Die Apokalypse ist nicht das Ende der Welt. Marie-Christin Spitznagel

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Die Apokalypse ist nicht das Ende der Welt - Marie-Christin Spitznagel

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dass wir ab der Geburt des Sohnes einen neuen Kurs einschlagen. Wir haben vier Propheten verschlissen, bis wir die Verweise darauf aus allen Geschichtsbüchern getilgt hatten!»

      «Ich habe das Memo auf meinem Schreibtisch nicht gesehen. Es lag unter dem Feuerschwerterkatalog!» Michael unterbrach Gabriel mit lauter Stimme. Etwas leiser fügte er hinzu: «Ich liebe Feuerschwerter.»

      Als Gabriel seinen Bruder ansah, konnte er dessen schmerzverzerrtes Gesicht sehen. Seine Wut verrauchte augenblicklich, er fühlte sich schlecht, dass er seinen kleinen Bruder so angefahren hatte. Schnell stand er auf, ging zu ihm hinüber und legte Michael beruhigend die Hand auf die Schulter. «Ist schon gut.»

      Michael schüttelte den Kopf. «Nein. Nein, Gabriel. Gar nichts ist gut. Vater ist weg, keiner weiß, wo er ist, wir sitzen hier fest, ohne echte Aufgabe. Der Sohn spielt Poker mit seinen Kumpels oder sitzt mit diesem fetten Kerl mit den großen Ohrlöchern seit Jahren unter einem Feigenbaum und meditiert. Neulich erzählte er stundenlang, dass er fast das Nirwana erreicht hätte! Er ist schon im Himmel, wozu braucht er ein Nirwana? Gabriel, es passiert nichts, und der Sohn, den wir anbeten sollen, ist ein verfluchter Hippie! Ich dreh‘ noch durch!»

      Gabriel fiel nichts ein, was er als Trost hätte sagen können. Er konnte seinen Bruder viel zu gut verstehen.

      «Ich wünschte auch, ich wüsste, wo er ist! Das wünschte ich wirklich. Er soll doch zurückkommen.» Mit diesen Worten lehnte Michael seinen Kopf an die Brust des Bruders, der ihm sanft über den Rücken strich. Trotz aller Streitereien, trotz ihrer Unterschiede, Michael war sein Lieblingsbruder und es brach ihm das Herz, ihn unglücklich zu sehen.

      «Ja, das wünschte ich auch», sagte Gabriel leise. «Aber du weißt, dass wir ihn nicht finden können, wenn er nicht gefunden werden will.»

      «Vielleicht sollten wir dafür sorgen, dass er zu uns kommt.»

      «Hm, das wäre natürlich super. Aber wie?»

      Michael machte eine Pause. Er wusste wie. Ihm wurde gesagt, wie. Im Moment musste er allerdings seinen Bruder davon überzeugen, dass sein Plan auch sinnvoll war. Der richtige Weg. Auch wenn es nicht sein eigener Plan war.

      7 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt: Wer siegt, dem werde ich zu essen geben vom Baum des Lebens, der im Paradies Gottes steht.

       Die Offenbarung des Johannes 2.9

       4 Alex

      Es war ein kalter Sonntagnachmittag im Januar. Alexandra Ewald schlenderte gedankenverloren durch die Kasseler Innenstadt. Der am Vormittag gefallene Schnee war von aufmerksamen Schneeschiebermaschinenfahrern am Rande des großen Parkplatzes, den sie gerade überquerte, zu kleinen Schneematschbergen aufgetürmt worden. Die Abgase der vorbeifahrenden Autos hatten sie schon grau gefärbt. Traurige graue Berge in einem traurigen grauen Winter. Aber Alexandra mochte den Schnee trotzdem. Das Geräusch des Schnees, der unter den Sohlen ihrer Stiefel knarzte, machte sie auf eine unerklärliche Weise glücklich. Sie lächelte, als ihr eine Schneeflocke auf der Nase landete. Sie liebte den Schnee und sie liebte Kassel. Aus verschiedenen Gründen, aber besonders weil sich die Schönheit dieser Stadt nicht sofort jedermann erschloss. Daniel hatte einmal gesagt, es sei kein Wunder, dass sie sich in Kassel so wohl fühle.

      «Ihr seid beide langweilig und habt eure besten Zeiten hinter euch.», hatte er ihr eines Morgens gesagt, als sie versuchte, ihn zu einem Spaziergang durch ihre Lieblingsgegend zu motivieren. Schade, dass ihr da noch nicht aufgefallen war, dass Daniel ein Idiot war.

      Kassel war vielleicht nicht auf den ersten Blick beeindruckend schön wie Konstanz oder allein wegen seines Flairs anziehend wie Wien. Nein, Kassel war grau, verbaut und unspektakulär. Auf den ersten Blick. Man musste schon die Augen offen halten, nach dem Besonderen schauen. Dann belohnte diese Stadt den Suchenden mit atemberaubenden Schönheiten. Daniel hatte sogar Recht gehabt, Alex und ihre Stadt waren sich ähnlich. Hier war sie geboren und aufgewachsen, und auch wenn Kassel in Restdeutschland kein sonderlich hohes Ansehen genoss, sofern man es überhaupt kannte, war und blieb es ihr Zuhause. Dass sie noch immer in Kassel lebte, war eine ganz bewusste Entscheidung. Auch sie erschloss sich nicht jedem auf den ersten Blick. Man musste sich Zeit lassen und etwas genauer hinschauen, um das Besondere und Schöne in ihr, Alex, zu finden.

      Alexandra war während ihrer Ausbildung zur Erzieherin ein wenig herumgekommen, auch davor und danach immer wieder gereist, aber nie hatte sie ernsthaft in Erwägung gezogen, ihr Leben irgendwo anders verbringen zu wollen als unter den Treppen des Herkules.

      Sie zog ihre Winterjacke enger um sich und griff in ihre Tasche, um ihr Handy samt In-Ear Kopfhörern hervorzukramen. Wie immer waren die Kabel furchtbar verknotet und sie nahm sich vor, diese in Zukunft nicht einfach in die Tasche zu stopfen, sondern ordentlich zusammen zu rollen. Das nahm sie sich jedes Mal vor. Vergeblich bisher.

      Mit einem zufriedenen Seufzen schob sie sich endlich die Kopfhörer in die Ohren und startete ihren Lieblingspodcast, während sie versuchte, nicht in andere Passanten zu laufen.

      Eine Ukulelenmelodie erklang und eine Männerstimme begann zu singen:

       «Total banale Themen werden hier seziert, scheißegal wie albern hart analysiert. Darüber wird man in 1000 Jahren noch berichten, hier sind die Kack- und Sachgeschichten!»

      Alex hatte die Melodie mitgepfiffen, als sie einen der zahlreichen ‹Coffee-to-Go› Läden betrat, den sie auf ihrem Weg nach Hause passierte. Dafür hatte sie direkt irritierte Blicke geerntet. Sie bestellte sich einen Cappuccino und wartete an einem der freien Stehtische, bis er fertig war. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee stieg ihr in die Nase.

      «Willkommen bei den Kack- und Sachgeschichten», flötete der junge Mann in ihrem Podcast ihr fröhlich ins Ohr. «Ich bin Fred und willkommen an den Mikros Tobi» - «Moin!» - «Und Richard» - «Moin!»

      Gedankenverloren blätterte sie durch die auf dem Tisch gestapelten Flyer und Heftchen. Dort lag ein Werbezettel für Kinderyoga.

       «Wir sprechen heute Abend Star Wars und die Macht! Und mit der Kraft unserer Gedanken öffnen wir jetzt unsere Biere!»

      ein Stadtmagazin und

       «Kommt Schwarzbier eigentlich von der dunklen Seite der Macht?»

      eine eher langweilige Broschüre der örtlichen Golfschule.

       «In ein paar Wöchelchen kommt ja Episode Acht auf den Teller!» - «Ja! Ich habe auch mega Bock!»

      Zwischen den Seiten des Heftes steckte etwas.

       «Ich war ja bei den letzten Filmen immer nachts am Start, aber dieses Jahr nicht.»- «Oh, ich spüre die Macht» - Es folgte ein lauter Rülpser.

      Alex zog an einer kleinen, pinken Papierecke. Es war eine außergewöhnlich geschmacklose Visitenkarte, die sie plötzlich zwischen den Fingern hielt. Sie war grell pink mit einem Glitzerrand und den Worten ‹Madame Destiny - Professionelles

       Zukunftsauswahlconsulting› in großen, grünen Buchstaben darauf. Was zur Hölle sollte denn das sein? Geistesabwesend steckte sie dieses Meisterwerk der Hässlichkeit in ihre Hosentasche. Als der Barista ihre fertige Bestellung aufrief, hätte sie ihn fast nicht gehört, denn in dem Podcast unterhielten sich die drei Moderatoren gerade über den neuen ‹Star Wars› Teil. Alex liebte ‹Star

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