Das Erbe sind wir. Michael Meyen

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Das Erbe sind wir - Michael Meyen

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(Festhalten an der »Idee einer legitimen Alternative zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung«): »moralische und politische Gleichrangigkeit der beiden deutschen Staaten«, kommunistische Ideale wie die Brechung des Bildungsmonopols der besitzenden Klassen, die Gleichstellung der Geschlechter, Arbeit und Wohlstand für alle, Nahrung und bezahlbaren Wohnraum sowie eine Welt, in der der Mensch sich und seine Arbeitskraft nicht verkaufen muss, keinen materiellen Reichtum begehrt und keine Kriege führt.48

      Im Film Traumfabrik, produziert unter anderem von Tom Zickler, drei Jahre älter als ich und ab 1988 Student an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, ist die DDR ein Land, in dem die Menschen zusammenhalten. In dem man sich hilft, in dem man Spaß hat (sogar mit den Russen), in dem Aufstieg von ganz unten Normalität ist und in dem man zwar um die Kontrolleure und Beobachter weiß, sich aber im Alltag nicht groß um sie schert. Jeder wird gebraucht (sogar ein farbenblinder Kameramann), jede trägt etwas bei (hier vor allem die Sekretärin und die Maskenbildnerin). Und: Familie ist wichtig. Wichtiger jedenfalls als Karriere und Partei. Ohne seinen Bruder wäre der Held ein Nichts.

      Einmal regnet es in diesem Film. Einmal wird die DDR trist und grau. Das ist die DDR, wie sie die Nachgeborenen kennen. Zwei Polizisten springen aus dem Auto und prügeln mit Schlagstöcken um sich, ohne wirklich einen Grund zu haben, nicht einmal in der Logik einer Überwachungsgesellschaft. Man kann Schwierigkeiten haben mit dieser Szene. Man kann sie aber auch als groteske Überzeichnung dessen lesen, was die Geschichtspolitik uns sonst so erzählt über die DDR. Milou, die Angebetete des Helden, ist dabei und fährt am Ende doch nicht zurück nach Frankreich, in eine Welt, in der sie von einer launischen Chefin abhängt und von einem cholerischen Mann.

      Freiheit Ost vs. Freiheit West: Das ist hier die Frage. Tanzen und feiern auf den Straßen von Paris, ja. Aber zu welchem Preis? Der Preis, der in der DDR zu zahlen ist, wird in der Traumfabrik ausgesprochen und bebildert. Eingemauert sein im eigenen Land. Stacheldraht und Maschinenpistolen an der Grenze. Das Diamant-Fahrrad als größter Luxus (dies erst im Abspann, genau wie ein Zeitungscover, das die Ausreise des Traumpaars meldet). Und trotzdem. Milous Augen werden riesig sein und strahlen, wenn sie in diesen Osten zurückläuft. Man kennt dieses Bild. Aber nur für die andere Laufrichtung.

      Alexander Osang, Jahrgang 1962 und heute vermutlich der erfolgreichste Absolvent der Sektion Journalistik, erzählt in diesem Heft, wie er im Sommer 1990 fünf Wochen »durch Amerika fuhr«, auf Kosten der United States Information Agency. »Später sagte mir jemand, die Agentur werde von der CIA betrieben. Ich glaube, ich wäre auch gefahren, wenn ich das gewusst hätte«. Eine »Politschulung« (oder: »die Erziehung des Ostmenschen«), die »nie wieder« aufgehört habe. Osang hat damals bei der Berliner Zeitung gearbeitet und dort in den 1990ern die wirtschaftliche Kehrseite der neuen Welt erlebt. Westdeutsche, die »so lange mit der Maus gespielt« haben, bis sie keine Lust mehr hatten und die Maus erst recht nicht. »Chefredakteure kamen und gingen. Neue Investoren, neue Besitzer, die Zeitungskrise, Umzug, Syndikation, Content-Management«. Osang ist dann zum Spiegel gewechselt. Stefan Aust habe beim Einstellungsgespräch nur wissen wollen, ob er »denn überhaupt Englisch« könne. Heute weiß Osang, dass die Vergangenheit nicht aufhört. Nie. Und er wettert gegen das Gerede von der ›Lebensleistung‹, die wer auch immer endlich ›anerkennen‹ soll: »Ich möchte nicht pausenlos bewertet werden. Ich möchte nicht vom Spiegel erklärt haben, wie der Ossi so ist. Aber es geht nie darum, dass der Westler sich ändern muss. Der Osten soll aus der Gesellschaft rauswachsen wie eine Dauerwelle«. Das wird er nicht. Aber der Diskurs über ihn kann sich ändern, wenn Menschen wie Alexander Osang sprechen. Als mir das klar war, habe ich den Titel des Buches geändert.

      Anmerkungen

      1Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp 2016

      2Rückkehr nach Reims wurde zum Beispiel 2017 in der Schaubühne Berlin aufgeführt (Regie: Thomas Ostermeier) und 2019 am Schauspiel Köln (Regie: Thomas Jonigk)

      3Michael Meyen: »Wir haben freier gelebt«. Die DDR im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Bielefeld: transcript 2013, S. 178

      4Vgl. Anke Fiedler: Medienlenkung in der DDR. Köln: Böhlau 2014

      5Vgl.

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