Faustrecht. Hugo Bettauer
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Ich war über diese Art und Weise, einem Manne zu befehlen, verblüfft und auch meine Frau blickte mich betreten an. Groß war aber meine Freude, als ‚Mayflower‘ gewann und ich das vierfache Geld einstrich, während Frau Langer ihrem Gatten boshaft sagte: ‚Das kommt davon, wenn ein Mensch seinen Willen nicht durchsetzen kann.‘ Ich empfand das als eine gerechte Bestrafung allzu großer Nachgiebigkeit.
Einige Tage später lud uns Frau Langer zum Souper ein und wir nahmen an. Dabei ereignete sich etwas für mich schier Unfaßbares. Zunächst fiel mir unangenehm auf, wie schweigsam und verdrossen der Hausherr war, und meine Frau flüsterte mir schließlich, als wir uns von der Tafel erhoben hatten, zu: ‚Du, mir scheint, dieser Herr Langer wagt wirklich nicht, in Gegenwart seiner Frau den Mund aufzumachen.‘ Ich aber hatte einigemal deutlich wahrgenommen, daß jedesmal, wenn Langer eine Äußerung tun wollte, er zunächst einen ängstlichen Blick zu seiner Frau gleiten ließ, die ihn daraufhin so herrisch, befehlend und boshaft in die Augen schaute, daß er schwieg. Miß Mac Lean tat zwar recht bescheiden und reserviert, aber mitunter kreuzten ihre Blicke die ihres Schwagers in seltsamer Weise, über deren Bedeutung ich mir heute noch nicht im klaren bin. Wir begaben uns dann in den Salon und es entwickelte sich ein Gespräch über die tollen Streiche der englischen Suffragettes, die sich immer mehr zur Landplage auswuchsen. Frau Langer wie Miß Mac Lean traten aber in leidenschaftlicher Weise für die Frauenrechtlerinnen ein und Frau Langer verstieg sich zu der wenig geschmackvollen Bemerkung: ‚Wenn jede Frau mit der Peitsche in der Hand im eigenen Hause ihr Recht vertreten würde, dann wären wir längst Wählerinnen,‘ Es entstand auf dieses Wort hin eine verlegene Stille, die Herr Langer schließlich durch eine beschwichtigende, begütigende Bemerkung unterbrach. In diesem Augenblick umfaßte Frau Langer mit ihrer rechten Hand das linke Handgelenk des neben ihr stehenden Gatten und sagte mit unangenehm mokanter Stimme und Betonung: ‚Schau, schau, du bist also auch gegen die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechtes!‘ Herr Langer zuckte, wie von einem Schmerz betroffen, zusammen und verfärbte sich, schwieg aber. Einige Minuten später reichte er mir mit der linken Hand ein Streichholz, während er in der rechten eine Zigarrenkiste hielt, und da bemerkte ich zu meinem maßlosen Entsetzen, daß er am Handgelenk, genau dort, wo ihn seine Frau vorhin angefaßt, ein blutiges Mal hatte. Die zärtliche Gattin mußte ihm ihren wohlgepflegten Fingernagel in das Fleisch gedrückt haben! Mir verging die Lust zum weiteren Verweilen in der ‚Villa Mabel‘ und unter einem schicklichen Vorwand entfernten wir uns bald.
Ich teile Ihnen diese meine Beobachtungen, die sich natürlich absolut nicht zur Publikation eignen, mit, nicht etwa, um Sie zu etwaigen Schlußfolgerungen zu veranlassen, sondern nur, um sie vor allzulauten Mitleidskundgebungen für den ‚armen‘ Witwer zurückzuhalten. Man darf ihn mit Fug und Recht wohl eher einen lustigen Witwer nennen.“
Lachend legte Fels den Brief beiseite, um nun rasch seine Schreibmaschine aus der Versenkung des Tisches emportauchen zu lassen und mit rasendem Geklapper Seite auf Seite zu füllen.
Neuntes kapitel
Eben war Fels fertig geworden, als ihm der Diener zwei Damen meldete, die unbedingt den Verfasser des Artikels über den „Mord im Cottage“, der im Morgenblatt erschienen war, sprechen wollten. Fels ließ sie in ein abseits gelegenes Zimmer führen und stand gleich darauf einer alten, grauhaarigen Dame und einem hübschen, hellblonden Mädchen gegenüber. Beide sahen verweint und unglücklich aus und Fels konnte unschwer erraten, wer die Besucherinnen waren. Niemand anders als Frau Therese Holzinger, die Mutter des verhafteten Privatsekretärs, und Elsbeth Volkmar, seine Braut. Frau Holzinger konnte nicht sprechen, weil die hervorquellenden Tränen ihre Stimme erstickten, das junge Mädchen aber faßte sich halbwegs und dankte mit herzlichen Worten für das warme Eintreten des Journalisten zugunsten des Bräutigams.
„Ich habe nichts getan, was dankenswert wäre,“ sagte Fels, der voll Mitleid mit den zwei Frauen war, „da ich ja Herrn Doktor Holzinger tatsächlich für absolut unschuldig halte. Allerdings, seine Situation ist nicht gerade günstig und Sie müssen darauf gefaßt sein, daß einige Zeit vergeht, bevor man ihn aus der Haft entlassen wird.“
Nun fing auch Elsbeth Volkmar zu weinen an. „Herr Doktor,“ sagte sie schluchzend, „das ist ja zum Verzweifeln! Wie soll mein armer Bräutigam, wie sollen wir diese Schmach und Schande überleben? Er wird sich sicher etwas antun.“
„Nein, das wird er sicher nicht, und täte er es, so wäre es nur ein Beweis dafür, das er schuldig ist. Niemals habe ich in meiner Praxis erlebt, daß ein unschuldig Verdächtiger Selbstmord begeht. Schon die Erbitterung, der Wunsch, seine Unschuld zu beweisen, hält ihn vor einem solchen Schritt zurück.“
So gelang es Fels langsam, die Frauen zu beruhigen, und er lenkte nun das Gespräch auf den Mord selbst und die Verantwortung des Beschuldigten.
„Doktor Holzinger gibt an, zwischen ein Uhr und halb zwei im ‚Grabencafé‘ gewesen und von da aus nach Hause gegangen zu sein. Leider können die Kellner seine Behauptung nicht bestätigen, was natürlich durchaus nicht gegen ihn spricht. Holzinger hat seinen eigenen Hausschlüssel, also kann der Hausbesorger nichts über die Zeit seines Nachhausekommens aussagen. Es wäre von der größten, entscheidenden Wichtigkeit, irgend einen Menschen aufzutreiben, der Holzinger um die von ihm angegebene Zeit im Café oder auf dem Wege nach Hause gesehen hat. Doktor Bär, der die Voruntersuchung führt, ist der anständigste, ehrlichste und gewissenhafteste Polizeibeamte, den man sich nur denken kann. Trotzdem — in einem solchen Fall versagt er, wie jeder andere. Er denkt natürlich gar nicht daran, den Polizeiapparat aufzubieten, um dem Beschuldigten ein Alibi zu ermöglichen. Nun, dann müssen wir eben arbeiten und alle Kunststücke versuchen.“
Elsbeth errötete leicht:
„Sie sagen ‚wir‘, Herr Redakteur, also darf ich wirklich einen Bundesgenossen in Ihnen sehen?“
„Jawohl, ganz und gar und ohne Einschränkung, mein Fräulein! Was in meinen durchaus nicht schwachen Kräften steht, soll geschehen, um Ihrem Bräutigam aus dieser abscheulichen Klemme zu helfen!“
Es wurde nun folgender Plan entworfen, der im Kopfe des Journalisten entstand, aber von dem Mädchen ausgeführt werden mußte. Elsbeth besaß natürlich ein Lichtbild ihres Bräutigams. Mit dieser überaus gelungenen Photographie begab sie sich in die Redaktionen sämtlicher Wiener illustrierten Zeitungen und Wochenschriften, um die Aufnahme eines Aufrufes zu erbitten. Neben dem Bild des Dr. Holzinger stand die Aufforderung an alle etwaigen Personen, die Holzinger in der Mordnacht auf der Straße oder im „Grabencafé“ gesehen hätten, sich bei seiner Mutter zu melden.
Überraschend schnell stellte sich ein Erfolg dieses Aufrufes ein. Nach wenigen Tagen schon erschien bei Frau Holzinger ein Kaufmann aus Graz, der sich in der Nacht, da der Mord verübt worden war, im „Grabencafé“ befunden hatte. Frau Holzinger und Elsbeth Volkmar führten ihn sofort in die Redaktion der „Weltpresse“, wo Fels folgendes Protokoll mit ihm aufnahm:
„Ich weilte in der Vorwoche vom 2.