Die Apokalypse ist nicht das Ende der Welt. Marie-Christin Spitznagel

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Die Apokalypse ist nicht das Ende der Welt - Marie-Christin Spitznagel

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haben in Ehrfurcht ihre Gesichter abgewandt und dich angebettelt, verschont zu werden. Jetzt sitzt du hier herum und lässt kleine Fluten und Unwetter auf die Erde niederprasseln. Es ist beschämend.» Oh ja, epische Worte. Jetzt fehlte nur noch die Schlacht.

      Michael hob seinen Kopf, blitzte seinen Bruder mit stechenden Augen an. Er konnte wirklich furchteinflößend aussehen.

      «Weißt du, was wirklich beschämend ist?», fuhr er auf, «Wir! - Wir sind in die Belanglosigkeit abgerutscht und alle tun so, als ob dem nicht so wäre. Wir sind Kitschfiguren in den Augen der Menschen. Putzige Glücksbringer. Sie stellen kleine, nackte, dicke Figuren mit Flügelchen auf ihre Fensterbretter. Das sollen wir sein!» Er erhob sich aus dem weißen Sessel und ging energisch auf seinen Bruder zu.

      «Wir sind bedeutungslos, bestenfalls ein Witz, ein Kindermärchen. Kein Mensch achtet oder fürchtet uns mehr. Warum auch? Wir hatten seit Jahrtausenden keinen Einsatz mehr auf der Erde, es gibt nichts zu tun, nichts zu rächen, nichts zu verkünden. Wir sitzen herum und warten auf was-weiß-ich-was!»

      Das war ein neuer Ton. Normalerweise quengelte Michael lediglich, dieser Zorn war neu. Wo kam der denn her? Gabriel ließ sich nicht aus dem Konzept bringen, schüttelte kurz den Kopf und antwortete auf Michaels Tirade lediglich mit einer abwehrenden Geste. Langsam erhob er sich aus seinem Sessel. Auf diesen neuen Ton musste er sich erst einstellen. Betont langsam spazierte er um den Schreibtisch herum, nahm den Köcher mit den restlichen Blitzen, bevor Michael die Chance hatte, etwas damit anzustellen, und öffnete die Tür zum Wandschrank. Während er sie aufräumte, musste er nicht reden und konnte sich seine nächsten Worte gut überlegen. Er entschied sich fürs Beschwichtigen.

      «Sei doch nicht so eine Dramaqueen. Und vor allen Dingen, wirf nicht wieder von diesen Blitzen nicht, dass du wieder ‹ganz aus Versehen› Erdbeben und Feuersbrünste in Gang setzt. Such dir lieber eine vernünftige Beschäftigung. Dann ist dir auch nicht mehr langweilig.» Mit einem kräftigen Schwung knallte er den Schrank zu, so dass darin ein kleines Gewitter losbrach. Michael schlurfte aus dem endlos weißen Raum zum Sessel zurück und ließ sich kraftlos in das Polster sinken.

      «Ewig ist eine furchtbar lange Zeit, wenn man nichts tun kann, außer zusehen, wie diese haarlosen Affen, auf die Vater so stolz ist, sich gegenseitig abschlachten», sagte Michael leise. «Und das Schlimmste ist:. Wir dürfen nicht einmal mitmachen!»

      Gabriel lehnte seinen Kopf gegen die Tür des Blitzschranks. Es war ja nicht so, dass er nicht verstehen würde, warum Michael so frustriert war. Es ging ihm ja genauso. Und wenn Michael in der Nähe war, musste er sich richtig zusammenreißen, dass dieser nicht merkte, dass er an demselben Überdruss litt. Sein Bruder hatte ja Recht. Was blieb ihnen denn groß übrig, außer manchmal – heimlich, damit es keiner merkt, dass sie es sind - in kleinen Schutzengeljobs ein paar Idioten vor sich selbst zu retten, um nicht vor Langeweile wahnsinnig zu werden? Gabriel war sich ziemlich sicher, dass sein Bruder dies auch tat. Ebenso heimlich, damit niemand merkte, dass er es war, der sich sonst so laut darüber lustig machte.

      Michael flüsterte: «Was bleibt uns denn übrig außer, heimlich, damit es keiner merkt, dass wir es sind, ein paar Idioten vor sich selbst zu retten und kleinere Schutzengeljobs zu übernehme, um nicht wahnsinnig zu werden?» Gabriel stockte kurz. Hatte er eben laut gedacht oder waren sein Bruder und er tatsächlich einer Meinung? Er räusperte sich und ging wieder zurück zum Sessel, um sich seinem Bruder gegenüber nieder zu setzen.

      «Die anderen Engel sind der neuen Marschrichtung mit Begeisterung gefolgt. Warum kannst du das nicht?»

      «Die folgen doch der Chefetage immer mit Begeisterung wie ein Haufen degenerierter Labradore.» Michael seufzte. «Aber die anderen Engel sind ja nicht das Hauptproblem! Die Menschen sind es. Sie halten sich für so einzigartig. Sie werden immer arroganter und dreister. Es ist erst wenige Jahrhunderte her, da haben sie sich ehrfürchtig, vor den Reliquien vermeintlicher Heiliger, in den Staub geworfen und ähnlich possierliche Dinge getan. Sie halten sich für schrecklich zivilisiert, weil sie verfaulte Dinosaurierreste als Energiequelle nutzen können.» Er rappelte sich hoch, sprang wieder aus dem Sessel und warf aufgebracht die Hände in die Luft. «Einige von ihnen sind paradoxerweise zudem davon überzeugt, dass es Dinosaurier nie gegeben hat. Ganze Gruppen glauben unbeirrt, während sie in riesigen, dinosaurierflüssigkeitsbetriebene

       Fortbewegungsmitteln unterwegs sind, dass es Dinosaurier nie gegeben hätte und Vater die Menschheit mit einem Fingerschnipsen - Puff- aus einem humanoid geformten Lehmklumpen zum Leben erweckt hat. Das sind die Allerschlimmsten! Die sind arrogant und noch dümmer als der Rest. Erinnerst du dich daran, wie Vater die Evolution in Gang gebracht hat. Wie wunderbar das gewesen ist? Wieviel Hoffnung er für diese Menschen hatte! Nun sieh, was sie machen. Und wir dürfen nicht mal eingreifen. Und Vater? Vater ist gegangen. Von wegen ‹kleiner Urlaub›. Der dauert schon 2000 Jahre, und wir sitzen hier fest.»

      Gabriel erinnerte sich genau an den Moment, an dem die Erde begann. Er hatte neben seinem Vater und all den anderen Göttern gestanden, als die Evolution ihren Anfang nahm, er hatte das Wunder der Weiterentwicklung vom ersten Einzeller miterleben dürfen. Immer wieder jagte ihm der Gedanke an diese erste, einfache Zeit voller Hoffnungen für diese junge Welt Schauer über den Rücken. Nachdem Gott die Engel geschaffen hatte, war er auf der Suche nach einer Herausforderung gewesen. Freier Wille. Engeln war er nur teilweise vergönnt. Die Erzengel waren in der Lage, auch selbst zu denken, anders als das gemeine Fußvolk. Trotzdem mussten sie in allem folgen, hatten keinen freien Willen. Das hatte Vater ausschließlich diesen haarlosen Affen zugestanden. Weil er sehen wollte, was sie damit machten, hatte er gesagt.

      Michael war seinerzeit damit beauftragt, die Plagen vorzusortieren, und war in dieser Aufgabe vollkommen aufgegangen. Er hatte sich keine Gedanken gemacht über die Entwicklung auf der Erde. Zwar wunderte er sich, was sein Vater mit den Plagen wollte, aber zu diesem Zeitpunkt war das Hinterfragen von Anweisungen noch nicht bei den Erzengeln angekommen. Gabriel erinnerte sich an die Unterhaltungen, die er mit ihm geführt hatte, als wären sie gestern gewesen. Seit Jahrhunderten regte dieser sich auf und schimpfte auf die Menschen. Der Ärger seines Bruders war für Gabriel auch immer nachvollziehbar gewesen, aber heute schwang zusätzlich etwas Anderes in seinen Worten mit. Etwas, das Gabriel einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Etwas Neues.

      «Gabriel», im Flüsterton riss Michael seinen Bruder aus den Gedanken.

      «Ja?», fragte Gabriel leise.

      «Mir ist langweilig!», Michaels Stimme war ein Flüstern. «Ich will nicht mehr hier festsitzen! Wie lange ist es her, dass ich eine Stadt verwüsten durfte, oder Feuer regnen lassen? Ich will einfach nicht mehr herum sitzen und nichts tun!»

      Gabriel nickte augenrollend und blickte aufwärts, als gäbe es einen weiteren Himmel über ihnen.

      «Michael», erwiderte er gebetsmühlenartig, während er sich Mühe gab, die zuckenden Lichter, die noch immer aus dem Blitzeschrank stoben, zu ignorieren, «Wir sind Diener Gottes. Uns ist nicht langweilig, und wir sitzen nicht herum und meckern. Wir sind weise, würdevoll und tun, was unser Vater uns gesagt hat, bevor er ging! Ohne zu mäkeln und ohne zu motzen.» Er machte eine kurze Pause. «Du weißt, was passiert, wenn einer von uns anfängt, mit derlei … derlei ... Sachen!», sagte er schließlich, als ihm das richtige Wort nicht einfallen wollte. Verweise auf ihren gefallenen Bruder Luzifer halfen immer, Michael in seine Schranken zu weisen. Diese beiden waren sich so unglaublich ähnlich. Lediglich war Luzifer dickköpfiger und impulsiver. Schließlich waren Luzifers Trotzanfälle legendär und hatten es in das Buch der Bücher geschafft.

      «Trotzdem. Ich will nicht mehr eingesperrt sein, Gabriel!», wiederholte Michael ganz leise, ohne seinen Bruder dabei anzusehen. «Wir hängen fest, ich habe sogar Hausarrest, nur weil ich ein einziges blödes Memo nicht gelesen habe…».

      «Ein blödes

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