Auf dem Lande alles dicht?. Mieste Hotopp-Riecke
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(1) Orte sozialer Teilhabe: Es braucht niedrigschwellig zugängliche zentrale Orte als Kristallisationspunkte für Vernetzungen und als Ideenschmieden. Hierbei werden z.B. Vereinsräumlichkeiten, Jugendclubs oder Pfarrhäuser genannt. Wenn diese sozialen Orte durch infrastrukturellen Wandel als persönliche Bezugspunkte wegfallen, wirkt sich dies hemmend auf das Engagement vor Ort aus. Umso wichtiger ist die Etablierung neuer sozialer Orte als Anlaufpunkte.
(2) Finanzielle Ressourcen: Eine gesicherte, langfristige Finanzierung wird immer wieder als förderlich benannt. Hierbei ist es von zentraler Bedeutung, dass die Engagierten über das Wissen verfügen, wo Gelder ggf. zu akquirieren und wie Anträge zu stellen sind. Darüber hinaus wird gerade diese Antragspolitik als hemmend für Engagement benannt. Hierbei werden viele Ressourcen gebunden bzw. die Motivation Engagierter zunichte gemacht. Des Weiteren führt die selektive, projektbezogene Finanzierung zu einer Verstärkung der Konkurrenzsituation zwischen Initiativen.
(3) Schlüsselpersonen: Von großer Bedeutung und in den Studien immer wieder benannt sind lokale Macher*innen. Sie können impulsgebend für ganze Orte und Regionen sein und halten das Engagement am Leben. Hierbei gilt gerade in ländlichen Räumen der*die Bürgermeisterin meist als das „Zugpferd“ zum Anstoß neuer Prozesse, wobei es oft auch engagierte Privatpersonen sind. Fallen diese Schlüsselpersonen weg, wirkt sich das hemmend auf das Engagement vor Ort aus.
(4) Vernetzung und Kommunikation: Diese Faktoren werden nahezu immer als engagementförderlich genannt. Sie spielen einerseits zwischen den Akteur*innen vor Ort, jedoch auch überregional eine wichtige Rolle. Doch nicht nur die Vernetzung der Engagierten untereinander, sondern auch ein gutes Verhältnis zu Verwaltung, Politik und finanzierungsgebenden Institutionen ist von großer Bedeutung für gelingendes Engagement. Auch die Digitalisierung ermöglicht neue Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten für Engagement. Bei der Entwicklung engagementfördernder Maßnahmen mithilfe digitaler Möglichkeiten ist es jedoch wichtig, exkludierende Mechanismen zu verhindern (z.B. von älteren Menschen).
Neben diesen förderlichen wurden in der Analyse auch Faktoren sichtbar, die sich hemmend auf das Engagement von Menschen auswirken können. So zeigt sich, dass der sozioökonomische Status von Menschen dafür entscheidend ist, ob sie sich engagieren bzw. in welcher Form. Stärker formal gebildete und erwerbstätige Menschen engagieren sich in höherem Maße bürgerschaftlich. In Regionen mit geringer Arbeitslosigkeit ist so auch die Engagementstruktur stärker ausgeprägt. Erwerbslose oder weniger formal gebildete Menschen engagieren sich weniger bürgerschaftlich, werden teilweise von Engagementstrukturen ausgeschlossen bzw. engagieren sich eher in privaten Kreisen (z.B. der Nachbarschaftshilfe).
Des Weiteren fokussieren einige wenige Studien die Bedeutung von Geschlecht für Engagement. Es zeigt sich, dass sich mehr Männer als Frauen engagieren, was sich in ländlichen Räumen stärker ausprägt als in städtischen. Gerade die Unvereinbarkeit von Familie und Engagement ist hierbei ein entscheidender Faktor. Frauen übernehmen oft informelle Aufgaben wie die Betreuung von befreundeten Kindern, während deren Eltern arbeiten.
Auch das Engagement von Menschen mit Migrationshintergrund ist geringer als von Menschen ohne Migrationshintergrund. Migrationshintergrund ist also scheinbar auch ein hemmender Faktor für Engagement. Doch in diesem Bereich fehlt es an Forschung. Wenn sich Studien mit Engagement und Migration beschäftigen, dann meist mit dem Engagement für Menschen mit Migrationshintergrund als Zielgruppe. Dabei könnte die Untersuchung des Engagements von Menschen mit Migrationshintergrund (und mögliche Hemmnisse für sie, sich zu engagieren) zu einem besseren Verständnis und der Förderung eines interkulturellen Zusammenlebens führen (vgl. Röder 2019).
Gerade in Bezug auf die hemmenden Faktoren kommt es in der Forschung zu einer nicht zu unterschätzenden Widersprüchlichkeit der Definition von bürgerschaftlichem Engagement, die weiter oben besprochen wurde: Bedarf es einer Erweiterung des Blickwinkels des Engagementbegriffs? Was als bürgerschaftliches Engagement verstanden wird, ist maßgeblich historisch geprägt und schließt so u.a. weniger formal Gebildete, Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund systematisch aus, obwohl für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in einer Demokratie informelle Praktiken nicht weniger wichtig sind (vgl. Eckes et al. 2019, S. 31).
Engagement gegen Rechts
Eine besondere Herausforderung für die Zivilgesellschaft – gerade im ländlichen Raum – ist die extreme Rechte. Studien zum Thema Demokratieförderung in ländlichen Räumen befassten sich primär mit den Auswirkungen von Rechtsradikalismus auf Engagement bzw. mit Engagement gegen Rechtsradikalismus. Gerade in Gegenden, in welchen die Engagementstruktur gering ausgeprägt ist, sind extrem rechte Parteien, Strukturen und Akteur*innen besonders stark. Beispielsweise können sie hier leichter Posten in Vereinen übernehmen und so ihr Gedankengut verbreiten. Dadurch wird demokratisches Engagement erschwert. Es kann hierbei sogar aus Angst zum Rückzug aus dem Engagement kommen.
Die Handlungsstrategien in Bezug auf antidemokratische Strukturen und Akteur*innen sind komplex und auf lokales bürgerschaftliches Engagement gegen Rechts angewiesen. In der Studie von Buchstein und Heinrich (2010) zu Gegenmaßnahmen gegen Rechtsradikalismus werden diese in präventive, reaktive, integrative und repressive Strategien unterteilt. Zwei HandlungsStrategien, die eng mit bürgerschaftlichem Engagement verbunden sind, sind die präventive und reaktive. Bei einer präventiven Strategie handelt es sich um eine größere Strategie der Dorfentwicklung:
Präventiv gegen extrem rechte Aktivitäten zu agieren hieße also, neue Formen der Beteiligung zu erproben, um lokale Demokratie zu stärken, flächendeckende Präsenz demokratischer Parteien zu forcieren und eine vorausschauende Bearbeitung lokaler Problemlagen zu etablieren. (Eckes et al. 2019, S. 26)
Wenn bereits etablierte rechtsradikale Strukturen vor Ort vorhanden sind, ist eine reaktive Strategie geboten. Für das Gelingen wird ein Zusammenschluss demokratischer Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik als wichtig angesehen. Zusammen sollten diese eine gemeinsame Problemdiagnose als Ausgangspunkt und eine längerfristige Begegnungsstrategie entwickeln.
Schlusswort
In diesem Beitrag konnten die Ergebnisse der Literaturanalyse und der aktuelle Stand der Forschung zu Engagement und Demokratiestärkung im ländlichen Raum nur umrissen werden. Die Forschungsperspektiven sind unterschiedlich und weisen eine große Vielfalt an Ergebnissen auf, die den variierenden Erkenntnisinteressen geschuldet sind. Entscheidend für die Vielfalt an Ergebnissen ist beispielsweise die fachliche Forschungsperspektive (geografische Raumplanung, soziologische Chancenanalyse, wirtschaftliche Rentabilität) oder aber das Forschungsinteresse (z.B. Evaluation von Förderprogrammen oder breitere, nicht evaluative, themenbezogene Erhebung als Ausgangspunkt). Auch gibt es nicht den ländlichen Raum. Von ländlichen Räumen muss im Plural gesprochen werden, sodass es keine Analyseschablone gibt, nach der in der Forschung und auch in der Praxis vorgegangen werden kann. Für einen umfassenden Überblick empfiehlt sich das Lesen der Literaturanalyse, welche mit einem tabellarischen Überblick über die Inhalte der 60 Einzelstudien ergänzt wurde.
Der hier vorliegende Text ist ein Leicht überarbeiteter Zweitabdruck. Der Artikel erschien am 20.01.2020 erstmalig im Online-Newsletter des BBE und ist hier einsehbar: https://www.b-b-e.de/bbe-newsletter/newsletter-nr-l-vom-2012020/ [23.02.2020].
Literatur
Buchstein, Hubertus/Heinrich, Gudrun: Rechtsextremismus in Ostdeutschland. Demokratie und Rechtsextremismus im ländlichen Raum.