Tod dem Management. Siegfried Kaltenecker
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»Ich bin jedenfalls gespannt, was die Kärntner Kollegen dazu sagen. Aber dafür ist morgen noch Zeit genug. Lass uns heute nur noch einen kurzen Lokalaugenschein machen. Ich würde mir nämlich gerne den Ort ansehen, an dem sie Joschak gefunden haben.«
»Apropos morgen«, meinte Obermayr, als hätte sie Nemeceks Vorschlag gar nicht gehört. »Ich lade dich in Faak ab und nehme mir den Dienstwagen, um zu Marie an den Wörthersee zu fahren – wenn das für dich passt.«
»Sowieso«, versicherte Nemecek, bevor er den vor ihm fahrenden Lkw überholte und gleich darauf in den nächsten Tunnel eintauchte.
Donnerstag, 15:57
Karawanken-Karibik
Nemecek ließ seinen Blick über das Wasser schweifen. Er musste sich die Hand vor die Augen halten, so sehr blendeten ihn die kleinen Sonnenpunkte, die über das Wasser tanzten. Dennoch war die Aussicht atemberaubend. Der Faaker See hatte jetzt wieder diese türkisblaue Färbung angenommen, die ihn so auszeichnete. Die Karibik der Karawanken hatte das ein findiger Tourismusmanager einmal genannt. Dazu das Grün des Grases, das trotz der spätsommerlichen Hitze immer noch erstaunlich frisch wirkte. Selbst die Nadelbäume auf der gegenüberliegenden Insel schienen zu leuchten. Keine 500 Meter entfernt, das wusste Nemecek von seinen zahlreichen Seeüberquerungen, sei es nun schwimmend, mit dem Ruderboot oder dem sogenannten Wassertaxi, das alle Gäste zwischen Festland und Inselhotel hin und her transportierte. Er hob den Kopf. Über dem Dobratsch hingen tiefschwarze Wolken. Ob es heute noch gewittern würde?
»Die dunklen Flecken stammen wahrscheinlich von Joschaks Blut«, holte ihn Obermayr aus der Seeidylle wieder in die Gegenwart ihres Lokalaugenscheins zurück. Nachdem sie sich eine Zeit lang in der näheren Umgebung umgesehen hatten, standen sie nun wieder nebeneinander auf dem Steg.
Nemecek blickte seine Kollegin entgeistert an. »Seit wann verliert eine Wasserleiche noch Blut?«
Obermayr war so perplex, dass sie lachen musste. »Upps! Da ist wohl meine kriminalistische Fantasie mit mir durchgegangen.«
»Du solltest dir vielleicht weniger Horrorfilme ansehen – und mehr von diesen forensischen Videos. Da sind auch jede Menge Ertrunkene dabei.«
»Jaja, ich weiß schon, die Blutlosen.« Obermayr nickte abwesend und streckte dann noch einmal die Hand aus. »Den Fotos vom Fundort zufolge, lag er genau hier, als die Kollegen eingetroffen sind.«
Nemecek folgte ihrer Geste: Ja, laut Protokoll hatten sie Joschaks Körper in diesem Bereich aus dem Wasser gefischt. Sonst aber deutete nicht das Geringste darauf hin, dass an dieser Stelle vor Kurzem ein Mensch ums Leben gekommen war. Wie gewohnt schaukelten die Boote im leichten Wellengang. Zwölf, zählte Nemecek, oder dreizehn, wenn man das kleine Schlauchboot mitrechnen wollte, das ganz vorne am Stegende befestigt war. Die anderen Boote waren ebenfalls relativ klein, schließlich war am Faaker See nur Elektroantrieb erlaubt. Kein Vergleich mit dem keine fünfzehn Kilometer entfernten Wörthersee, der von vielen großen Motorbooten und Ausflugsschiffen bevölkert war. Hier am Faaker See gab es nichts davon. Keinen Lärm, keinen Gestank und nichts von diesem aufgeregten Treiben, das seine Töchter gerne als Halligalli bezeichneten.
Nemecek ließ seinen Blick noch einmal über den See gleiten: von der Reihenhausanlage, die sie vor ein paar Jahren im Ort errichtet hatten, über den breiten Schilfgürtel, der sich vom Faaker Campingplatz auf der Westseite nach Norden zog, bis zum Tabor, dem Hausberg, der am Ostufer knapp 800 Meter in die Höhe ragte. Erst jetzt fiel Nemecek auf, dass von den Unwettern der letzten Tage kaum mehr etwas zu sehen war. Üblicherweise war der See nach Gewittern immer ziemlich aufgewühlt. Ab und an trat er sogar über die Ufer und sorgte für großräumige Überflutungen. Tagelang war das Wasser dann ganz braun gefärbt und überall schwammen Gras- und Schilfreste herum. Jetzt allerdings ließen nur mehr die mächtigen Schotterbänke erahnen, was sich hier in den letzten Tagen abgespielt hatte. Laut Wetterdienst hatte es nicht nur sintflutartige Regenschauer gegeben, vielmehr waren auch Unmengen Steine und Sand aus dem Gebirge in die Tiefe gestürzt. Wer einmal das bis zu 50 Meter breite Flussbett gesehen hatte, das sich in Richtung Mittagskogel in die Landschaft grub, verstand den Ausdruck Naturgewalten sicher um einiges besser.
Nemecek schreckte hoch. Hatte Obermayr etwas zu ihm gesagt? Als er jedoch zur Seite blickte, sah er sie ganz ruhig am Steg stehen. Nur ihre Augen waren ganz eng zusammengekniffen, da auch sie ihre Sonnenbrille im Auto vergessen hatte. Soweit er feststellen konnte, gab es keinen Hinweis darauf, dass ihm seine Kollegin eine Frage gestellt hatte. Stattdessen schien sie ähnlich in Gedanken versunken zu sein wie er selbst. Er trat einen Schritt zurück. Je länger sie am Steg standen, desto unsicherer war sich Nemecek, was er hier eigentlich zu finden hoffte. Eine überraschende Spur? Einen konkreten Hinweis auf den Tathergang? Gar ein Gefühl für den Toten?
Er blickte auf die Uhr. Verdammt, schon fast fünf Uhr! Dabei hatte er seiner Familie versprochen, spätestens um vier am Strand zu sein. Sie sollten hier Schluss machen. Immerhin hatten sie sich nun ein Bild von der Umgebung gemacht und gedanklich einige Szenarien durchgespielt.
»Brauchst du noch Zeit?«
»Nicht im Geringsten.« Demonstrativ streckte Obermayr ihre verschwitzten Arme aus und deutete einen Kopfsprung an. »Ich verzehre mich danach, ins kühle Nass einzutauchen!«
Nemecek grinste. Da war es wieder, das dramatische Talent, das seine Kollegin zwischendurch gerne aufblitzen ließ. »Dann lass uns hier die Zelte abbrechen und endlich ins Wasser hüpfen. Sonst bilden sich womöglich noch Blasen auf unserer Haut.«
»Bist du zu lange in der Sonne, beschert der Brand dir keine Wonne«, kalauerte Obermayr. Damit war von ihrer Seite her wohl wieder einmal alles gesagt. Doch Nemecek täuschte sich, denn keine zwei Schritte später fragte sie plötzlich: »Verdammt! Wollten wir nicht noch Lillys Recherchen durchgehen?«
Nemecek fluchte innerlich. Wie konnte er das nur vergessen? Natürlich war es sinnvoll, sich noch ein möglichst vollständiges Bild zu machen, bevor sie morgen früh die Kärntner Kollegen trafen. Also musste das Schwimmvergnügen weiter warten.
»Wo sind wir denn stehen geblieben?«, fragte er ungeduldig.
»Beim beruflichen Werdegang von Marco Joschak. Aber keine Sorge, das geht schnell.«
»Hoffentlich.«
Obermayr zog ihr Tablet aus der Tasche. »Alsdann in medias res. Nachdem Joschak 1994 die Schule abgebrochen und sich ein paar Jahre lang mit Gelegenheitsjobs durchgeschlagen hatte, absolvierte er 1999 die Abendmatura. Nur fünf Jahre später hatte er das Diplomstudium Informatik abgeschlossen und weitere zwei Jahre danach auch noch einen MBA in der Tasche. Scheint ihm irgendwie der sprichwörtliche Knoten geplatzt zu sein.«
Nemecek gab ein anerkennendes Pfeifen von sich. Das musste man erst einmal bringen!
»Ab 2001, also noch während seines Studiums, war Joschak für die Firma Best Data als Softwareentwickler tätig. Eine kleine IT-Firma in Klagenfurt, die drei Jahre später von der Acros gekauft wurde.«
»Dieser Mikroelektronik-Bude in Villach?«
»Genau. Ab 2004 war der frisch gebackene Diplomingenieur dort als Projektleiter, dann auch als Teamleiter eingesetzt. 2006 machte man ihn zum stellvertretenden Leiter der Softwareentwicklung, eher er ein Jahr später die Gesamtleitung übernahm.«
»Aha«,