Nach mir komm ich. Will Berthold
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»Aber Weihnachten ist öfter«, albert der Gastgeber. »Du bleibst noch lange auf Taschengeld gesetzt. Dein Erzeuger hält sich noch ziemlich flott auf den Beinen. Geduld, Patrick, eines Tages wirst du an die große Kohle rankommen.«
»Und dann heißt’s teilen«, prophezeit Schampi hämisch. Der einzige Sproß einer Großbrauerei führt den Spitznamen wegen seiner Vorliebe für das Nobelgetränk. »Mindestens die Hälfte für die schwarze Iris, deine Stiefmutter, die Schönheitskönigin, und je einen Löwenanteil an Schwester und Bruder sowie an die vier Geschiedenen.«
»Die sind doch längst abgefunden«, unterbricht Patrick verärgert. »Außerdem sind es nur drei«, korrigiert er. »Eine ist gestorben.«
»Ich hab ’ne Patentlösung für dich, Patrick«, lästert der junge Grams. »Sieh zu, daß du den Alten irgendwie um die Ecke bringst und heirate deine Stiefmutter.«
»Ganz schön geschmacklos«, versucht der Gefoppte das wiehernde Gelächter zu übertönen. Er hat zuviel getrunken. Alles dreht sich ihm vor den Augen wie ein Karussell – die Mädchen, die Kumpane, der Tisch. Er spürt, wie ihm der Schampus hochkommt, und stemmt sich dagegen, schluckt und rülpst.
»Dann«, lästert Ferry weiter, »kannst du uns alle einladen.« Er droht an seinem Lachen zu ersticken. »Zur Hochzeit.«
»Halt sofort die Klappe, oder ich polier dir die Fresse, Ferry!« Der Verspottete rafft sich auf und verläßt den Raum, um draußen frische Luft zu schnappen. Er lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und fragt sich, warum er nicht endlich nach Hause geht. Er findet keine Antwort, und so versäumt er den Absprung.
»Patrick versteht keinen Spaß, wenn es um seine schöne Stiefmama geht«, stellt die rote Daisy fest. »Manchmal glaube ich, er ist in sie verliebt.«
»Armer Hund«, erwidert Schampi. »Die läßt doch keinen an sich heran.«
»Zumindest in Ascona nicht – oder wenn der Alte in der Nähe ist«, behauptet Ferry, der Fachmann.
Sie kennen die junge Frau Kamossa von mehreren Partys, die sie nie ohne ihren Mann besucht. Iris flirtet gern, geht dabei aber nie zu weit. Wie alles, was sie nicht erreichen können, provoziert ihr Verhalten die jungen Taugenichtse.
»Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß sie auf die Dauer mit dem alten Haifisch zufrieden ist.«
»Das ist wie bei ’ner Nonne, die zu selten von ihrem Beichtvater besucht wird«, entgegnet Marion und löst eine Lachsalve aus.
»Die reizvolle Iris weiß genau, was sie will«, kommentiert Schampi. »Die wird doch nicht so doof sein und eine Weiß-Gott-wie-viele-Millionen-Erbschaft vervögeln. Sie ist noch jung, sie kann geduldig abwarten, bis der Alte abkratzt.«
»Zu lange«, versetzt Ferry. »Wißt ihr, was dieser alte Hurenbuck schon alles überlebt hat?«
Sie sehen, daß Patrick wieder zurückkommt, und wechseln das Thema.
»Die Rechnung, Vreni!« erinnert sie der junge Grams und zieht ein Bündel Scheine aus der Tasche. »Zahlt alles meine Scheißfirma.«
»Erstens ist es nicht deine Firma«, lästert Schampi. »Und sieh bloß zu, daß sie dir euer High-Tech-Unternehmen nicht unter dem Hintern verkaufen.«
»Bei dem Geschäft bin ich doch dabei, du Blödmann«, kontert Ferry. »Auf mich rollt jetzt die ganz große Penunze zu. Und als erstes kauf ich mir ein Riva-Boot mit 250 PS, und ihr schaut dann dumm in die Auspuffröhre …«
»Gratuliere«, sagt Marion, jetzt wieder zugeknöpft; sie ist die Favoritin des Verschwenders, besser gesagt, eine seiner Favoritinnen, denn sie ist klug genug, zurückzutreten, wenn sie vorübergehend von einer Rivalin ausgestochen wird, Lovestyle in Ascona. »Wie ich dich kenne, wirst du mit der Kohle ganz schnell fertig werden, Ferry.«
»Dann mußt du eine dieser reichen Witwen heiraten«, tröstet Schampi schadenfroh. »Zum Beispiel die Juwelen-Olga.«
»Oder dich erschießen«, revanchiert sich Patrick.
»Dann bin ich für Erschießen«, blödelt der Bankrotteur von morgen. »Aber das hat ja wohl noch Zeit.« Die Haare hängen ihm wirr in die schweißnasse Stirn; er ist stark angetrunken, doch selbst in diesem Zustand wirkt er noch attraktiv. Der schlanke Große gilt unter den Neo-Asconesern als der Platzhirsch. Jedenfalls geht er bei seiner Damenwahl nach der Strichliste vor. Dabei ist er bereits so tief unten angelangt wie das Guthaben auf seinem Bankkonto.
Er und seine Kumpane pflegen einen zynischen Umgangston; die jungen Gesichter wirken bereits alt und abgestanden. Die Lufthoheit über ihren Stammtischen hat der Frust, ein lediges Kind der Langeweile. Die Junioren gebärden sich, als stünden sie Modell für eine Gesellschaft, die einer einzigen Regel folgt: Nach mir komm ich.
Die Barmaid bringt das Wechselgeld.
»Schon gut, Vreni.« Grams schiebt es zurück.
»Du hast mir drei Scheine zuviel gegeben.«
»Mein Gott, bist du doof!« Ferry winkt die Deutschschweizerin ganz nahe an sich heran, nimmt die Banknoten vom Teller, rollt sie zusammen. »Hier«, sagt er und schiebt sie ihr ins Dekolleté. »Mach dir einen schönen Tag.«
»Dann – vielen Dank«, erwidert Vreni pikiert. Als Profi hinter der Theke versteht sie ihr Geschäft, aber es geht einfach gegen ihr schweizerisches Gewissen, Geld so zu verschwenden, selbst wenn es ihr zugute kommt.
Der Miterbe des verstorbenen Industriellen stützt sich schwer auf zwei Mädchen, als sie die Bar verlassen. Im ersten Moment droht ihn die frische Luft umzuwerfen, dann erwachen seine Lebensgeister wieder.
Die Lottergenossen lachen und lärmen in der engen Gasse.
»Und jetzt gehen wir zu mir«, fordert der Grams-Sohn mit lauter Stimme auf. »Und veranstalten ’ne richtige Schweineparty.« Er wendet sich an die vier Mädchen. »Aber alle müssen mitkommen. Keine Ausnahme.«
»Angeber!« bremst ihn Marion. »Du kannst doch kaum mehr stehen. Wie willst du denn noch bumsen?«
»Vai via, stronzo!« ruft eine Tessinerin erbost über die Schlafstörung aus einem Fenster im ersten Stock.
»Halt’s Maul, alte Hexe!« schreit Ferry hinauf.
Die Alte ist schlagfertig, kippt ihr Nachtgeschirr aus und landet einen Volltreffer auf Ferrys Kopf. Dem Begossenen läuft die widerliche Flüssigkeit über die Nase, in die Gehörgänge, über die Mundecken in den Kragenausschnitt. Er kann nicht einmal fluchen, weil ihm die ekelhafte Brühe sonst in den Mund rinnen würde.
»Du Urinator!« spottet Marion. »Pfui Teufel, stinkst du vielleicht.«
Der Malträtierte wird den üblen Geruch leichter loswerden als den neuen Spitznamen. The party is over. Der Morgengruß aus dem Nachttopf wird in Ascona heute Tagesgespräch sein und die Zuhörer mehr interessieren als zum Beispiel ein Störfall in einem Atomkraftwerk.
Weitere Fenster öffnen sich. Die Nachtschwärmer flitzen auseinander, um nicht ebenfalls begossen zu werden. Als sie sich angetrunken in ihre Autos