Die Jugend des Königs Henri Quatre. Heinrich Mann

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Die Jugend des Königs Henri Quatre - Heinrich Mann

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sie wissen lassen, bevor er seine Gesandten auf die andere Seite der Pyrenäen schickte, müßte die Königin von Navarra aus der Gegend verschwinden. Daher erreichte Jeanne nichts weiter als etwas Geld zum Leben für ihre Reiter und Pastoren, damit mußte sie sich wieder in die Grafschaft Vendôme zurückziehen, wie vor zwei Jahren. Die Reise des Hofes aber ging nach Süden.

      Jeanne verzieh es sich nicht, daß sie in eine Falle geraten war. Ihr Sohn schlief eines Nachts zu ebener Erde im Gasthof eines Ortes, dessen Schloß zu klein gewesen war für die ganze Gesellschaft. Plötzlich sprang er auf. Glas hatte geklirrt, und jemand war auf den Fußboden gefallen. Henri stürzte sich mit aller Kraft auf den Mann, solange er noch lag, und rief dabei laut um Hilfe. Lichter und Leute erschienen, der Mann wurde übel zugerichtet. Als Henri ihn sehen konnte, erkannte er ihn und schwieg bestürzt. Auf einmal verstand er, wer ihn geschickt hatte, und wozu. Aber er hütete sich, irgend jemandem einzugestehen, daß seine liebe Mutter ihn hatte entführen lassen wollen. Auch sein Erzieher Beauvois verriet sich nie. Beide blickten einander manchmal traurig an, der Ältere schüttelte den Kopf, indessen der Knabe ihn senkte.

      Ein Ort in der Provence heißt Salon, dort wohnte damals ein merkwürdiger Mann, und Henri von Navarra lernte ihn kennen. Es war früh am Morgen; der Elfjährige stand nackt im Zimmer, grade sollte der Diener ihm sein Hemd reichen, da trat Beauvois ein und mit ihm dieser Mann. ,Was will Beauvois‘, denkt Henri. ,Ist das ein Arzt? Ich bin nicht krank.‘

      Indessen fragt der Mann: „Wo ist der Prinz?“ Hält fünf Schritte vor ihm und sieht ihn nicht, obwohl er ganz nackt ist! Beauvois beantwortet die Frage nicht, sondern wartet aufmerksam — scheu, hätte man gesagt, wenn Beauvois scheu sein könnte. Der Diener seinerseits verzieht sich in eine Ecke und nimmt das Hemd mit. Der Knabe fühlt sich sonderbar allein, entkleidet, vollkommen sichtbar, auch die Fehler, auch das Schlechte. Er beginnt zu fürchten, das Ereignis werde darauf hinauslaufen, daß er die Peitsche bekommt. O alter Mann, so hager, eisengrau von Haaren und die Wangen hohl, so sieh mich endlich und dann geh wieder!

      Längst hält der Mann ihn im Auge, durchforscht die Gestalt und das kleine Menschengesicht; das weiß nur niemand, sein eigener Blick ist verhängt und kommt von weiter her als aus fünf Schritten Abstand. Außerdem lenkt er ab, durch unbegründete Bewegungen, springt zurück, vor, stößt Beauvois an, murmelt Entschuldigungen, hört überhaupt nicht auf zu murmeln, viel zu spät aber fällt ihm ein, sich zu verbeugen. Er schwenkt dabei seinen großen Hut, und aus Ungeschicklichkeit schleudert er ihn fort, dem Prinzen vor die Füße. Hier tut Henri etwas, das nicht seinem Rang entspricht. Er weiß nicht warum, er hebt den Hut auf und bringt ihn dem Mann, einem Mann, der höchstens ein Arzt, aber für einen Arzt zu ungeschickt ist.

      Da stehen sie nahe voreinander, der Hagere sieht hinunter, der Kleine erhebt angestrengt das Gesicht — umsonst; der unfaßbare Blick dieser Erscheinung zieht einen Vorhang bis über seine Wangen und den Hals, übrig bleibt das Gerüst ohne Kopf, ein Schleier statt des Kopfes. Der Knabe fürchtet sich, und nicht mehr vor Prügeln.

      Der Mann hat aufgehört zu murmeln, er denkt: ,Was sage ich?‘ Er fühlt: ,Dies ist ein Kind. Es ist das Unerfüllte, Grenzenlose, es hat, so schwach es ist, mehr Macht und Gewalt als alle, die schon gelebt haben. Es verspricht Leben und ist daher groß. Es ist das allein Große. Welch ein tapferes Gesicht!‘ sieht er, als Henri grade am meisten Furcht hat.

      „Er ist es!“ spricht er laut und wendet sich zu Beauvois, der geduldig wartet. „Wenn Gott Ihnen die Gnade erweist, so lange zu leben, werden Sie als Herrn einen König von Frankreich und Navarra haben.“

      Das ist alles, was er laut spricht — versucht nicht noch einmal, sich zu verbeugen, geht schon aus der Tür. Der Herr von Beauvois öffnet sie ihm.

      „Ich danke Ihnen“, sagt er. „Auf Wiedersehen, Herr Nostradamus.“

      Henri aber fühlt: Das ist keiner von denen; die man wiedersieht. Grade darum wird er die Erscheinung im Gedächtnis bewahren.

      Die Zusammenkunft

      Außerdem aber drangen in jenen Tagen Gerüchte und Voransagen auf ihn ein; es war unmöglich, zu vergessen, was damals geschah. Wo der Prinz von Navarra immer hinkam mit seinen protestantischen Begleitern, begrüßten die von der Religion ihn mit ungewohnter Heimlichkeit und bestürzten Gesichtern.

      „Reisen Sie nicht weiter, Herr. Bleiben Sie in unserer Mitte, wir werden eher alle sterben, als daß wir Sie unseren Feinden überlassen.“ Ähnliches hörte er überall.

      Ein weißhaariger Hugenotte, der sich von seinen Enkeln hatte herbeitragen lassen, erhob seine zitternde Hand zum Segen und sprach aus tiefer alter Brust:

      „Ich lobe Gott, daß ich Sie gesehen habe. Nachdem wir alle ausgerottet sind, werden Sie, Herr, uns rächen und die Religion zum Siege führen.“

      Dann folgten von allen Seiten die bekannten Beschwörungen, er möge sich der Weiterreise um des Himmels willen entziehen.

      Nachher erwiderte Beauvois auf die Fragen Henris:

      „Lassen Sie sich nicht erschrecken! Mögen diese Leute sich fürchten; das wird sie eifriger im Glauben machen. Sie sehen das Schlimmste voraus, weil die Königinmutter nächstens mit den Spaniern zusammenkommen soll. Wir aber kennen doch Madame Catherine. Die List liegt ihr näher als ein großes Gemetzel.“

      „Wenn aber der Teufel aus Spanien es ihr befiehlt?“ bemerkte Henri, ohne auch nur eine Antwort zu erwarten, so gewiß war er der habsburgischen Todfeindschaft und sollte es immer bleiben.

      Beauvois versuchte dem Knaben zu erklären, daß Katharina vielleicht nichts weiter vorhabe, als sich vor der katholischen Weltmacht zu rechtfertigen, dafür, daß sie ihren eigenen Protestanten nicht immer nur Heere entgegenschickte, sondern sie manchmal durch Nachgiebigkeit zu fangen versuchte. Im schlimmsten Fall konnte sie Philipp um Hilfe bitten, weil ihre reformierten Untertanen nicht anders zu bändigen waren.

      Umsonst, Erwägungen drangen nicht bis in das Innere Henris, seine Phantasie erfüllte es ganz mit Bildern. Sie wurde in ununterbrochener Bewegung erhalten durch das Geraune um ihn her, die Mienen der Sorge und die ahnungsvollen Stimmen, die seine Reise begleiteten. Am Ziel — mußte eintreten, wessen er voll war. Er wußte nicht was, aber das Unbekannte stand bevor, und kam es nicht wirklich, dann war er dennoch bereit, es zu sehen und zu hören.

      So erreichte er, im Gefolge der Größeren, die Stadt Bayonne, ganz nahe dem Lande Béarn, seiner Heimat. Hier hatte er sich auf alles gefaßt zu machen, dies war der Ort, grade dieser, an dem er mit Vater und Mutter von klein auf zu Hause gewesen war. Sanft wie die von je bekannten Laute seines Namens zog hindurch der Fluß Adour, und was im dunkelblauen Himmel zerging vor lauter Licht, jene Gipfel waren seine Berge, die Pyrenäen. Henri, der nach ihnen Sehnsucht gelitten hatte, dachte jetzt nicht ein einziges Mal daran, in sie zu flüchten.

      Als die Spanier endlich ankamen, war es eine junge Frau, Elisabeth von Frankreich, Königin von Spanien, die eigene Tochter Katharinas, und als der höchste ihrer Begleiter der Herzog von Alba. Mit ihm unter vier Augen führte Madame Catherine ihr wichtigstes Gespräch.

      Der Saal war von außen bewacht. Als erste erschien die alte Königin, sie ging die Fensterseite ab und hob alle Vorhänge auf. Gegenüber hingen an der Wand nur Bilder. Dann setzte sie sich in einen hohen graden Sessel, mit dem Blick auf die Tür. Hinter ihr war der Kamin. Grüne Zweige füllten seine große Öffnung aus; es war Mitte Juni.

      Der Herzog von Alba trat ein, den Kopf aufgereckt aus seiner steif en Krause. Er beugte ihn nicht und nahm den Hut nicht ab. Er bog beim Schreiten die Knie so wenig wie möglich; sein Gesicht war unjung,

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