigrid Velde verlassen hatte, die Mutter Georgs, um zu seiner Exfrau Bente und den beiden ältesten Söhnen zurückzukehren.
»Um ganz ehrlich zu sein, glaube ich, dass sie mein Geld interessanter fand als mich. So war sie schon immer. Gut leben zu können, ein schönes Haus zu haben, das war ihr ungeheuer wichtig. Das wurde nach meinem Auszug natürlich schwierig.« Er fügte als Erklärung hinzu: »Siv Ellen kann sich das Haus eigentlich nicht leisten, deshalb hat sie die Kellerwohnung an eine alleinstehende Mutter vermietet. – Geld war in den letzten Jahren bei uns ein ewiges Thema«, sagte er dann. »Das Schlimmste ist, dass ihre Eltern auf meiner Seite standen, wenn man das so sagen kann. Siv Ellen war schon immer schwierig. Ich telefoniere zweimal im Monat mit ihrem Vater. Ihre Mutter liegt leider in einem Pflegeheim und ist in sehr schlechter Verfassung. Sind die beiden übrigens schon informiert worden?«
»Das wird noch geschehen.« Cato Isaksen sah Roger Høibakk an. »Wir müssen Sie leider bitten, die Tote zu identifizieren.«
Axel Blad schob das hohe Wasserglas hin und her. »Jetzt sofort?«, fragte er.
»Montagvormittag«, sagte Cato Isaksen und zeigte ihm ein Polaroidfoto der Toten auf dem Boden.
Axel Blad warf einen kurzen Blick auf das Bild, nickte und wandte sich ab.
Die