Die Apokalypse ist nicht das Ende der Welt. Marie-Christin Spitznagel
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«Fürchte dich nicht, mein Kind. Ich komme mit froher Botschaft! Komm! Komm mit mir.»
6 Sofia
Mit den Armen voller Einkaufstüten und ihrem Handy zwischen Schulter und Kinn geklemmt, versuchte Sofia, ihren Wohnungsschlüssel ins Schloss zu fummeln. Seit sie die Taschen trug, musste sie sich an der Nase kratzen. Heftig pustete sie sich Strähnen ihres schwarzen Ponys aus den Augen. Sie hatte so viel Geld in eine schicke Kurzhaarfrisur investiert, dennoch ließen sich die dicken dunklen Haare ihrer italienischen Vorfahren nur schwer bändigen. Eigentlich müsste sie wöchentlich zum Friseur, um ihren Pony daran zu hindern, ihr über die Augen zu wachsen.
Jetzt hatte sie vor lauter Überstunden zwei Termine verpasst. Resigniert blies sie einen letzten Luftstoß in ihre Haare, während sie versuchte, sich gegen eine Wortsalve ihrer Mutter am Telefon durchzusetzen. Es wäre viel einfacher gewesen, wenn sie ihre Kopfhörer getragen hätte. Leider waren die vollkommen verknotet am Boden ihrer Handtasche, und sie hatte nicht die Geduld, diese zu entknoten.
«Ja Mamma. Si. Si.» Es klickte im Schloss, und sie stieß die Tür mit ihrem Fuß auf. «Non voglio sentir fiatare! Ich will es nicht mehr hören! Mama …», sie stöhnte leise, während sie ihre Einkaufstüten von den Armen neben die Tür gleiten ließ, wo sie mit einem lauten Klirren landeten. Sofia hoffte, dass ihre Weinflaschen heil geblieben waren.
«No! No! Questo è il colmo!» Sie hielt das Telefon auf Armeslänge von ihrem Ohr, die laute Stimme ihrer Mutter ergoss sich aus dem Hörer. Sofia seufzte und kratzte sich endlich an der Nase. Es war nicht so befriedigend, wie sie gehofft hatte.
«Mamma, ich muss auflegen. Si. Ja, Mamma, danke. Die Suppe war köstlich. Wie immer.»
In der offenen Küche der großzügigen Einzimmerwohnung, in der Sofia Canetti wohnte, stand der Topf mit Minestrone, den ihre Mutter ihr vor Wochen mitgegeben hatte. Sie hatte ihn nicht angerührt. Wahrscheinlich würde sie den Topf samt Inhalt komplett loswerden müssen. Inzwischen hatte sie Angst, den Deckel zu heben, denn der braune Pelz darin hatte sicherlich schon zu atmen begonnen. Sie lauschte ihrer Mutter weiter, während diese eine lange Liste mit Bekannten und entfernten Verwandten herunter ratterte, deren Töchter gerade schwanger oder verlobt waren. Sofia war 32, und wenn man ihre Mutter fragte, schon fast zu alt, um zu heiraten. Isabella Canettis größte Angst war es, dass ihre Tochter für immer alleine blieb.
«Ich muss wirklich dringend auflegen. Ja, ich besuche euch bestimmt am Sonntag. Ciao, Mamma.» Sofia beendete den Anruf abrupt und legte das Telefon auf das Sideboard aus geöltem Walnussholz neben die graue Schale aus Beton, in der sie ihre Schlüssel aufbewahrte. Ihre Wohnung war bis ins letzte durchgeplant, jedes Kissen hatte seinen festen Platz.
Entnervt und müde ging Sofia durch den großen Raum zum gegenüberliegenden Fenster. Auf dem Weg streifte sie ihre Schuhe ab, zog ihren Mantel aus und legte ihn, ganz untypisch für sich, über die Lehne eines Stuhls, der an der Wand stand und eigentlich als Ablageort für Magazine diente. Normalerweise hätte sie ihn sofort aufgehängt und auch die Schuhe nicht einfach im Raum liegen lassen, aber heute fühlte sie sich, als hätte sie alle Energie verlassen. Mit geschlossenen Augen ließ sie sich auf einen Sessel am Fenster plumpsen. Sie zündete sich eine Zigarette an, die dort mit Aschenbecher und Feuerzeug bereit lag. Ihre Mutter würde sie umbringen, wenn sie wüsste, dass sie rauchte. Nein, sie würde so tun, als hätte Sofia ihr ein Messer ins Herz gestoßen und würde sie unter einem Berg von Schuldgefühlen begraben. Aber nach diesem Tag aus der Hölle hatte sie sich eine Zigarette verdient. Der Anruf ihrer Mutter und das Wissen, dass ihre Periode heute oder morgen einsetzen würde, waren lediglich die Spitze des Eisbergs. Sie spürte ein schmerzhaftes Ziehen im Unterleib. Verfluchter Uterus. Um einen peinlichen Moment zu vermeiden, hatte sie auch ihrem Kollegen André, mit dem sie regelmäßig schlief, für heute abgesagt. Er war der Typ Mann, der ignorierte, dass Frauen so etwas wie Monatsblutungen hatten. Als sie beim gemeinsamen Einkaufen nach einer Packung Tampons greifen wollte, hatte er sie pikiert darum gebeten, SOWAS doch bitte zu kaufen, wenn er nicht dabei war. Er war ein Vollidiot, und Sofia schlief bloß mit ihm, weil sie nicht die Energie hatte, diese Affäre zu beenden.
Tief einatmend öffnete Sofia die Augen, blickte quer durch ihre Wohnung und musste, trotz allem, lächeln. Sie liebte ihre Wohnung. Für sie war es ihr Rückzugsort, etwas, das nur ihr gehörte. Das machte sie glücklich. Sie kam aus einer Familie mit fünf Kindern, war das unauffällige mittlere Kind, das sich ein Zimmer mit ihren beiden großen Schwestern hatte teilen müssen und deren Kleider sie aufgetragen hatte. Ihre beiden jüngeren Brüder hatten natürlich neue Sachen bekommen. Bis sie von Zuhause auszog, was ein Drama opernhaften Ausmaßes seitens ihrer Mutter ausgelöst hatte; der letzte Akt lief noch - hatte sie nie etwas ausschließlich für sich besessen.
Mit einem wohligen Seufzer kuschelte Sofia sich tiefer in den schweren, dunkelbraunen Ledersessel mit schräger Rückenlehne. Von diesem Platz unter dem Fenster aus konnte sie ihr kleines Reich komplett überblicken. Wohn- und Schlafzimmer gingen ineinander über, getrennt durch einen dünnen, weißen Vorhang. Ein schlichtes, weißes Metallbett stand neben einem Stuhl, den sie als Nachttisch nutze. Über dem Bett hingen zwei Lichterketten und sorgten für eine gemütliche Beleuchtung.
Ihre Mutter war keineswegs glücklich darüber, dass ihre Tochter lieber alleine wohnen wollte und sich mehr für ihren Job in einer Bank interessierte, als sich einen Mann zu suchen und möglichst schnell Kinder in die Welt zu setzen wie ein katholisches Meerschweinchen.
Sofia war glücklich mit ihrer Entscheidung. Sie hatte sich gegen ihre Mutter durchgesetzt. Aber hätte sie jemand gefragt, ob sie auch glücklich war mit ihrem Leben, wäre die Antwort eher aus Reflex denn aus Überzeugung gekommen. Tatsächlich hatte sie inzwischen das Gefühl, sich seit Jahren nicht mehr weiterzuentwickeln, sondern auf der Stelle zu treten. Sie hatte die Ziele ihrer Jugend erreicht, war unabhängig, eigenständig. Derzeit fehlten ihr neue Ziele, auf die sie hinarbeiten konnte.
Ihr Blick fiel auf den Ganzkörperspiegel links in der Ecke neben ihrem Bett. Gewissenhaft blickte sie ihrem Spiegelbild ins Gesicht, sah ihre braunen Augen, ihr fein geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, die dunklen und sorgfältig gestutzten Augenbrauen, die feine schmale Nase. Wie lange war es schon her, dass sie ihren Anblick im Spiegel gemocht hatte? Ihre Haare waren schon wieder ganz aus der Form geraten, und auch zur Kosmetikerin musste sie wieder, ihre Haut war vor lauter Stress ganz fahl.
Sie rappelte sich aus dem Sessel hoch, um ihr abendliches Yogaprogramm vorzubereiten: Kleider wechseln, Matte ausrollen, DVD einlegen. Eine dauerlächelnde, sehnige junge Frau begrüßte Sofia, und mit Bedauern stellte sie fest, dass deren aufgesetzte Begeisterung ganz und gar nicht ansteckend war.
Eine halbe Stunde später erhob sie sich aus der Yoga-Pose ‹herabschauender Hund›, bei der sie sich auf Füße und Hände stützte, den Po hoch in die Luft gestreckt. Sie ließ ihr Becken sinken, bis ihr Körper eine Gerade bildete und schob ihren linken Fuß zwischen ihre aufgestützten Hände. Ihr Gewicht verlagerte sie wieder auf beide Füße und richtete sich in die Kriegerposition auf. Dabei stand sie in weiter Grätsche, die Füße in einer Linie, das