Ein Kerl wie Samt und Seide. Will Berthold
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»Will ich.«
»Da gab es zum Beispiel braune Schreihälse, die brüllten bei jeder Gelegenheit und alle Nachbarn hatten Angst vor ihnen. Als dann der braune Spuk endlich vorbei war, stellte sich heraus, daß sie nicht einmal der ›NS-Volkswohlfahrt‹ oder dem ›Reichskolonialbund‹ angehört hatten. Sie präsentierten auch noch die Ausrede, nur deshalb so geschrien zu haben, um nicht als Nicht-Nazi erkannt zu werden. Capito?«
»Natürlich«, entgegnete der Captain nachdenklich.
»Dann diese Welle der Zwangsparteieintritte 1937. Es kam doch darauf an, welchen Chef du hattest: War er ein Fanatiker, blieb dir kaum was anderes übrig; war er ein Phlegmatiker, bedeutete es noch lange keinen Widerstand, wenn du dich dem Parteieintritt widersetzt hast.«
»Interessante Gesichtspunkte«, sagte der Offizier mit den zwei Silberbalken und wechselte das Thema: »Bist du fündig geworden im Alabama-Depot?« fragte er beiläufig.
»Ich habe diesen üblen Burschen vermöbelt und bin vielleicht auf eine erste Spur gestoßen.«
»Ich weiß«, erwiderte sein Gönner. »Du hast den Internierten Schöller fast mit Eipulver erstickt. Lieutenant-Colonel Williams war empört über deine Eigenmächtigkeit. Ich habe übrigens veranlaßt, daß Schöller ab sofort zusätzlich beschattet wird.«
»Warum das?« fragte der Dauergast, scheinbar begriffsstutzig.
»Es hätte für dich ja wohl auch andere Möglichkeiten gegeben, Lisa Schöller ausfindig zu machen«, erwiderte der Amerikaner mit der hohen Stirn, den dichten Augenbrauen und dem melancholischen Charme. »Vermutlich wolltest du provozieren, daß der Bursche in Panik gerät und eventuelle Hintermänner kontaktiert. Darauf wartest du doch?«
»Vielleicht«, entgegnete Maletta überrascht. »Für einen Theater-Offizier bist du ganz schön ausgekocht.«
»Schließlich bin ich ja ein alter PWD-Mann«, erinnerte der Captain, »und mit dem Theater ist zur Zeit nicht viel los.«
Man sagte dem Captain nach, daß er als Drehbuch-Schreiber in Hollywood keinen übermäßigen Erfolg gehabt, sich aber dann bei der psychologischen Kriegführung enorm bewährt hätte, auch wenn er stets wohlmeinende Menschlichkeit verströmte wie eine Schwester von der Heilsarmee.
Theatre-Officer, ein Job ohne Tätigkeit. Noch waren die meisten Bühnen geschlossen, und in dieser Zeit fanden die Aufführungen ohnedies auf der Straße statt – wenn sich frühere Hoheitsträger nach Zigaretten-Kippen bückten, Erschöpfte am Gehsteig tot zusammenbrachen, Frauen beim Schlangestehen einander in die Haare gerieten oder Schwarzhändler, bei einer Razzia auf Lastwagen getrieben, ihre Zigarettenpäckchen und Schokoladenriegel verstohlen wegwarfen und Polizisten sie dann unverblümt aufhoben und einsteckten: Straßentheater.
»Ich hoffe, ich habe dich mit meiner Maßnahme nicht verwirrt, Peter«, sagte Freetown lächelnd.
»Verwirrt nicht, aber überrascht, Marc.«
Wenn er lachte, sah er Mike ähnlich, seinem jüngeren Bruder, Malettas früherem Freund: Sie hatten sich schon 1938 auf der Blindflugschule der lufthansa in Berlin kennengelernt. Es war Sympathie auf den ersten Blick. Dieselbe Generation, dieselben Interessen, gleiche Mädchen und dieselbe Passion für das Fliegen. Sie waren unzertrennlich, wurden Freunde und begegneten sich nach der Trennung in Berlin später wieder – und nicht zufällig in Südamerika. Mike flog für eine US-Firma, sein deutscher Freund für die Linie mit dem stilisierten Kranich.
1941 riß sie der Krieg auseinander.
Mike Freetown bewies wenig später bei diesigem Wetter als Kommandant einer die US-Bomberpulks anführenden Pfadfinder-Maschine über Germany, was er – nebst vielen anderen Ausländern – bei seinem Blindflugkurs in Berlin gelernt hatte.
Bei einem Tagesangriff auf eine Kugellager-Fabrik traf Mike Freetown dann das Schicksal seiner verheizten Generation: Seine Maschine wurde in Brand geschossen, stürzte ab, und was von der Besatzung übriggeblieben war, ließ sich in einem Schal bergen.
Von der ersten Begegnung abgesehen, hatte Maletta nie mit Marc über Mike gesprochen. Beide zeigten die gleiche Scheu, den Namen des Freundes oder Bruders zu erwähnen.
»Nachdenklich, Peter?« fragte der Captain.
»Ein wenig«, erwiderte sein Gast und verging sich erstmals an einem Tabu. »Ich frage mich zum Beispiel, wie lange ich mich noch bei dir anwanzen kann, nur weil ich einmal mit Mike befreundet war.«
»Das hat doch damit nichts zu tun«, entgegnete der US-Offizier hastig. »Du suchst in meinem Auftrag deine früheren Leute zusammen, die ich dann in den Dienst der US-Truppen-Betreuung stellen werde und –«
»Kalter Kaffee«, unterbrach ihn Maletta, »das glaubst du doch selbst nicht. Erstens ist es fraglich, ob es bei meinem Verein überhaupt Überlebende gibt; falls ja, bleibt offen, ob ich sie finden werde, und wenn doch, in welcher Verfassung.«
»Aber bis du sie findest«, entgegnete der Theatre-Officer lächelnd, »biete ich dir doch eine ausgezeichnete Möglichkeit, sie zu suchen.«
»Das ist aber auch der einzige Grund, warum ich deine Großzügigkeit annehme. Ich hoffe nur, daß ich dir auch einmal einen Stein in den Garten –«
»Das hoffe ich auch«, versetzte Freetown schlicht.
Sie lachten beide.
Mikes Bruder legte den Arm um Malettas Schulter.
»Let’s have a drink«, sagte er. Der Bourbon beendete ungelöste Fragen und Selbstvorwürfe. Der Alkohol würde alle Probleme lösen, wenn auch nur für Stunden. Am Morgen kämen sie wieder und schmeckten dann nach Jack Daniels.
Bestückt mit blanko unterschriebenen US-Bescheinigungen, die er von seinem noblen Förderer im Dutzend erhalten hatte, sprach Maletta am nächsten Morgen beim Einwohneramt an der Ettstraße vor. Einer der neuen Angestellten konnte zwar nicht Englisch, riß sich aber die Beine aus für einen Mann, der so gute Beziehungen zur Besatzungsmacht hatte. Freilich war der gute Wille bei diesem Lückenbüßer der politischen Säuberung größer als sein fachliches Können.
Erst nach einer Stunde erfuhr der Besucher, daß eine Anna Herbst zuletzt in der Breisacher Straße polizeilich gemeldet war. Der Rechercheur fuhr in den Münchener Osten und stellte fest, daß das angegebene Haus eine unbewohnte Ruine war. Maletta war so weit wie zuvor, aber eine Nachbarin berichtete ihm, daß die Ausgebombte in ein Dorf in der Nähe der Stadt Freising evakuiert worden sei.
Am übernächsten Tag stand Peter Maletta vor ihr, einer alten Frau mit erloschenen Augen und einem von der Zeit malträtierten Gesicht. Seinen Namen hatte Anna Herbst vergessen oder nie gehört. Erst als er von Lisa sprach, zeigte sich im Gesicht ihrer Tante eine Spur Leben.
»Mein Gott, das arme Kind«, sagte sie. »Was sie alles mitgemacht hat. Wir haben alle viel mitgemacht. Ich habe alles verloren, mein Mann ist aus Dachau nicht zurückgekommen. Lisa wurde in ein Arbeitslager gesteckt. Vom eigenen Vater, stellen Sie sich das vor. In einer Munitionsfabrik mußte sie Granaten drehen, während der Luftangriffe und –«
»Aber Lisa lebt?« fragte Maletta vorsichtig.
»Gott sei Dank«, erwiderte die alte Frau, die vermutlich weit jünger war, als ihr Gesicht dem Besucher einredete. »Sie hat alles