Windsbraut. Ursula Isbel-Dotzler
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Читать онлайн книгу Windsbraut - Ursula Isbel-Dotzler страница 3
»Vermutlich haben sie einfach keine Knete. Die meisten Adligen sind doch heutzutage total pleite.«
»Geschieht ihnen ganz recht. Schließlich haben sie jahrhundertelang die kleinen Leute ausgebeutet.«
Ich hielt nach einer Koppel mit Pferden Ausschau, doch es gab nur Weiden mit Rindern und Schafen. Schließlich kamen wir an einem Backsteinhaus im Zuckerbäckerstil vorbei, zu dem ein Grundstück gehörte, auf dem ein weißes Pferd einsam und friedlich graste.
»War’s das vielleicht?«, fragte mein Bruder, der wie so oft meine Gedanken erriet.
Ich schüttelte den Kopf. »Es müssen mehrere gewesen sein. Mindestens ein Dutzend oder so.«
Der Laden war ein Supermarkt. Es gab keine Klemmlampen, also kauften wir stärkere Glühbirnen. Auf dem Heimweg waren wir so beladen mit voll gepackten Plastiktüten, dass uns fast die Arme abfielen.
Der Weg zum Mousehole Cottage zog sich verteufelt in die Länge. Irgendwann kam ein Mädchen auf dem Fahrrad an uns vorbei. Sie mochte ungefähr in meinem Alter sein und rief uns freundlich »Hallo!« zu. Dann sah sie sich zweimal um, blieb plötzlich stehen und wartete auf uns.
»Kann ich euch helfen?«, fragte sie. »Ihr könntet eure Tüten in meinen Fahrradkorb legen und an die Lenkstange hängen.«
Ihr Englisch war völlig akzentfrei und sogar für einen nicht besonders sprachbegabten Menschen wie mich zu verstehen. Wir nahmen ihr Angebot hocherfreut an und Simon begann in seinem besten Schulenglisch mit ihr zu palavern, während ich stumm nebenhertrottete und mich fragte, ob dieses Mädchen von Natur aus so hilfsbereit war oder ob ihre Freundlichkeit etwas mit Simons blauen Augen zu tun hatte. Simon sieht ausgesprochen gut aus. Schon seit er zwölf war, liefen ihm die Mädchen scharenweise hinterher.
Sie hieß Rebecca, hatte rotblondes Haar und milchweiße Haut und einen Sonnenbrand auf der Nase. Ihre Zähne standen etwas vor. Rebecca kam aus dem Zuckerbäckerhaus. Der Schimmel im Garten gehörte ihr und war ihr zweites Pferd. All das erfuhren wir, während wir vor ihrer Gartenpforte standen.
Sie lud Simon ein, sie doch einmal zu besuchen und auf ihrem Pferd zu reiten. Mich fragte sie nicht. Doch ich hatte mich ja auch nicht mit ihr unterhalten. Simon aber hatte ihr erzählt, dass er seit zwei Jahren regelmäßig Reitunterricht nahm.
Anfangs war ich mit ihm zusammen in die Reitschule gegangen, ebenso begeistert wie er. Doch das ist ein trauriges Kapitel in meinem Leben, an das ich nicht gern zurückdenke. Denn beim ersten Ausritt stürzte ich so unglücklich, dass ich mir die Schulter ausrenkte und den rechten Arm an drei Stellen brach. Seitdem hatte ich nie wieder den Mut, auf ein Pferd zu steigen.
»Gehst du hin?«, fragte ich, während wir das letzte Stück zwischen Steinmäuerchen und Brombeerhecken entlangwanderten.
»Vielleicht. Mal sehen. Warum hast du sie nicht nach den Pferden gefragt?«
»Keine Lust. Vielleicht tu ich’s ein andermal. Wir werden sie bestimmt noch öfter sehen.«
Die Sonne kam immer wieder zwischen den Wolken hervor, doch die kantigen Türme von Darkwood Hall lagen im Schatten, versunken zwischen Rotbuchen, Eichen und Nadelbäumen. Es sah aus, als würde nie ein Sonnenstrahl bis zu den alten Mauern vordringen.
Unwillkürlich überlief mich ein Schauder, als könnte ich die düstere Kälte spüren, die das Haus umgab. Und doch war Sommer, Mitte August, die wärmste Zeit des Jahres.
Mousehole Cottage sonnte sich im Schutz der Parkmauer. Ein Rotkehlchen flötete in den Geißblattranken und im Garten blühten weiße Malven.
Als unsere Eltern zurückkamen, waren sie total aufgekratzt und platzten vor Mitteilungsdrang. Wir kannten diesen Zustand. Er endete spätestens dann, wenn Mama sich an ihre Reiseschreibmaschine setzte und die Schauergeschichten zu Papier bringen musste. Dann hing sie stöhnend herum und benahm sich wie ein Huhn, das Probleme beim Eierlegen hat.
»Diese Lady passt wie angegossen in dieses Gemäuer«, sagte mein Vater. »Lang und dünn und pferdegesichtig. Die wird eines Tages selbst dort herumspuken, darauf gehe ich jede Wette ein.«
»Ich habe selten jemanden erlebt, der so glaubwürdig von einem Spuk berichtet hat wie sie«, bemerkte Mama. »Gut, dass ich daran gedacht habe, das Tonband mitlaufen zu lassen. Ich werde wortwörtlich zitieren, was sie gesagt hat.«
»Vielleicht ist sie ganz einfach geschäftstüchtig.« Mein Vater griff nach der Whiskyflasche. »Ein Teil des Hauses ist ja für Besucher geöffnet und der Spuk lockt jede Menge Leute an. Ohne das Geld, das die Familie mit ihren Gespenstern verdient, hätte die Lady ihren Besitz wahrscheinlich längst verkaufen müssen.«
»Worum geht’s denn überhaupt?«, fragte Simon. »Ein kopfloses Gespenst, das verzweifelt die Hände ringt? Gefangene, die mit Ketten rasseln und im Chor heulen?« Seine Stimme klang nur mäßig interessiert.
»Es scheint da verschiedene Phänomene zu geben«, erwiderte Vater mit großem Ernst.
An seinem Tonfall merkte ich, dass er eine längere Rede plante und uns in allen Einzelheiten schildern wollte, welche Geister Darkwood Hall heimsuchten und auf welche Weise sie es taten.
Vielleicht brennen die meisten Menschen ja nur so darauf, Gespenstergeschichten zu hören, noch dazu, wenn sie ganz in ihrer Nähe passieren und angeblich wahr sind. Ich aber wollte eigentlich nichts von all dem wissen und bemühte mich, meine Ohren auf Durchzug zu stellen.
Natürlich gelang es mir auch diesmal nicht. Im Gegenteil, ich lauschte wieder wie gebannt auf jedes Wort, das meine Eltern erzählten.
Sie liebten es beide, spannende und unheimliche Geschichten zu erzählen; das mussten sie wohl auch bei ihrem Beruf. Dass sie häufig gleichzeitig reden wollten, machte das Zuhören nicht gerade einfach. Es konnte passieren, dass sie immer lauter und lauter wurden, um sich gegenseitig zu übertönen, oder einer warf dem anderen vor, etwas auszulassen oder völlig falsch wiederzugeben.
»Diese Tussi …«, begann mein Vater; es war einer seiner Lieblingsausdrücke, er hatte ihn von Simon und mir.
»Die Herzogin«, verbesserte Mama. »Ihre Familie lebt schon seit mehreren Jahrhunderten auf Darkwood Hall …«
»Acht Generationen«, sagte Vater. »Und es muss eine ziemlich hinterhältige, blutrünstige Sippe gewesen sein. Wenn man sich nur die Porträts in der Ahnengalerie ansieht, kann einem schon das Gruseln kommen, auch ohne dass man weiß, was sich in diesem Gemäuer so alles abspielt …«
»Du musst unbedingt einige davon fotografieren«, warf Mama ein. »Das hat sie dir doch erlaubt, oder?«
»Nicht ausdrücklich. Aber ich denke, ich kann sie schon überreden.«
Mein Vater sah noch ganz gut aus. Vermutlich ist er Simon einmal sehr ähnlich gewesen, als er jünger war und den Whisky noch nicht entdeckt hatte. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man die Spuren des Alkohols schon in seinem Gesicht.
»Sie ist meinem Charme auf der Stelle erlegen, hast du das bemerkt?« Er lachte leicht und statt einer Antwort nutzte Mama die Gelegenheit, um mit ihrer Version der Spukgeschichten zu beginnen.
»In Darkwood Hall sind schon eine ganze Reihe von unheimlichen Erscheinungen beobachtet worden«, sagte sie. »Offenbar gibt es kaum einen Raum im Haus, in dem es nicht schon gespukt