Die Beichte - Roland Benito-Krimi 4. Inger Gammelgaard Madsen
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Roland Benito fühlte sich eher verdammt als erlöst. Automatisch stand er auf und setzte sich wieder, wenn die Gemeinde es tat, die Routine aus der Kindheit war immer noch tief in ihm verwurzelt. Nach dem Tod seiner Mutter hatte er den Kirchgang zunehmend vernachlässigt und sich gefragt, ob er zuvor wohl nur ihretwegen in die Kirche gegangen war. Damit sie sich einen Teil der Normalität des Lebens, vor dem sie geflüchtet war, hatte bewahren können. Es war nun einige Jahre her, dass sie gestorben und er ihrem Sarg zurück nach Neapel gefolgt war, um sie neben ihrem Mann, dem märtyrerhaften Helden Carabiniere Adriano Benito, begraben zu lassen. Im Tod konnte ihnen nun niemand mehr etwas zuleide tun. Nicht einmal die Camorra. Oder war er vielleicht auch deshalb nicht mehr in die Kirche gegangen, weil er aufgegeben hatte zu glauben, dass es einen Gott gab, der den verwundbaren Menschen vor all dem vielen Bösen auf der Welt beschützen konnte? Konnte er selbst es denn? Die Menschen beschützen? Er versuchte es jedenfalls. Mord war sein Alltag, auch wenn er ihm nie etwas Alltägliches, Normales geworden war. Aber warum hatte ihn dann gerade noch so ein sinnloser Mord nun wieder ins Haus Gottes getrieben? Der Tod traf am härtesten, wenn er die jungen Leben nahm. Und wenn er in der eigenen Familie zuschlug. Gott vergibt alles, der Priester hatte es gerade gesagt. Aber der Mensch? Und war Vergebung denn alles? Er hatte versucht, Irene mit zur Messe zu nehmen, sie aber hatte Ausflüchte gemacht, sie sei keine Katholikin, hatte sie betont. War er denn einer? Er wusste, dass auch sie unter Schuldgefühlen litt, auch wenn sie es nicht gesagt hatte. Es war schwer, ihren Blick wie früher festzuhalten und ihr in die Augen zu sehen. Das war schon so, seit sie Anfang Februar von der Beerdigung in Neapel zurückgekommen waren. Drei lange Monate, in denen er spürte, dass sie immer weiter auseinanderglitten, ohne dass er genau wusste, weshalb – weil sie nicht darüber sprachen. Überhaupt kaum miteinander sprachen.
Ich glaube an den Heiligen Geist,
die heilige katholische Kirche,
Gemeinschaft der Heiligen,
Vergebung der Sünden,
Auferstehung der Toten,
und das ewige Leben. Amen.
Der Priester beendete das Glaubensbekenntnis. Der Geruch der Kirche, die Kerzen und die Musik versetzten ihn für einen kurzen Augenblick zurück nach Neapel in die Chiesa Santa Maria della Mercede in der Via Chiaia, nicht weit von der Seitenstraße, in der sich Tante Giovannas kleiner Antiquitätenladen befand. Sie hatte gewollt, dass ihr Sohn ihn eines Tages übernehmen werde, obwohl Antiquitäten nicht gerade Salvatores Leidenschaft gewesen waren. Aber er hätte in den hervorragend gelegenen und vielfältig geeigneten Räumlichkeiten auch ein anderes Geschäft eröffnen können, wenn nicht … Sie waren daran vorbeigegangen, als sie den Sarg hoch erhoben durch die schmalen Gassen getragen hatten, und der Duft von den Ständen der Straßenhändler mit Obst und Fisch und von Espresso und Croissants aus den Bars hatte sich mit dem Gestank des Abfalls aus den überfüllten Mülltonnen mit den halbgeöffnet drum herum liegenden Plastiktüten vermischt. Neapels Wahrzeichen. Wieder mit der Camorra als dem über allem herrschenden Tyrannen.
Das Gewicht von Salvatore – nur fünfzehn Jahre alt –, wie es seine Muskeln gelähmt hatte. Das kühle Holz des Sarges schwer auf den Schultern. Scharen von Alten am Weg, die leise jammerten, und Olivias dunkle Augen, wie sie ihn anklagend angeschaut hatten, wenn sie zufällig Augenkontakt bekamen, was sie beide zu vermeiden versuchten. Er war derlei Anklagen von seiner Tochter und ihrem italienischen Lebensgefährten gewohnt, der sie, Rolands zahlreicher Proteste ungeachtet, überredet hatte, nach Rom zu ziehen, obwohl sie erst neunzehn gewesen war. Sie war mehr Italienerin als Rikke, die ihrer dänischen Mutter ähnelte. Olivia war wie er. Sie sahen und hörten nicht viel voneinander, weil Giuseppe ungefähr genauso viel für Roland übrig hatte wie Roland für ihn. Glücklicherweise hatte das Liebespaar noch nicht geheiratet, also gab es noch Hoffnung, dass Olivia auf andere Gedanken kommen und heim nach Dänemark ziehen würde, obwohl diese Hoffnung mit den Jahren und der mangelnden Möglichkeit, auf Olivia Einfluss zu nehmen, schwand. Rikke hatte in der Kirche seine Hand genommen und sie während der ganzen Messe in der ihren behalten. Es half, dass wenigstens eine seiner Töchter ihn nicht als Sündenbock sah. Marianna war so lange von ihren Großeltern väterlicherseits in Dänemark gehütet worden. Ein siebenjähriges Mädchen sollte man nicht mit nach Neapel schleppen, damit es der Beerdigung eines Familienmitgliedes beiwohnt, das es kaum gekannt hat. Das hatte er seinem einzigen Enkelkind nicht zumuten wollen, und der Rest der Familie gab ihm Recht, obwohl Marianna selbst lautstark protestiert hatte. Das Requiem in der Kirche war wirklich schön gewesen, voller Hoffnung und Trost in der Trauer. Die Seele lebt weiter, und statt über den Tod des Körpers zu trauern, wurde Salvatores Leben und Auferstehung gefeiert. Der Tod ist nicht das Ende des Lebens, sondern ein Anfang – aus der Erde sollst du wiederauferstehen. Die Heiligen werden an ihrem Todestag, nicht an ihrem Geburtstag gefeiert.
Das Handy regte sich in seiner Hosentasche. Er hatte es auf lautlos und Vibrationsalarm gestellt. Als er es diskret herausnahm, um einen Blick auf das Display zu werfen, rutschte der Rosenkranz hinterher und fiel auf den Boden. Die Frau mit dem farbenprächtigen Schal neben ihm auf der Bank bückte sich, hob ihn auf und reichte ihn Roland mit einem vertraulichen Lächeln. Das Lächeln, mit dem er antwortete, wurde plötzlich steif und künstlich. Den Rosenkranz hatte er von Giovanna bekommen. Sie hatte ihn ihm zum Abschied in die Hand gedrückt. Er hatte einst seinem Vater gehört, und dass sie ihm das Erbstück ausgerechnet jetzt gegeben hatte, wirkte fast symbolisch.
Der Anruf kam vom Revier. Es war das erste Mal, dass er während der Arbeitszeit zur Messe gegangen war, aber er hatte sich nahezu unwiderstehlich dazu hingezogen gefühlt. Der neue Fall wühlte die Erinnerungen an Salvatore wieder auf, an die lange Suche, bis er gefunden worden war, die Unruhe, die Angst, die Trauer, die Wut. In Neapel, einer Stadt von etwa einer Million Einwohnern und ohne irgendeine Form von Moralkodex unter Kriminellen, war es leicht, spurlos zu verschwinden. Aber wie konnte das einem jungen Mann nach einer durchfeierten Nacht in einer vergleichsweise kleinen, friedlichen Stadt wie Aarhus passieren?
Draußen vor der Kirche stürzten das gleißende Sonnenlicht und das geschäftige Einkaufsleben in der Ryesgade auf ihn ein. Dazu wimmelte es von Leuten, die zum Bahnhof eilten, um den nächsten Zug oder an der Haltestelle am Bahnhofsvorplatz ihren Bus zu erreichen. Es war, als sei er plötzlich hinaus in eine völlig andere Welt getreten. Er setzte die Sonnenbrille auf und musste für einen kurzen Augenblick unwillkürlich an Horatio Caine aus der US-Krimiserie CSI Miami denken, aber gleich waren die Gedanken zurück bei den aktuellen Erfordernissen. Während er sich auf den Rückweg machte, wählte er die Nummer des Präsidiums.
»Wo bist du gewesen?« Die Stimme des Beamten Mikkel Jensen klang eher besorgt als vorwurfsvoll.
»Gibt’s was Neues?«
»Ja, ich wurde von einer Journalistin von TV 2 Ostjütland angerufen, sie wollte nur mitteilen, dass die Freunde unseres Vermissten heute Abend im Lokalfernsehen zu sehen sind – mit einem Appell an die Öffentlichkeit, nach ihrem Freund zu suchen. Sie meinte, dass wir vielleicht vorher erst einmal selbst mit ihnen reden sollten.«
»Sehr freundlich von dieser Journalistin. Aber hat es nicht geheißen, dass er gar keine Freunde hat?«
»Also, die bezeichnen sich jedenfalls als seine Freunde. Sie sitzen im Cross Café an der Ecke beim Magasin. Ich bin schon unterwegs.«
Roland änderte sofort die Richtung und steuerte die Strøget an, die Fußgängerzone. »Ich auch. Wir treffen uns dort.«
3
»Ist Papa jetzt wirklich ein frommer Mann geworden?«
Rikke saß auf dem Küchentisch und behielt Marianna durchs Fenster im Blick. Die Kleine schaukelte an dem alten, rostigen und schiefen Schaukelgerüst, das Roland für seine Töchter aufgestellt hatte, als sie klein gewesen waren. Er hatte