Swanns Vergeltung. Shira Anthony
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»Ja. Aber das ist lange her.« Dan seufzte und schüttelte den Kopf. »In einem anderen Leben.«
»Verstehe.« Graham warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Er musste dieses Gespräch bald beenden, wenn er Haltung bewahren wollte.
Glücklicherweise nahm Dan den Wink zur Kenntnis und erhob sich. »Ich halte dich wahrscheinlich von etwas Wichtigem ab. Wir können uns sicher später unterhalten.«
»Meine Assistentin blockt uns morgen früh ein paar Stunden, damit wir die Strategie besprechen können.« Graham lächelte und fügte hinzu: »Schön, dich an Bord zu haben.«
»Danke nochmals.«
Graham sah Dan nach und hatte große Mühe, sein Unbehagen zu verbergen. Als Dan die Tür hinter sich schloss, ließ Graham den angehaltenen Atem entweichen. Wie hatte ihm das bisher entgehen können?
Der unbesiegbare Danny Parker. North Carolina All-State Quarterback des Jahres. Ein Vollstipendium an der Carolina. NCAA All-America Quarterback. Sicherer Kandidat für die Profiliga, bis er sich im letzten Collegejahr das vordere Kreuzband gerissen hatte und Football aufgeben musste.
Graham dachte, er hätte vergessen, wie es sich anfühlte, im Schlamm zu sitzen, während das halbe Footballteam ihn auslachte, aber da hatte er sich geirrt. Die Erinnerungen kamen mit Macht zurück und brachten den fünfzehn Jahre alten Schmerz und die Erniedrigung mit sich.
Am Tag darauf hatte Graham das Orchester verlassen. Im Juni heiratete seine Mutter zum zweiten Mal, sie zogen nach Memphis und er nahm den Namen seines Stiefvaters an. Im letzten Collegejahr wuchs er fast zwanzig Zentimeter und ließ die Highschool und seine Vergangenheit als Pummelchen hinter sich. Am College stellte sich heraus, dass er gar kein Asthma hatte – er war nur allergisch gegen den Schimmel in ihrer Wohnung in Carletonville gewesen. Er begann mit Krafttraining, sein Zimmergenosse zeigte ihm, wie man Racquetball spielte, und er joggte regelmäßig. So brachte er sich in Form. Dann imitierte er den Kleidungsstil der beliebten Studenten, wurde an einer großartigen Jurafakultät angenommen und sah nie wieder zurück.
Jimmy Zebulon, der pummelige Junge mit dem pickelübersäten Gesicht, hatte Carletonville vor fünfzehn Jahren verlassen und war nie zurückgekehrt. Jimmy hatte sich ein neues Leben aufgebaut und die Erinnerungen und die Schande aus seinem Gedächtnis verbannt. Es war ihm prächtig ergangen.
Bis jetzt.
Dieses Kind bist du nicht mehr. Dieser Junge würde er nie wieder sein. Er würde es klaglos durchstehen und seinen Job machen. Wie er es von den Leuten erwartete, die er einstellte. Falls Dan Parker so gut war, wie Terri behauptete, würde er kein Problem damit haben, mit ihm zusammenzuarbeiten. Dan musste nie von dem erbärmlichen Jungen erfahren, der Danny für etwas Besonderes gehalten hatte. Denn Daniel Parker war nichts Besonderes. Er war nur ein weiterer Highschoolsuperstar, aus dem ein ganz normaler Kerl mit einem ganz normalen Job geworden war.
Genauso normal wie der Rest von uns.
Graham griff nach der Wasserflasche auf seinem Schreibtisch und trank sie mit ein paar Schlucken halb aus. Entspann dich. Denk nicht mehr dran. Trotzdem zitterten seine Hände.
Verdammt. Nicht nur waren er und Dan fast miteinander im Bett gelandet – er hatte gerade den Typen eingestellt, der im Mittelpunkt des schlimmsten Jahres seines Lebens gestanden hatte! Das war das Jahr gewesen, in dem er festgestellt hatte, dass er schwul war. In dem er sich zum ersten Mal verliebt hatte. Und das er gerade erst begonnen hatte, aus seinem Gedächtnis zu löschen.
Das Jahr, in dem James Graham Zebulon aufgehört hatte zu existieren und in dem J. Graham Swann geboren worden war.
Kapitel 5
Dan atmete tief durch und klopfte an Grahams Tür. Nach dem lausigen Eindruck, den er am Vortag durch seine Verspätung hinterlassen hatte, hatte er ehrlich nicht erwartet, dass Graham ihm einen warmherzigen Empfang bereiten würde. Mit Grahams kaltem, äußerst beherrschtem Auftreten hatte er trotzdem nicht gerechnet. Er hatte angenommen, ein Freund von Terri wäre genau so offen und herzlich wie sie.
»Komm rein.« Grahams befehlsgewohnte Baritonstimme klang geschäftsmäßig.
Statt dass Graham langsam auftaute, wie Terri versprochen hatte, erinnerte sein Benehmen eher an einen Winter in Minnesota. Dans Eindruck von Grahams Büro war derselbe wie am Tag zuvor: Supermans Festung der Einsamkeit, ausgestattet mit Leder und Chrom. Niveauvoll, ohne etwas über Graham preiszugeben. Auf dem Schreibtisch standen keine Familienfotos. Nichts, was auch nur im Entferntesten persönlich war. Sogar die Kunstwerke an den Wänden wirkten kalt.
Graham sah auch gut genug aus, um Superman spielen zu können. Und was für einen Unterschied macht das? Dan hatte niemals vorgehabt, sich mit dem Chef einzulassen. Und nachdem er Graham auf dem Parkdeck hängen gelassen hatte, würde es zu dem, wozu es vielleicht gekommen wäre, todsicher nicht mehr kommen.
»Findet unsere Besprechung immer noch statt?« Dan trat ein.
»Warum sollte sie das nicht?« Abgesehen von der hochgezogenen Augenbraue war Grahams Gesicht ausdruckslos.
So viel zum Thema, einem den Einstieg zu erleichtern. Dan bedachte Graham mit einem Lächeln, das nicht erwidert wurde. Erfahren, wie er war, brauchte er keine Streicheleinheiten. Mit Anwälten wie Graham hatte er in New York oft genug zu tun gehabt. Er hatte gehofft, in North Carolina wären die Dinge vielleicht anders, aber er konnte damit umgehen.
Graham nahm einen Aktenstapel von seinem Schreibtisch und nickte zu dem runden Tisch am Fenster hinüber. »Setz dich.«
»Danke.« Dan nahm Platz.
Graham platzierte die Akten mitten auf dem Tisch und gesellte sich zu ihm. »Benson gegen Crane, Ltd.«, eröffnete er ohne lange Vorrede. »Altersdiskriminierung. Berufung auf den Schutz des Whistleblowers. Flugzeugteilehersteller. Unser Klient ist neunundfünfzig. Das Unternehmen hat finanzielle Probleme. Der Klient behauptet, er hätte seine Sicherheitsbedenken dem Manager mitgeteilt und nichts wäre passiert.«
»Also hat er es eskaliert?«
»Woraufhin sie ihn gefeuert haben«, erklärte Graham. »Er verfügt über eine Menge Aufzeichnungen. Gespräche mit der Geschäftsleitung und der Personalabteilung. Alles dokumentiert.« Grahams Stimme vibrierte vor Leidenschaft.
»Vergleich?«
»Daran arbeite ich, aber ich könnte etwas frisches Blut gebrauchen. Einen anderen Ansatz. Sie mauern.«
Dan war erleichtert, das zu hören. Wenn Graham sich seiner Grenzen bewusst war, gab es vielleicht doch Hoffnung für ihre Zusammenarbeit. Sie könnten es abwechselnd angehen. »Wie lautet das aktuellste Angebot?«
»Fünfzigtausend. Und das nach einem Startangebot von sage und schreibe zehntausend. Wir wollen Schadensersatz in Höhe von fünfhunderttausend plus Lohnnachzahlung. Davon möchte ich mindestens die Hälfte für den Klienten erzielen.« Graham tippte auf eine Akte, die mit Korrespondenz beschriftet war.
»Sie warten ab, wer zuerst blinzelt.«
»Ich hatte schon mit diesem Anwalt zu tun.« Graham nickte kurz. »Über ihn liegen mehr Anwaltsbeschwerden vor, als ich an beiden Händen abzählen könnte. Er kann sich immer herauswinden.«
»Was ist sein Ansatz?«
Grahams