Auf dem Lande alles dicht?. Mieste Hotopp-Riecke
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Literatur
Flusser, Vilem: Heimat und Heimatlosigkeit. 1 CD. Suppose Verlag: Köln 1999.
Kermani, Navid: Von Heimat zu Heimat. Zitiert nach dem Beitrag von Ruth Bender vom 26.01.2018, s.a.: http://www.kn-online.de/Nachrichten/Kultur/Schriftsteller-Navid-Kermani-im-Gespraech [31.03.2020].
Koppetsch, Cornelia: „In Deutschland daheim, in der Welt zu Hause? Alte Privilegien und neue Spaltungen“, in: Soziopolis vom 22.12.2017. Online: https://soziopolis.de/beobachten/gesellschaft/artikel/in-deutschland-daheim-in-der-welt-zu-hause/ [10.02.2020].
1Vor der Landtagswahl 2000 polarisierte Ministerpräsident Jürgen Rüttgers mit dem Wahlkampf-Ruf „Kinder statt Inder an die Computer“ der die Haltung der CDU zugunsten der Förderung von heranwachsenden (deutschen) Kindern statt zugewanderten Ausländern verdeutlichen sollte. Auslöser war, dass ausländische IT-Fachkräfte – insbesondere aus Indien – mittels der von der rot-grünen Bundesregierung eingeführten Greencard nach Deutschland eingeladen werden sollten. Dies wurde von den Republikanern dann mit der Phrase „Kinder statt Inder“ im Landtagswahlkampf 2000 übernommen.
2Der Begriff der Transkulturalität nach Prof. Wolfgang Welsch geht im Gegensatz zur Interkulturalität und Multikulturalität davon aus, dass Kulturen nicht homogene, klar voneinander abgrenzbare Einheiten sind, sondern dass sie – besonders infolge der Globalisierung – zunehmend vernetzt und vermischt werden. Die Transkulturalität umschreibt genau diesen Aspekt der Entwicklung von klar abgrenzbaren Einzelkulturen hin zu einer Globalkultur.
Heimat als Gefühls- und Praxisraum. Ethnographische Zugänge
Dr. Juliane Stückrad
Heimatvorstellungen
Im Gespräch mit dem Kirchenvorsteher eines Dorfes bei Leipzig erfuhr ich, wie wichtig es der Gemeinde ist, dass Konfirmationen der Jugendlichen aus dem Dorf in der eigenen und nicht in der Nachbarkirche stattfinden. Er begründete diese Forderung an den Pfarrer mit: „Heimatgefühl. Das kann man nicht ersetzen.“1
Jenseits aller Debatten um Deutungen, Missbrauch und Gefahren des facettenreichen Begriffs Heimat,2 spielt dieser im Alltagswissen vieler Menschen eine wichtige Rolle. Bei meinen ethnografischen Erkundungen zur Bedeutung von Kirche und zu Stimmungslagen in ländlichen Räumen begegnen mir häufig Heimatvorstellungen. Und als Zugang zu den Forschungsfeldern eignen sich Heimatmuseen und Heimatvereine hervorragend, um einen Einblick in die lokalen Geschichtsschreibungen und Identitätskonstruktionen zu erhalten. Über dieses alltägliche Heimatverständnis kann es gelingen, die Lebenswirklichkeiten der Menschen zu ergründen und zu verstehen. Das könnte die Basis für einen gesellschaftlichen Diskurs darüber sein, wie eine Heimat zu gestalten ist, die sich angstfrei öffnet und nicht argwöhnisch abschottet. Es geht dabei nicht um einen wehmütigen Blick auf die „gute alte Heimat“, die in der Erinnerung immer viel schöner ist, als sie es jemals war, sondern um eine auf die Zukunft ausgerichtete Perspektive, wie man ausgehend vom Lokalen eine Welt erschafft, in der jede*r heimisch werden kann. Begriffsgeschichtlich betrachtet entwickelte sich Heimat vom Rechtsraum zum Gefühlsraum. Heimat beschrieb ursprünglich das Haus, den Hof und das direkt erfahrbare dörfliche Umfeld, den Ort, der das Überleben sicherte.3 Heimat war Besitz an Grund und Boden. Wer kein Haus und Hof besaß, war in den alten Rechtsvorstellungen heimatlos. Die mobilere bürgerliche Bevölkerung verknüpfte seit dem 19. Jahrhundert neue Vorstellungen mit Heimat und reicherte sie mit Gefühlen an, die die Unsicherheiten des eigenen Lebens kompensierten. Heimat wuchs so über den Hof, das Elternhaus, die lokale Gemeinschaft hinaus und wurde über die Landschaft gelegt. Sie verwandelte sich in der Heimatbewegung, in der Heimatkunst oder im Heimatschutz in ein „Kontrastprogramm“ zur industrialisierten Großstadt. Heimat wurde nun vorwiegend mit bäuerlichen Lebenswelten in Verbindung gebracht und transportierte Bilder, die bis heute nachwirken. Aus diesen Ideen von Heimat entstanden Reformprogramme. Diese Entwicklung konnte bereits aggressive Züge annehmen und verlief parallel zur nationalistischen und bald auch rassistischen Aufladung des Heimatbewusstseins, die uns den unbefangenen Umgang mit Heimat erschweren. Mittlerweile findet der Begriff Heimat Verwendung für einen Identifikationsraum, der in seinen Ausmaßen variabel bleibt. Heimat kann als ein „Ort tiefsten Vertrauens“ wahrgenommen werden.4 Bormann deutet die Verknüpfung materieller, historischer und sozialer Gegebenheiten des Raumes als Notwendigkeit „einer kulturellen Produktion von Lokalität, im Sinne von raum-zeitlichem Verortet-Sein.“5 Das „raum-zeitliche Verortet-sein“ erfolgt bei vielen Menschen, denen ich bei der Feldforschung begegne, in überschaubareren Teilräumen, dem direkten Wohnort und dem sozialen Nahbereich, die Danielzyk und Krüger (1994: 115) als „Geborgenheitsraum“ beschreiben. Ausgehend von den lokalen Bedingungen beurteilen die Menschen die Qualität ihrer Lebenswelt.6 Heimat als „Geborgenheitsraum“ oder „Satisfaktionsraum“7 wird als Utopie von der Realität regelmäßig herausgefordert und gerade dann zum Thema, denn sie ist weder statisch noch krisensicher.
Unmut und Utopie
Unmut entsteht, wo wir mit Erwartungen an etwas herantreten und diese sich nicht mit den Erfahrungen decken. Lässt man sich auf das Schimpfen über die Heimatregion ein, kann man daraus Erwartungen ablesen. Schimpfen als Ausdruck des Unmuts entwickelt identitätsstiftende Kraft. Es dient der Positionierung in Raum und Zeit. Der Prozess dieser verbal ausgetragenen Positionierung offenbart Konflikte in der Identitätsfindung und lässt erahnen, was von einer Region bezüglich der Lebensqualitäten erwartet wird. Dabei sind wirtschaftliche und identitätsbezogene Argumente untrennbar miteinander verwoben. Man wünscht einen Raum, der den nötigen wirtschaftlichen Hintergrund bietet, sich privat zu entfalten und soziale Beziehungen aufbauen und pflegen zu können.8 Es stellt sich die Frage, wie aus der Enttäuschung heraus konstruktive Potenziale für die Gestaltung von Heimat entwickelt werden können. Erfahrungen aus ethnografischen Datenerhebungen in ostdeutschen Dörfern und Kleinstädten zeigen, ohne eine sensible Aufarbeitung der Transformationserfahrungen wird eine zukunftsorientierte Arbeit an der Heimat schwierig. Es geht dabei nicht nur darum, Verletzungen und Verluste herauszuarbeiten, sondern auch die erstaunlichen Lebensleistungen vieler Menschen zu würdigen, die im gesellschaftlichen Umbruch nach 1989 ihr Schicksal und das ihrer Wohnorte selbst in die Hand nahmen. Es handelt sich dabei um Transformationserfahrungen, die für eine gesamte Gesellschaft angesichts des fortschreitenden Wandels von großem Gewinn sein können und Inhalt kultureller Bildungsprojekte sein sollten.
Meine bisherigen Feldstudien in Ostdeutschland brachten einen Mangel an Zukunftsperspektiven für viele Dörfer und kleine Städte zutage. Viele Menschen glauben weder an einen wirtschaftlichen Aufschwung noch an den Zuzug neuer und jüngerer Bürger*innen. Zahlreiche kulturell aktive Bürger*innen hoffen, den Status Quo irgendwie halten zu können, ohne wirklich an eine Verbesserung der Situation zu glauben. Häufig haben die Menschen schon gar keinen Mut mehr, Visionen für die Zukunft zu entwickeln. „Wer weiß, wie lange es das noch gibt.“ Diesen Satz hörte