Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

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Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

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gehabt, auch rote Augen und eine triefende Nase, dann wäre das Ganze noch zu verstehen gewesen. So aber stand ein kleiner Knabe allein vor der unsicheren, unerklärlichen Welt, und er selbst sollte nächstens den Fuß darauf setzen!

      Er kam in das „Collegium Navarra“, die vornehmste Schule von Paris, auch der Bruder des Königs, der Monsieur genannt wurde, und ein gleichalteriger Guise besuchten sie. Beide hießen mit Vornamen wie der Prinz von Navarra, zusammen waren sie „die drei Henris“.

      „Ich war wieder nicht in der Messe“, sagte der Prinz von Navarra voll Stolz zu den beiden anderen, als sie allein einander trafen.

      „Du hattest dich versteckt.“

      „Erzählen sie das? Dann lügen sie. Ich habe ihnen laut meine Meinung gesagt, und sie haben sich vor mir gefürchtet.“

      „Fein! Mach nur so weiter“, rieten sie, und er in seinem Eifer merkte noch gar nicht, daß sie es mit ihm nicht ehrlich meinten. Er schlug vor: „Wir wollen uns wieder wie damals verkleiden, Bischofsmützen aufsetzen und auf Eseln reiten.“

      Zum Schein gingen sie darauf ein, verrieten ihn aber den geistlichen Lehrern, und das nächste Mal bekam er Schläge, bis er sich in die Kapelle mitnehmen ließ. Hierbei blieb es vorerst, denn er wurde krank, weil er es sich gewünscht hatte und es sein wollte.

      An seinem Bett saß während dieser Zeit ein Mann, der einzige, den seine Mutter bei ihm zurückgelassen hatte. Dieser Beauvois hatte es eilig, zu den Feinden seiner Herrin überzugehen, und Henri bemerkte, daß er die Peitschenhiebe, die er bekam, nicht nur seinen Freunden, den jungen Prinzen verdankte; auch der Spion verriet ihn.

      „Gehen Sie fort, Beauvois, ich will Sie nicht sehen!“

      „Wollen Sie auch einen Brief Ihrer Mutter, der Königin, nicht lesen?“

      Da erfuhr der Knabe zu seinem großen Erstaunen, daß seine liebe Mutter den Verräter ihres Dankes und ihrer Zufriedenheit versicherte, weil er ihr alles berichtete, was hier geschah. „Bestärken Sie meinen Sohn in seinem Widerstand und erhalten Sie ihn bei der Religion! Sie tun recht, daß Sie ihn manchmal dem Rektor anzeigen, so daß er die Peitsche bekommt. Dies Opfer muß er bringen, nur dadurch können Sie in seiner Nähe bleiben, und ich kann durch Sie meinen lieben Sohn wissen lassen, was ich unternehme.“

      Hierauf folgte noch vieles, aber Henri mußte sich zuerst den Mann neben seinem Bett ansehen; er meinte etwas Ähnlichem nie begegnet zu sein, dabei saß dort nur ein ziemlich beleibter Herr mit breitem Gesicht und eingedrückter Nase. Man erkannte auch, daß er viel trank; etwas Besonderes hätte Henri bei ihm nicht vermutet. Jetzt enthüllte er sich voll von Schlichen, ein krummes Wesen, obwohl so bieder anzusehen, und doch ein treuer Diener!

      Der Herr von Beauvois las in der Miene des Prinzen von Navarra besser, als dieser in der seinen. Er sagte mit milder Stimme, während seine glanzlosen Augen sich belebten:

      „Es ist nicht nötig, allen zu sagen, wer man ist.“

      „Und das wissen Sie wohl selbst nicht“, erwiderte ganz schnell der Achtjährige.

      „Es kommt immer nur darauf an, sich zu halten, wo man sein will“, sagte der alternde Mann.

      „Das merke ich mir“, begann Henri und dachte weiterzusprechen:, Aber Ihnen werde ich nie mehr trauen.‘ Dazu kam er indes nicht, Beauvois hatte ihm plötzlich den Brief seiner Mutter fortgenommen — ein unheimlich geschickter, unsichtbarer Griff; er ließ das Papier verschwinden. Schon sagte er ganz verändert:

      „Morgen werden Sie aufstehn und freiwillig zur Messe gehn. Ich rate es Ihnen, denn Sie sind schwach und würden die Peitsche schlecht vertragen, aber was verdienen Sie anderes, wenn Sie nicht gehorchen.“

      Er drückte sich so weitläufig aus, daß Henri endlich doch die schleichenden Schritte hörte, bei der Tür hinter seinem Bett. Er wandte den Kopf nicht, aber er tat, als ob er weinte; damit ließen sie die Zeit vergehen, bis der Aufseher fort war. Dann teilte der Vertraute ihm den übrigen Inhalt des Briefes mit, flüsternd und eilig, bevor wieder jemand dazwischen käme.

      Jeanne d’Albret unternahm nicht mehr und nicht weniger als den offenen und allgemeinen Bürgerkrieg. Sie schonte ihren Gatten nicht länger und daher niemand mehr. Sie brauchte Leute und Geld für ihren Schwager Condé, einen großen Herrn, der seine eigene Macht mit der Religion verwechselte, aber das war ihr gleich, er sollte das protestantische Heer führen. In der Grafschaft Vendôme, wohin sie verbannt war, ließ sie Kirchen plündern. Sie empfing sogar Geld aus der Schändung von Gräbern, und es waren Gräber von Verwandten ihres Mannes! Nichts schreckte sie ab, nichts blieb bestehn, außer ihrem Willen.

      Dies alles hörte ihr Sohn mit ihrer Stimme, an seinem Ohr sprach ihr Mund leidenschaftlich, obwohl es nur das überstürzte Geflüster eines fremden Menschen war. Henri sprang aus dem Bett und war gesund. Fortan ertrug er wieder alle Leiden, wenn sie ihn nur vor dem Gang zur Messe bewahrten. Oft vergaß er alles, wurde fröhlich, wie er von Natur war, und balgte sich lärmend mit den anderen Jungen, sah die hohen dunklen Mauern des Schulhofes nicht mehr, war frei und war der Sieger. Er glaubte im Ernst, bald würden seine Feinde ihn angehen und demütig bitten um Fürsprache bei seiner lieben Mutter, sie möchte ihnen verzeihn.

      Es kam anders. Jeanne verlor und mußte flüchten, aber ihr Sohn wartete das Ende nicht erst ab. Am ersten Juni gab er nach, seit März hatte er sich gehalten. Sein Vater selbst führte ihn zur Messe, ihm schwur Henri, rechtgläubig zu bleiben, und erwachsene Ordensritter küßten ihn als ihren Mitstreiter, darauf war er trotz allem stolz. Wenige Tage später brach seine liebe Mutter eilig auf; Beauvois berichtete es ihm vorwurfsvoll,obwohl er ihm selbst geraten hatte, noch vor dem Zusammenbruch des Unternehmens den rechten Glauben anzunehmen. Aus einer Gegend nördlich der Loire entwich sie ihren Feinden nach Süden bis in ihr Land, immer in Gefahr, gefangen zu werden von dem General Montluc, den Katharina ihr nachschickte.

      Wie sehr in Angst begleitete das Herz ihres Sohnes sie auf ihrer Reise! Er war ihr ungehorsam geworden und hatte sie verraten, kam ihr ganzes Unglück nicht daher? Ihr wagte er nicht zu schreiben, einem ihrer Herren schickte er Briefe, die Schreie der Verwirrung und des Schmerzes waren: „Larchant, ich hab so große Furcht, daß der Königin, meiner Mutter, etwas Übles zustößt!“

      Das war am Tage; aber in der Nacht schläft ein Kind und träumt vom Spiel. Sogar unter den Stunden des Tages waren doch immer mehrere, die ihn alles vergessen ließen, das Unglück und seine eigene geringe Bedeutung in der Welt. Dann tat er etwas, woran niemand und keine Verkettung ihn hinderten, er setzte einem im Spiel besiegten Jungen das Knie auf die Brust. Hierauf lachte er ihn aus und ließ ihn laufen. Das war falsch, die Bestraften sind weniger gehässig als die Verschonten; aber das sollte Henri niemals ganz begreifen.

      Er war nicht grade beliebt bei seinesgleichen, obwohl er beides bei ihnen erreichte, Furcht und Lachen. Ihm lag an ihrer Achtung und daneben an der Wirkung seiner Späße, wobei er niemals bemerkte, daß sie ihn nicht mehr achteten, wenn sie lachten. Er machte ihnen einen Hund vor oder nach ihrem Belieben einen Schweizer oder Deutschen; denn der innere Krieg führte die fremden Landsknechte nach Paris, er hatte sie gesehn. Einst rief er aus: „Cäsar wurde ermordet!“ Zu Henri Monsieur sagte er: „Sie sollen Cäsar sein.“ Zu Henri Guise: „Und wir die Mörder.“ Er kroch am Boden, um seinem Genossen zu zeigen, wie man sich an ein Opfer heranschleicht. Dieses wurde vom Entsetzen gepackt, es schrie und flüchtete, aber die beiden Verfolger waren schon über ihm.

      „Was machst du denn?“ fragte plötzlich der Sohn Jeannes. „Du tust ihm weh.“

      „Wie soll ich ihn sonst ermorden?“ erwiderte Guise. Indessen

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