Das Erbe sind wir. Michael Meyen
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Als ich 2013 meine (so dachte ich damals) letzte Studie zum Thema DDR fertig hatte, ging es mir ein bisschen wie Matthias Krauß. Genug jetzt. Egal ob Schulbücher, Museen oder Leitmedien: Es dominierte Typ 1, seit 1990, Tendenz eher steigend. Typ 2 gab es noch, immerhin. Typ 3 dagegen schien langsam auszusterben.49 Und dann kam die AfD.
Im Film Traumfabrik, produziert unter anderem von Tom Zickler, drei Jahre älter als ich und ab 1988 Student an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg, ist die DDR ein Land, in dem die Menschen zusammenhalten. In dem man sich hilft, in dem man Spaß hat (sogar mit den Russen), in dem Aufstieg von ganz unten Normalität ist und in dem man zwar um die Kontrolleure und Beobachter weiß, sich aber im Alltag nicht groß um sie schert. Jeder wird gebraucht (sogar ein farbenblinder Kameramann), jede trägt etwas bei (hier vor allem die Sekretärin und die Maskenbildnerin). Und: Familie ist wichtig. Wichtiger jedenfalls als Karriere und Partei. Ohne seinen Bruder wäre der Held ein Nichts.
Einmal regnet es in diesem Film. Einmal wird die DDR trist und grau. Das ist die DDR, wie sie die Nachgeborenen kennen. Zwei Polizisten springen aus dem Auto und prügeln mit Schlagstöcken um sich, ohne wirklich einen Grund zu haben, nicht einmal in der Logik einer Überwachungsgesellschaft. Man kann Schwierigkeiten haben mit dieser Szene. Man kann sie aber auch als groteske Überzeichnung dessen lesen, was die Geschichtspolitik uns sonst so erzählt über die DDR. Milou, die Angebetete des Helden, ist dabei und fährt am Ende doch nicht zurück nach Frankreich, in eine Welt, in der sie von einer launischen Chefin abhängt und von einem cholerischen Mann.
Freiheit Ost vs. Freiheit West: Das ist hier die Frage. Tanzen und feiern auf den Straßen von Paris, ja. Aber zu welchem Preis? Der Preis, der in der DDR zu zahlen ist, wird in der Traumfabrik ausgesprochen und bebildert. Eingemauert sein im eigenen Land. Stacheldraht und Maschinenpistolen an der Grenze. Das Diamant-Fahrrad als größter Luxus (dies erst im Abspann, genau wie ein Zeitungscover, das die Ausreise des Traumpaars meldet). Und trotzdem. Milous Augen werden riesig sein und strahlen, wenn sie in diesen Osten zurückläuft. Man kennt dieses Bild. Aber nur für die andere Laufrichtung.
Man kennt auch den selbstherrlichen Funktionär (hier: Heiner Lauterbach), immer mit Lakai, zu allen Schandtaten bereit. In der Realität war es komplizierter, und in der Traumfabrik ist es das auch. Der Film zeigt, wie man das Kompetenzgerangel zwischen SED und Staat ausnutzen konnte für das, was man wollte. So mächtig dieser Heiner Lauterbach als Defa-Boss auch sein mag, irgendwo sitzt jemand, der noch mächtiger ist und der vor allem Angst hat, in der Westpresse negativ aufzufallen. Was hier wie ein ›Märchen‹ erzählt wird (das Filmprojekt, um das es geht, wird über die Bild-Zeitung publik gemacht und ist genau deshalb nicht zu stoppen), hat einen realen Hintergrund.50
Die Traumfabrik war ein Flop (knapp 122.000 Zuschauer und damit nur Platz 121 der deutschen Kinocharts 2019, aber immerhin in der Vorauswahl für den Deutschen Filmpreis 2020) und führt zunächst weg von der AfD, die weniger auf den DDR-Diskurs an sich zielt, sondern eher auf die Gewichtung. Der Ausverkauf der Wirtschaft. Die Zweifel und die Unsicherheiten der 1990er.51 Das »Erfolgsnarrativ«,52 wieder und wieder heruntergeleiert und immer unglaubwürdiger, je weiter die Ereignisse von 1989 und 1990 zurücklagen. Martin Sabrow meint inzwischen, dass die »staatlich gestützte Erzählung vom alles überstrahlenden Fluchtpunkt Freiheit« eigentlich bereits 2014 gekippt sei. 25 Jahre Mauerfall. Ein Lichterfest, in der Berliner Luft Tausende Heliumballons und auf dem Boden Hunderttausende Menschen. »Höhepunkt« und »Wendepunkt« in einem, sagt Sabrow und verweist auf die beiden »Erfahrungswelten«, die verdrängt werden mussten, damit die »Revolutionserzählung« dominieren konnte. Das »Treuhand-Trauma«, erstens. Und zweitens: Die »Vorkämpfer des Umbruchs 1989« wollten die DDR nicht abschaffen, sondern erneuern.53
Das will die AfD sicher nicht, aber wie jede Verschiebung in der politischen Landschaft erschüttert auch der Erfolg dieser Partei die Forschungslandschaft und beschert den Historikern so ein wenig Geld. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat 2018 gleich 14 (!) Forschungsverbünde bewilligt, mit einer Laufzeit von jeweils vier Jahren. Die Pressemitteilung zum Start zitiert im Untertitel einen belanglosen Satz von Anja Karliczek, der Ministerin (»Wer seine Vergangenheit kennt, kann Zukunft gestalten«), und setzt in der Überschrift ein Ziel, das nach all den Jahren fast grotesk anmutet: »Wissenslücken über die DDR schließen«.54 Ich will nicht lästern: Als Sprecher des Verbundes »Das mediale Erbe der DDR« habe ich von diesem Füllhorn profitiert und dieses Buch auch mit Hilfe der entsprechenden Ressourcen schreiben können.
Wem das noch nicht genügt als Beleg für die These, dass eine neue Runde im Kampf um die DDR begonnen hat, der greife zum Spiegel, zum Heft Ziemlich beste Deutsche, erschienen im Herbst 2019. ›Sagen, was ist‹ – ein Motto, das trotz Relotius auch dann stimmt, wenn man nicht daran glaubt, dass Journalismus eins zu eins abbilden kann, was ›da draußen‹ passiert.55 Der Spiegel spiegelt die Definitionsmachtverhältnisse. Wenn dort Deutsche aus Ost und West ihre Geschichten erzählen, ungeschminkt und ohne Rücksicht auf das Diktaturgedächtnis, dann ist das gerade angesagt.
Alexander Osang, Jahrgang 1962 und heute vermutlich der erfolgreichste Absolvent der Sektion Journalistik, erzählt in diesem Heft, wie er im Sommer 1990 fünf Wochen »durch Amerika fuhr«, auf Kosten der United States Information Agency. »Später sagte mir jemand, die Agentur werde von der CIA betrieben. Ich glaube, ich wäre auch gefahren, wenn ich das gewusst hätte«. Eine »Politschulung« (oder: »die Erziehung des Ostmenschen«), die »nie wieder« aufgehört habe. Osang hat damals bei der Berliner Zeitung gearbeitet und dort in den 1990ern die wirtschaftliche Kehrseite der neuen Welt erlebt. Westdeutsche, die »so lange mit der Maus gespielt« haben, bis sie keine Lust mehr hatten und die Maus erst recht nicht. »Chefredakteure kamen und gingen. Neue Investoren, neue Besitzer, die Zeitungskrise, Umzug, Syndikation, Content-Management«. Osang ist dann zum Spiegel gewechselt. Stefan Aust habe beim Einstellungsgespräch nur wissen wollen, ob er »denn überhaupt Englisch« könne. Heute weiß Osang, dass die Vergangenheit nicht aufhört. Nie. Und er wettert gegen das Gerede von der ›Lebensleistung‹, die wer auch immer endlich ›anerkennen‹ soll: »Ich möchte nicht pausenlos bewertet werden. Ich möchte nicht vom Spiegel erklärt haben, wie der Ossi so ist. Aber es geht nie darum, dass der Westler sich ändern muss. Der Osten soll aus der Gesellschaft rauswachsen wie eine Dauerwelle«. Das wird er nicht. Aber der Diskurs über ihn kann sich ändern, wenn Menschen wie Alexander Osang sprechen. Als mir das klar war, habe ich den Titel des Buches geändert.
Anmerkungen
1Didier Eribon: Rückkehr nach Reims. Berlin: Suhrkamp 2016
2Rückkehr nach Reims wurde zum Beispiel 2017 in der Schaubühne Berlin aufgeführt (Regie: Thomas Ostermeier) und 2019 am Schauspiel Köln (Regie: Thomas Jonigk)
3Michael Meyen: »Wir haben freier gelebt«. Die DDR im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Bielefeld: transcript 2013, S. 178
4Vgl. Anke Fiedler: Medienlenkung in der DDR. Köln: Böhlau 2014
5Vgl.