Eine Studie in Scharlachrot. Sir Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Eine Studie in Scharlachrot - Sir Arthur Conan Doyle страница 6
Ihr ergebener Tobias Gregson.“
„Gregson ist der schlauste Fuchs in der ganzen Polizeimannschaft,“ bemerkte mein Freund. „Er und Lestrade sind rasch und thatkräftig, aber durch nichts aus dem einmal hergebrachten Geleise zu bringen; dabei sind sie einander fortwährend in den Haaren und sind eifersüchtig wie zwei gefeierte Ballschönheiten. Wenn sie etwa beide auf dieselbe Fährte kommen, giebt es einen Hauptspass.“
Die behagliche Ruhe, mit der er sprach, schien mir unbegreiflich. „Es ist doch sicherlich kein Augenblick zu verlieren,“ rief ich; „soll ich Ihnen eine Droschke holen?“
„Noch weiss ich gar nicht, ob ich hingehen werde. Ich habe gerade einen Anfall von Trägheit und dann bin ich der faulste Kerl unter der Sonne; ein andermal kann ich freilich flink genug bei der Hand sein.“
„Aber dies ist doch gerade ein Fall, wie Sie ihn sich gewünscht haben.“
„Jawohl; aber was kommt schliesslich dabei heraus, liebster Freund? Gelänge es mir auch, den Knoten zu lösen, so würden doch Gregson, Lestrade und Co. sich alles auf ihr Konto schreiben. Das hat man davon, wenn man kein Angestellter ist.“
„Aber er bittet ja um Ihre Hilfe.“
„Ja, er weiss, dass ich mehr verstehe als er, und giebt das mir gegenüber auch zu; doch würde er sich lieber die Zunge abbeissen, als vor einem Dritten meine Ueberlegenheit anzuerkennen. Wir wollen uns die Sache indessen doch ansehen. Ich übernehme sie vielleicht auf eigene Faust. Dann kann ich die beiden wenigstens auslachen, wenn ich auch sonst nichts davon habe. Also vorwärts!“
Er fuhr rasch in seinen Ueberzieher und ging so geschäftig hin und her, dass ich wohl sah, die gleichgültige Stimmung war bei ihm vorüber und seine volle Thatkraft zurückgekehrt.
„Wo ist Ihr Hut?“ fragte er.
„Wünschen Sie denn, dass ich mitkomme?“
„Ja, wenn Sie nichts Besseres vorhaben.“
Schon im nächsten Augenblick sassen wir in einer Droschke und fuhren mit Windeseile nach der Brixtonstrasse.
Es war ein bewölkter, nebliger Morgen, alle Häuser lagen in einen Schleier gehüllt, von derselben grauen Schmuztfarbe wie die Strassen. Jetzt liess die Laune meines Gefährten nichts mehr zu wünschen übrig; er sprach mit grosser Zungengeläufigkeit über Cremoneser Geigen und den Unterschied zwischen einer Amati und einer Stradivarius. Ich verhielt mich ziemlich still; das trübe Wetter und das traurige Geschäft, welches wir vorhatten, drückten auf mein Gemüt.
„Es scheint, dass Sie sich in Ihren Gedanken gar nicht mit der Sache beschäftigen, um die es sich handelt,“ unterbrach ich Holmes endlich in seinen musikalischen Auseinandersetzungen.
„Noch fehlen mir alle Einzelheiten,“ erwiderte er; „es ist ein grosser Irrtum, sich eine Theorie zu bilden, ehe man sämtliches Beweismaterial in Händen hat; das beeinflusst das Urteil.“
„Sie werden bald genug Gelegenheit bekommen, Ihre Beobachtungen anzustellen,“ sagte ich; „hier sind wir schon in der Brixtonstrasse und das dort muss das Haus sein, wenn ich nicht sehr irre.“
„Kein Zweifel. — Halt, Kutscher, halt! —“ Wir waren noch eine ziemliche Strecke entfernt, doch bestand er darauf, dass wir ausstiegen und das letzte Ende zu Fuss zurücklegten.
Das Haus Nummer 3 machte einen düstern, unheimlichen Eindruck. Es gehörte zu einer Gruppe von vier Gebäuden, die etwas abseits von der Strasse lagen; zwei waren bewohnt, zwei standen leer. An den trüben Fensterscheiben der letzteren fielen nur hier und da die angeklebten Zettel in die Augen, auf denen ,Zu vermieten‘ stand. Jedes der Häuser hatte ein kleines Vorgärtchen, mit wenigen kränklichen Pflanzen auf den Beeten; mitten hindurch führte ein schmaler mit Kies bestreuter Pfad von gelblichem Lehm, der durch die Regengüsse der vergangenen Nacht völlig aufgeweicht worden war. Eine drei Fuss hohe Backsteinmauer, die ein hölzernes Gitter trug, bildete die Einfassung des Gartens. Am Gitterthor lehnte ein handfester Polizist, von einer Schar Neugieriger umringt, die ihre Hälse reckten und sich vergeblich abmühten, zu sehen, was drinnen im Hause vorging.
Ich hatte erwartet, Sherlock Holmes würde sich sofort hineinbegeben, um seine Untersuchungen zu beginnen, Nichts schien ihm jedoch ferner zu liegen. Mit einer Gelassenheit, welche mir unter den obwaltenden Umständen unnatürlich erschien, schlenderte er vor dem Hause auf und ab, den Blick bald auf den Boden gerichtet, bald in die Luft, bald wieder nach dem Gitterzaun oder den gegenüberliegenden Häusern. Nach einer Weile betrat er den Kiesweg, das heisst, er ging auf dem Grasstreifen neben dem Pfad, die Augen forschend zur Erde gesenkt. Zweimal blieb er lächelnd stehen und ein Ausruf der Befriedigung entfuhr ihm. Es waren zwar viele Fussspuren in den nassen Lehmboden eingedrückt, sie konnten jedoch von den Polizisten herrühren, die gekommen und wieder gegangen waren. Wie mein Gefährte hoffen konnte, da noch etwas Wesentliches zu entdecken, begriff ich nicht; allein nach den Proben seiner Beobachtungskunst, die ich schon von ihm erhalten hatte, musste ich mir sagen, dass er ohne Zweifel vieles sah, was mir gänzlich verborgen blieb.
An der Hausthüre kam uns ein grosser, blasser, flachshaariger Mann mit einem Notizbuch entgegen. Er eilte auf Holmes zu und schüttelte ihm mit grosser Wärme die Hand. „Sehr freundlich von Ihnen, dass Sie kommen,“ sagte er, „alles ist noch ganz unberührt geblieben.“
„Nur nicht der Fussweg,“ erwiderte mein Freund. „Wäre eine Büffelherde drübergelaufen, sie hätte ihn kaum mehr zertrampeln können. Natürlich haben Sie erst genaue Beobachtungen angestellt, Gregson, bevor Sie das zuliessen.“
„Ich hatte drinnen im Haus zu viel zu thun,“ sagte der Detektiv ausweichend. „Mein Kollege Lestrade ist hier; ich dachte, er würde sich darum kümmern.“
Holmes zog die Augenbrauen spöttisch in die Höhe und sah mich an. „Wo zwei Männer wie Sie und Lestrade an Ort und Stelle sind, hat ein Dritter nicht mehr viel zu suchen,“ bemerkte er.
Gregson schntunzelte selbstgefällig, und rieb sich die Hände. „Wir haben gethan, was wir konnten; aber es ist ein wunderlicher Fall — ich kenne ja Ihre Vorliebe für dergleichen.“
„Sind Sie in einer Droschke hergekommen?“
„Nein, ich nicht.“
„Aber Lestrade?“
„Der kam auch zu Fuss.“
„So? — Dann können wir wohl das Zimmter besehen.“
Wie das zusammenhing, war mir nicht recht ersichtlich, auch Gregson machte ein verwundertes Gesicht, während er Holmes in das Haus folgte.
Ein sehr staubiger, gedielter Korridor führte nach Küche und Speisekammer, rechts und links befanden sich noch zwei Thüren. Die eine mochte wohl wochenlang nicht geöffnet worden sein, die andere führte in das Zimmer, wo die geheimnisvolle Missethat verübt worden war. Holmes trat, dort ein, und ich begleitete ihn, von unheimlichen Gefühlen ergriffen, wie sie die Gegenwart des Todes uns einzuflössen pflegt. Das grosse, viereckige Gemach sah noch geräumiger aus, weil keine Möbel darin standen. Die grelle Tapete an den Wänden war hie und da mit Schimmel überzogen, an einigen Stellen hing sie in Fetzen herunter,