Auf dem Lande alles dicht?. Mieste Hotopp-Riecke
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Das Netz verbindet Jugendliche heute weltweit. Wie haben Internet und soziale Medien die Jugendkultur und die Jugendarbeit verändert?
Natürlich haben Social Media, das Internet und Smartphones unser aller Leben radikal verändert und damit auch die Jugendarbeit. Früher musste man konkrete Orte wie Jugendzentren aufsuchen, um seine Freunde zu treffen. Heute kann man sich online verabreden und sich dann irgendwo treffen. Das heißt auch: Jugendliche sind heute schwerer greifbar, wenn sie nicht mehr ins Jugendzentrum kommen. Aber die neuen Technologien haben auch positive Auswirkungen, denn das Internet ist trotz aller Facebook-Trollgruppen ein inklusives Medium, das wesentlich dazu beigetragen hat, den Informationsvorsprung der Großstadt gegenüber dem Dorf und der Kleinstadt zu verringern. Wenn sich ein Jugendlicher in einem kleinen Dorf leidenschaftlich für eine Jugendkultur oder für eine bestimmte Musikrichtung interessiert, hätte er früher keine Ansprechpartner*innen gehabt und keine Gleichgesinnten gefunden; heute aber kann er durch das Internet teilhaben an einer weltweiten Jugendkultur und bekommt alle Informationen über seine Szene genauso schnell wie die Szene-Angehörigen in Berlin.
Das heißt, die Kommunikation und Mobilität unter Jugendlichen hat zugenommen?
Erwachsene meinen oft, dass die Jugendlichen sich digital isolieren und sich nicht mehr austauschen wie früher. Dabei kommunizieren Jugendliche im Internet sehr viel und tauschen sich über alle möglichen Themen aus, sprechen vielleicht sogar freier als früher. Die Jugendarbeit nutzt deshalb inzwischen Online-Tools sehr erfolgreich für Beratungsangebote, etwa zu den Themen Schulden oder Sexualität. Und das Internet ermöglicht den Jugendlichen, sich zu gruppieren und zu organisieren. Ein aktuelles Beispiel ist die Fridays-for-Future-Bewegung. Im Internet finden spannende Diskussionen statt und bei allen Nachteilen sind Social Media trotzdem auch eine Riesenchance für die öffentlichkeitswirksame Kommunikation.
Social Media sind also auch eine Chance für die Jugendarbeit, um die Jugendlichen zu erreichen?
Soziale Medien sind ganz sicher eine Chance und ein Muss für die Jugendarbeit. Wer Jugendliche erreichen will, muss auf diesen Kanälen präsent sein. Die sozialen Medien sind ein zentraler Bereich jugendlicher Lebenswelten. Die Jugendarbeit muss wissen, wo Jugendliche sich bewegen, wie sie sich bewegen und welche Themen sie interessieren. Vieles davon passiert eben über Social Media, und wenn ich da selber nicht präsent bin, entgeht mir ein großer Lebensbereich der jungen Leute. In spätestens zwanzig Jahren wird ein Jugendarbeiter, der sich den Social Media verweigert, berufsunfähig sein.
Welche Bedeutung für die Persönlichkeitsbildung hat nach Ihrer Erfahrung die aktive Beteiligung von Jugendlichen an jugendkulturellen Aktivitäten?
Wie heißt es so schön: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Je jünger Menschen ihre Kreativität ausleben und nicht nur zu konsumtrotteligen Couchpotatoes verkommen wie die Mehrheit der Bevölkerung, unabhängig vom Alter, je eher sie lernen und Spaß und Sinn dabei erleben, sich persönlich zu engagieren, desto nachhaltiger bleibt das. Und Jugendkulturen sind eben vor allem Orte des kreativen Engagements, Kompetenztrainings in Teamfähigkeit und Orte des Self-Empowerments, vor allem für Mädchen (die nach wie vor viel mehr Widerstände überwinden müssen, um überhaupt in einer Jugendkultur sein zu dürfen) und anderenorts diskriminierte oder marginalisierte Jugendliche.
Wie hat sich die Jugendkultur verändert?
Die Welt ist insgesamt toleranter und bunter geworden; die Unterschiede zur Erwachsenenkultur sind weniger offensichtlich, aber die Jugendkultur gibt es sehr wohl noch. Die heutige Elterngeneration ist inzwischen die, die früher auf Techno-Raves, Metal- und Punk-Festivals, Poetry Slams oder Skater-Events ging. Das Problem ist: Es wird heute scheinbar so gut wie alles toleriert, und trotzdem werden die Freiräume für Jugendliche zunehmend eingeschränkt. In Deutschland, genauso wie in anderen Ländern, werden Jugendliche immer mehr aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Immer mehr Orte werden rein kommerziell definiert und man darf sich dort nur aufhalten, wenn man Geld ausgibt.
Sind vielleicht deshalb Jugendkulturen im öffentlichen Raum kaum noch sichtbar, sodass viele denken, es gibt sie gar nicht mehr?
Es gibt heute nicht weniger Jugendkuituren als vor 20 oder 30 Jahren. Sie heben sich nur nicht mehr so stark optisch vom Normalbürger und von anderen Jugendlichen ab.
Es gibt heute nicht weniger Jugendkulturen als vor 20 oder 30 Jahren. Sie heben sich nur nicht mehr so stark optisch vom Normalbürger und von anderen Jugendlichen ab. Und sie mischen sich mehr untereinander, sodass sie für Außenstehende auch nicht mehr so leicht unterscheidbar sind.
Aber vor allem werden sie eben auch aus der Öffentlichkeit verdrängt. Das führt letztendlich auch dazu, dass Städte und Gemeinden immer mehr veröden und nicht mehr so spannend sind für andere junge Leute. Der Arbeitsmarkt braucht aber dringend Facharbeiter*innen und Auszubildende, und wenn in einer Stadt oder Region keine Jugendkultur präsent ist, wird diese langweilig und noch mehr junge Leute wandern in die Städte ab, wo noch jugendkulturelle Vielfalt herrscht.
Wenn die heutigen Eltern toleranter sind, weil sie selbst schon eine „wilde Generation“ waren, gibt es dann für die heutigen Jugendlichen überhaupt noch genug Reibungsfläche?
Reibungsfläche ergibt sich ja nicht nur durch spießige Kleidung oder Musikgeschmack der Eltern. Da gib?s schon noch genug anderes, wogegen die Jugendlichen rebellieren können. An den Fridays for Future sieht man, wie sich die jungen Leute gegen die Politik und die Wirtschaft der Erwachsenen stemmen, weil diese sehenden Blicks die Zukunft der Jugendlichen zerstören. Jugendbewegungen wie die Fridays, die derzeit von etwa einem Viertel der Jugendlichen getragen werden, werden in Zukunft weiter wachsen, denn die Erwachsenengeneration geht kein bisschen auf die berechtigten Ziele und Forderungen der Jugendlichen ein. Die Frage ist nur: Werden die Jugendlichen irgendwann aufgeben und sagen, „das bringt sowieso nichts“, oder werden sie durch den Schwung der öffentlichen Aufmerksamkeit dazu bewogen, sich noch intensiver und noch radikaler zu engagieren? Damit die Gesellschaft sich verändern kann, müssen die Erwachsenen den Jugendlichen irgendwann entgegenkommen. Die Kinder zum Psychologen zu schicken, weil sie mit den von den Erwachsenen verursachten Depressionen nicht fertig werden und zum Beispiel ihre Schule oder ihr Studium abbrechen, wie es gerade sehr häufig passiert, ist jedenfalls keine Lösung.
Ist dieser Clash der Generationen nicht in gewissem Grad vorprogrammiert? Weil sich in der Menschheitsgeschichte immer eine jüngere Fraktion, die noch keine große gesellschaftliche Macht hat, und eine ältere, die sich teilweise gerade erst mühsam auf eine Machtposition hochgearbeitet hat und sich jetzt durch die Jüngeren herausgefordert sieht, gegenüberstehen?
Ich denke auch, dass es dabei nur zum Teil um Inhalte geht, denn die Werte und Lebensziele der Jungen unterscheiden sich kaum von denen der Elterngeneration. Es geht schlicht um Machterhalt und die Weigerung der alten Elite, das Zepter an Jüngere zu übergeben. Das ist nicht nur bei iranischen oder bruneiischen Herrschern so. Nur sagt man es hier nicht so eindeutig. Zum Beispiel haben die drei in Berlin regierenden Parteien SPD, Linke und Grüne alle in ihren Wahlprogrammen gefordert, dass Jugendliche ab 16 wählen dürfen – wie bereits in drei anderen Bundesländern und übrigens auch bundesweit in Österreich. Aber seitdem sie an der Regierung sind, haben sie trotz mehrmaliger Aufforderungen, sogar vom Präsidenten des Abgeordnetenhauses, nichts in diese Richtung unternommen