Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

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Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

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kehrte lieber zur Posse zurück. Jene begriffen nicht, daß man kämpfen und es leichtnehmen konnte. Sie wurden schwerfällig ernst und brüllten „Schlag ihn tot!“ — während er selbst sich am Spiel begeisterte.

      Er war kleiner als die meisten Gleichalterigen, hatte eine braune Hautfarbe bei dunkelblonden Haaren, sein Gesicht und seine Augen waren beweglicher als die ihren, seine Einfälle kamen schneller. Manchmal standen alle um ihn her und bestaunten ihn als etwas Fremdes, einen Tanzbär oder Affen.

      Bei aller Begeisterung, in die seine Phantasie ihn versetzte, konnte er plötzlich die Wahrheit erkennen; sie sahen einander fragend an, sie hatten nicht verstanden, was er redete, es war zu sehr gefärbt von seiner heimatlichen Sprache. Die beiden anderen Henris brachten heraus, daß er dem Wort Löffel einen falschen Artikel gab, aber sie sagten es ihm nicht, sondern machten den Fehler jetzt selbst, sooft er dabei war. Er fühlte wohl, daß sie irgend etwas gemein und vor ihm voraus hatten. In dieser Zeit träumte er; wovon doch? Am Morgen war es vergessen. Erst als ihm klar wurde, daß er Heimweh, schreckliches und wildes Heimweh litt, da wußte er auch, was jeder Traum ihm zeigte: die Pyrenäen.

      Als der Vater starb

      Er sah sie grün bewaldet bis in den Himmel, seine Füße trugen den Schlafenden hinan wie der Wind, und oben war er so groß wie sie, so groß wie die Berge. Er konnte sich hinabneigen bis zu dem Schloß von Pau und seine liebe Mutter auf den Mund küssen. Vom Heimweh erkrankte er wieder, wie vorher wegen der Messe. Man hielt es zuerst für die Blattern, die waren es nicht. Sein Vater hatte ihn damals auf das Land gebracht, denn Antoine von Bourbon zog wieder einmal ins Feld, und sein kleiner Sohn sollte nicht allein in Paris bleiben. Henri fürchtete die Verlassenheit auf dem Lande nicht weniger, er erflehte vom Vater, daß er ihn mitnehmen möge in das Lager. Das tat Antoine schon darum nicht, weil er dort eine Geliebte hatte.

      Als er fortritt, begleitete Henri ihn eine Strecke weit auf seinem Pferd. Er konnte sich nicht trennen, er liebte wie nie vorher diesen schönen Mann in Bart und Waffen, das war sein Vater, noch blieb er ihm, bis an den Kreuzweg noch, bis zu dem Bach! „Ich bin schneller als du, willst du wetten? Ich weiß eine Abkürzung, hinter dem Wald hast du mich auf einmal wieder neben dir!“ Das trieb er, bis der Vater ihn im Zorn nach Hause schickte. Aber kaum sechs Wochen, und Antoine war tot. Das Laub der Bäume vertrocknete, und ein Bote kam zu seinem Sohn, der König von Navarra sei gefallen.

      Der Prinz, sein Sohn, wollte aufschreien, plötzlich unterdrückte er alle Tränen und fragte:

      „Ist es wahr?“

      Denn er hielt es jetzt schon für die Regel, daß man log und ihm Fallen stellte.

      „Erzähle mal, wie es zuging!“

      Zweifelnd hörte er die Geschichte von dem Laufgraben, wohin der König sich sein Essen bringen ließ. Der Page, der ihm einschenkte, war schon von einem Geschoß verwundet worden. Einen Hauptmann gleich daneben traf ein anderes tödlich, der stand ungedeckt und verrichtete sein Bedürfnis. Stellt der König sich auf denselben Fleck! Wie sollte es anders kommen? Noch eine Kugel schlug dort ein, und das war, als der König pißte.

      Hier ließ endlich Henri seine Tränen fließen. Er hatte die Wahrheit erkannt an dem unbesorgten Mut seines Vaters. Ihn brannte der Schmerz, daß er selbst hatte fern sein müssen, nicht hatte teilhaben dürfen an der Schlacht und der Gefahr, wie dieser Diener, den sein Vater geliebt hatte.

      „Raphael!“ schrie er ihn an. „Liebte der König mich?“

      „Als er seiner Verwundung erlag, es war auf dem Schiff, das ihn nach Paris führen sollte —“

      „Wer war bei ihm? Ich will es wissen!“

      Der Diener antwortete nicht. Die Geliebte, in deren Armen Antoine gestorben war, verschwieg er.

      „Ich war mit ihm allein“, versicherte er. „Als mein Herr das Ende kommen fühlte, neun Uhr abends, faßte er mir in den Bart und sagte: „Dien meinem Sohne gut, und mög er gut dem König dienen!“

      Henri sah dies vor sich, daher hörte er auf zu weinen und griff selbst in den Bart des Mannes. Er fühlte, daß es nichts Schöneres geben könnte, als so brav wie sein Vater Antoine zu sterben für den König von Frankreich.

      Das Andenken an seinen Vater bestimmte die beiden nächsten Jahre des Knaben. Solange sah er seine Mutter nicht wieder. Jeanne wurde die ganze Zeit schwer bedroht vom General Montluc; das war der Druck, unter dem Madame Catherine erreichte, daß sich mit ihr leben ließ. Darauf verstand sich Madame Catherine, denn sie kannte nicht die Leidenschaft zu hassen wie Jeanne d’Albret; sie handelte einfach nach den Umständen. Das Haus Guise blieb ihr stärkster Feind, während die Protestanten zeitweilig unterlegen waren. Um so eher könnte sie sich ihrer bedienen, vor allem ihrer geistigen Führerin. Alles wohl überlegt, entschied Madame Catherine wie folgt.

      Der junge Prinz von Navarra wurde, wie sein Vater es gewesen war, Gouverneur der Provinz Guyenne, auch Admiral wurde er, und hundert Leibwächter bekam er, mußte aber bei Hof bleiben. Sein Stellvertreter dort im Süden, der hieß natürlich Montluc, kein anderer als der, über den Jeanne sich so heftig beschwerte. Dafür durfte sie ihren Henri erziehen wie sie wollte, obwohl sie selbst nicht zugegen war. Sofort gab sie ihm als Lehrer seinen alten biederen La Gaucherie zurück, die oberste Leitung des Prinzen lag in den Händen des schlauen Beauvois, und zur Messe wurde nicht mehr gegangen. Henri war wieder Protestant, es regte ihn schon nicht mehr auf.

      Er sagte sich: ,Ich bin katholisch geboren, meine liebe Mutter hat mich zum Hugenotten gemacht, und das will ich auch bleiben, obwohl mein Vater mich schon wieder zur Messe geschickt hatte, oder eigentlich war es Madame Catherine, und die Ordensritter küßten mich. Wenn ich jetzt mit denen von der Religion im Felde stände, wie es mir zukäme‘ — und dem Knaben schlug das Herz —, ,dann würden sie mich nicht mehr küssen. Vielmehr müßte ich sie darum bitten, denn sie könnten uns besiegen, und darauf wäre ich wieder katholisch. So ist die Welt.‘

      Noch höher sprang sein Herz. ,Nein!‘ dachte er. ,Siegen oder sterben!‘ Diesen Spruch, aut vincere aut mori, schrieb er auch auf einen Zettel, für eine Lotterie, und Madame Catherine fragte ihn, was das bedeutete. Da sagte er, den Sinn der Worte kenne er nicht.

      Der merkwürdige Besuch

      Im elften Jahr war Henri, als er mitgenommen wurde auf die große Reise des Königs Karl des Neunten durch Frankreich. Die Königinmutter Katharina fand, daß das ganze Königreich ihren Sohn endlich zu sehen bekommen müßte, und auch der erste Prinz vom Geblüt, der Henri von Navarra war, müßte in seinem Gefolge überall gezeigt werden, ein Protestant und doch nur ein Vasall. Wer durchkreuzte wieder einmal die Pläne der klugen Dicken? Oder glaubte wenigstens sie zu durchkreuzen? Jeanne d’Albret; plötzlich erschien sie. In eine Stadt, wo der Hof sich grade aufhielt, zog sie ein, wie eine selbständige Fürstin, mit dreihundert Reitern und nicht weniger als acht Pastoren.

      Sofort überfiel sie Madame Catherine mit lauter unbefriedigten und stürmischen Forderungen. Sie ließ sich nur die Zeit, mit ihrem Sohn zu beten. Ihren Sohn hatte sie ihrer guten Freundin überlassen als Pfand der Verständigung; statt dessen verbot Monluc in Béarn das Predigen, und etwas noch Schlimmeres sollte bevorstehen, eine Zusammenkunft Katharinas mit Philipp dem Zweiten von Spanien, dem Dämon des Südens und Erzfeind der Religion. Jeanne verlangte die Wahrheit, Jeanne forderte ihr Recht.

      Niemand konnte Verträge gleichgültiger finden als Katharina, sobald sie keinen Nutzen mehr brachten. Sie lachte nach ihrer Art in sich hinein. ,Meine gute Freundin, jetzt sind Sie

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